# taz.de -- Homophobie im russischen Sport: Küsse unter dem Volleyballnetz
       
       > Eine türkische Spielerin wird zum Ziel der homophoben Hasstirade einer
       > Ex-Weltmeisterin. Sie kennt das aus ihrer Heimat.
       
 (IMG) Bild: Hassobjekt: die türkische Volleyballerin Ebrar Karakurt (links)
       
       Es waren Bilder, die um die Welt gegangen sind. Normalerweise dürften sich
       nur die wenigsten – und seien sie noch so sportbegeistert – für die
       Play-offs der türkischen Meisterschaft im Volleyball der Frauen
       interessieren. Doch mit einem Mal liefen Bilder des Halbfinalspiels
       zwischen dem Vakıfbank Spor Kulübü und Eczacıbaşı Dynavit Istanbul [1][vor
       allem via Tiktok] über die Bildschirme von Millionen Smartphones weltweit.
       
       Der Grund dafür war ein Kuss, den Cansu Özbay ihrer Teamkollegin Ali
       Frantti nach einem Punktgewinn auf den Mund gedrückt hat. In der
       aufgeklärten Welt hat man sich mit den beiden gefreut, im voyeuristischen
       Boulevard wurde die Szene ausgeschlachtet und wer halbwegs ernsthaft
       darüber berichtet hat, der fügte noch einen Satz über die schwierige Lage
       der LGBTIQ-Communtiy in der Türkei an den Artikel mit dem viralen Video.
       
       Ob bei der ehemaligen russische Spitzenvolleyballerin Jelena Godina diese
       Szene auch übers Smartphone geflimmert ist, weiß man nicht. Dass sie sich
       maßlos darüber echauffiert hätte, sollte das der Fall gewesen sein, davon
       darf ausgegangen werden – womit wir beim Halbfinale der russischen
       Volleyballmeisterschaft der Frauen wären.
       
       In dem standen sich Dynamo Moskau und Lokomotive Kaliningrad gegenüber.
       Godina, als ehemalige Weltmeisterin mit Russland eine Art Klub-Ikone von
       Dynamo, jedenfalls hat nach dem Ausscheiden der Moskauerinnen einen
       Kommentar verfasst, der es in sich hat.
       
       ## Küsse und andere Abscheulichkeiten
       
       In der [2][Rubrik „Direkte Rede“] auf der Dynamo-Website wütete sie unter
       dem Titel „Schluss damit, das zu ertragen!“ gegen die Spielerinnen des
       Halbfinalgegners, die die ganze Saison über provoziert hätten, sodass man
       sich nicht zu wundern brauche, dass die Dynamo-Kapitänin Natalja
       Gontscharowa irgendwann die Schnauze voll gehabt und ihren Gegnerinnen den
       Mittelfinger gezeigt habe. Dafür muss sie sich nun vor dem Verbandsgericht
       rechtfertigen. Doch für Godina hat der eigentliche Skandal auf der anderen
       Seite des Netzes stattgefunden.
       
       In ihrem Posting schreibt sie von „monströsen Szenen“ beim Jubel, die an
       Sexualverkehr erinnern würden. Sie moniert „gleichgeschlechtliche Küsse auf
       die Lippen und andere Abscheulichkeiten“. Wie das möglich sein könne in
       einem Land, [3][„in dem die LGBT-Bewegung per Gesetz als extremistische
       Organisation“] eingestuft werde, ist die Frage, die sie mit dem Text
       transportieren möchte.
       
       Es würden doch auch Kinder zu den Spielen in die Hallen kommen und dennoch
       hätte kein einziger Schiedsrichter je bei einer derartigen Szene
       eingegriffen. „Stellen Sie sich vor, dass Ihre Kinder mit solchen Subjekten
       in der Umkleidekabine sein müssen!“ Godina lässt in ihrer Lesbenhasstirade
       beinahe keine Geschmacklosigkeit aus.
       
       Zwei Bilder zu dem Text zeigen Jubelszenen. Dabei trägt einmal eine
       Spielerin ihre Kollegin, von der sie angesprungen worden ist. Ein anderes
       zeigt einen Kuss, den die Kaliningrader Kapitänin Ebrar Karakurt einer
       Mannschaftskameradin auf die Wange gibt. Die türkische Spitzenspielerin,
       die mit der Nationalmannschaft im vergangenen Jahr die Nations League des
       Internationalen Volleyballverbandes gewonnen hat, ist das vorrangige Ziel
       von Godinas Klageschrift.
       
       Die wütende Russin wird um den Sturm der Entrüstung wissen, den Karakurt in
       ihrer türkischen Heimat ausgelöst hat, als sie im August 2021 auf Instgram
       ein Foto gepostet hat, das sie zusammen mit ihrer Freundin zeigt. Auf
       Social Media wurde eine Hasskampagne gegen die Außenangreiferin
       losgetreten. Der Türkische Volleyballverband hat sich damals hinter eine
       seiner besten Spielerinnen gestellt.
       
       Nun wird Karakurt also in Russland homophob angegangen. Am Mittwoch beginnt
       die Finalserie um den Titel gegen Dynamo Ak-Bars Kasan. Sie könnte
       dramatisch werden – nicht nur in sportlicher Hinsicht.
       
       17 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tiktok.com/@trvoleyboldelisi/video/7355438159464860933
 (DIR) [2] https://vldinamo.ru/directspeechnew/xvatit/
 (DIR) [3] /Queerfeindlichkeit-in-Russland/!5973848
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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