# taz.de -- Zahl der Angriffe auf Obdachlose steigt: Gezielte Menschenfeindlichkeit
       
       > Angriffe auf Obdachlose durch Nichtobdachlose gibt es immer häufiger.
       > Eine politische Verortung der Täter*innen fehlt bei der Aufarbeitung
       > oft.
       
 (IMG) Bild: Eine obdachlose Person richtet sich in einem Durchgang in Mainz ihr Nachtlager ein
       
       Ein Video dokumentiert die Misshandlungen. In Peine haben drei Männer und
       eine Frau einen Wohnungslosen am Samstagabend mindestens zwei Stunden lang
       gequält. Auf einem Wohnungsbalkon in der niedersächsischen Stadt schlugen
       sie auf den 42-Jähren ein. Sie beleidigten ihn und urinierten auf ihn. Ein
       Zeuge aus Langenhagen alarmierte die Polizei. Er hatte von einem Bekannten
       Videos und Fotos von dem Übergriff geschickt bekommen. Polizist*innen
       erkannten den Balkon und konnten das Opfer befreien.
       
       „Die [1][Angriffe auf Obdachlose] haben zugenommen“, sagt Heike Kleffner
       vom [2][„Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer
       und antisemitischer Gewalt“]. Der Verein hat den Anstieg durch ein
       unabhängiges Monitoring erfasst, an dem sich acht Bundesländer beteiligen.
       
       Die Einschätzung deckt sich mit Daten der [3][Bundesarbeitsgemeinschaft
       Wohnungslosenhilfe]. Dort wurden von 1989 bis 2023 allein 626 Todesfälle
       durch Gewalteinwirkungen dokumentiert. In 345 Fällen war die Gewalt von
       anderen Wohnungslosen ausgegangen, in 281 Fällen kam sie von
       Wohnungshabenden. Im gleichen Zeitraum registrierte die
       Bundesarbeitsgemeinschaft 2.350 schwere Körperverletzungen, davon waren
       1.350 von Wohnungshabenden verübt worden.
       
       Aber warum ist es wichtig, ob die Täter*innen selbst wohnhaft sind oder
       nicht? Die Unterscheidung deute auf verschieden Motive hin, erklärte die
       ehemaligen Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft, Werena Rosenke,
       im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Während die Taten von
       Obdachlosen sich häufig in Notunterkünften ereigneten und nicht unbedingt
       als gezielte Angriffe zu verstehen seien, müsse man bei Nichtobdachlosen
       von gezielten Angriffen aufgrund von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
       ausgehen.
       
       Eine politische Verortung der Tat und des Motivs fehlt aber bei der
       Strafverfolgung und in der Berichterstattung oft. Die Frage, warum die
       Gewalt sich gerade gegen Obdachlose richtet, bleibt vielmals unbeantwortet.
       
       Der 2024 verstorbene Soziologe [4][Oskar Negt] hat sich viel mit dieser
       Frage auseinandergesetzt. Der „Kältestrom“ einer neoliberalisierten
       Wirklichkeit, schrieb er, lasse den Wert des menschlichen Lebens insgesamt
       sinken. Empathie und Solidarität nähmen, gerade auch gegenüber Schutz- und
       Hilfsbedürftigen, ab. Leistungsdruck und Verlustängste könnten jene, die
       Einkommen und Wohnung haben, zu Abwertungen und Angriffen auf andere
       treiben.
       
       Auch die Autor*innen der jährlichen [5][Studie „Die distanzierte Mitte“]
       der Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchen diese Frage. Für das Jahr 2023
       stellten sie fest, dass „Menschen und Gruppen, die dem Leistungsprinzip in
       der Gesellschaft scheinbar willentlich und mutwillig zuwiderhandeln“ als
       [6][„nutzlos, dumm oder faul“ abgewertet würden.]
       
       Diese Abwertung treffe in erste Linie arbeitslose oder obdachlose Menschen.
       Gerade Wohnungslose würden als störend im Stadtbild wahrgenommen, stellt
       die Studie fest. Knapp 20 Prozent der Befragten möchte bettelnde
       Wohnungslose aus den Fußgängerzonen entfernen lassen. In der Studie für die
       Jahre 2020/2021 waren es noch 13 Prozent. Knapp über 40 Prozent der
       Befragten möchte keine Obdachlosen im Alltag sehen.
       
       Die Autor*innen stellen hinsichtlich der Ergebnisse der Befragung eine
       „soziale Dominanzorientierung“ fest, die mit der Befürwortung von
       Hierarchien und Autoritarismen einhergehe. Straf- und kontrollgeneigtes
       Denken seien weit verbreitet.
       
       Es sind Einstellungen, die zu Taten führen. Die Täter*innen in Peine,
       die 21 und 31 Jahre alt sind, sollen zum Teil erheblich alkoholisiert
       gewesen sein. Im Strafverfahren gegen sie wird hoffentlich nicht allein der
       Alkoholpegel berücksichtigt werden.
       
       21 Apr 2024
       
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