# taz.de -- CO₂-Abscheidung bei der Hannover Messe: Kohlenstoffdioxid soll endlich weg
       
       > Ob bei der Hannover Messe oder beim Spatenstich für ein klimaneutrales
       > Zementwerk: CO₂-Emissionen sollen runter.
       
 (IMG) Bild: Die fünf von der Zementwerkbaustelle, darunter Habeck und Günther (2. und 3. v. l.)
       
       HANNOVER/BERLIN taz | Mancher Versprecher passt nur zu gut. „Am CO₂ wollen
       wir nicht sparen“, rutscht es Bettina Stark-Watzinger zur Eröffnung der
       Hannover Messe raus. Nein, es sei natürlich das Wachstum, an dem nicht
       gespart werden solle, verbessert sich die Bundesforschungsministerin von
       der FDP sofort. Und: „Bitte nicht falsch zitieren.“
       
       Stark-Watzinger ist gerade aus Norwegen zurückgekehrt, wo sie sich ein Bild
       von Projekten zur Abscheidung und unterirdischen Speicherung von
       Kohlenstoffdioxid gemacht hat. Die sogenannten CCS-Technologien (für Carbon
       Capture and Storage) sind laut ExpertInnen nötig, um auch in Bereichen mit
       kaum vermeidbaren Restemissionen Klimaneutralität zu erreichen – etwa in
       Teilen der Industrie. Einige Umweltverbände hingegen fürchten, CCS sei bloß
       eine Scheinlösung, die den Ausstieg aus den fossilen Energiequellen
       blockiert.
       
       [1][Norwegen] ist das Partnerland der Hannover Messe, die Bundeskanzler
       Olaf Scholz (SPD) am Sonntagabend eröffnet hat. Die größte Industriemesse
       der Welt steht in diesem Jahr unter dem Motto „Energizing a Sustainable
       Industry“ – Energie für eine nachhaltige Industrie. Es geht also darum, wie
       Unternehmen die Energiewende gestalten, ohne an Wirtschaftskraft zu
       verlieren. Aber eigentlich geht es zunächst vor allem: um CCS.
       
       Scholz kündigte an, beim Abscheiden von CO₂ mit Norwegen
       zusammenzuarbeiten. Beide Länder seien „fast symbiotisch miteinander
       verbunden“, schwärmt er vor Hunderten Vertreter*innen aus Politik und
       Wirtschaft. Nicht alle Industrieprozesse würden sich bis 2045 vollständig
       dekarbonisieren. Das Öl- und Gasförderland [2][Norwegen sei Vorreiter bei
       den Erneuerbaren Energien – und bei CCS technologisch führend]. „Deshalb
       setzen wir gemeinsam auf diese Technologie im Kampf gegen den Klimawandel“,
       betonte Scholz.
       
       ## „Alles CO₂Europas speichern“
       
       Bedenken wegen möglicher Risiken versuchte der norwegische Premierminister
       Jonas Gahr Støre zu zerstreuen. [3][Norwegen habe mehr als 25 Jahre
       Erfahrung mit CCS und könne „alles CO₂ Europas speichern“.] Auch
       Bildungsministerin Stark-Watzinger fällt ein in den Chor der Stimmen pro
       CCS: Der Klimawandel lasse „keine Zeit für Technologieverbote“. Welche
       genau das sein sollen, lässt sie offen.
       
       Ein Bericht im Auftrag der Bundesregierung betont im Einklang mit Studien,
       dass der Einsatz von CCS „in erheblichen Maßstab“ notwendig sei, um
       Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Ende Februar hat die
       Bundesregierung erstmals eine Strategie vorgelegt, die vorsieht,
       Kohlendioxid in der Nordsee zu verpressen. Das Umweltbundesamt warnte
       jedoch vor dem hohen Energieaufwand, der für Abscheidung, Transport und
       Speicherung von Kohlendioxid notwendig wäre. Viele Umweltverbände meinen,
       dass bis jetzt nicht nachgewiesen sei, dass die dauerhafte, sichere
       Lagerung großer Mengen verpressten Kohlenstoffdioxids im Untergrund
       gelingen könne.
       
       Für eine weitere Art der CO₂-Abscheidung wurde am Montag in Lägerdorf an
       der Westküste Schleswig-Holsteins der Startschuss gegeben – auch mit viel
       Politik-Prominenz. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und
       Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) vollzogen hier den ersten
       symbolischen Spatenstich für den Umbau eines [4][Zementwerks], das bis 2029
       klimaneutral sein soll. Bislang rangiert die Anlage des Schweizer Konzerns
       Holcim auf Platz zwei der CO₂-Emittenden in Schleswig-Holstein.
       
       Die Emissionen entstehen, wenn Kalkstein bei bis zu 1.450 Grad Celsius zum
       sogenannten Klinker gebrannt wird. In Lägersdorf soll nun unter anderem
       eine neue Ofentechnik den CO₂-Ausstoß insgesamt jährlich um 1,2 Millionen
       Tonnen senken. Das bei dem Prozess weiter entstehende CO₂ soll nahezu
       vollständig abgeschieden und laut dem Unternehmen in der
       Lebensmittelindustrie für kohlensäurehaltiges Wasser oder in der
       Chemieindustrie als Rohstoff verwendet werden.
       
       Derzeit entstehen bei der Zementproduktion in Lägerdorf etwa sechs bis
       sieben Prozent der CO₂-Emissionen Schleswig-Holsteins. Und dennoch gibt es
       Kritik an dem Projekt, so vom [5][Bund für Umwelt und Naturschutz] (BUND):
       So benötigt das Zementwerk laut BUND nach dem Umbau das Dreieinhalbfache an
       Energie und das Fünfzehnfache an Kühlwasser. Auch der geplante Kreideabbau,
       mit dem Holcim seine Rohstoffversorgung für die nächsten 100 Jahre sichern
       wolle, vernichte Wald und Wiesen auf ehemaligen Moorböden. Der BUND
       forderte daher klimawirksame Ausgleichsmaßnahmen.
       
       22 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Habecks-CO2-Speicherplaene/!5991971
 (DIR) [2] /Kooperation-mit-Norwegen/!5903992
 (DIR) [3] /Norwegens-Endlager-fuer-Kohlendioxid/!5823921
 (DIR) [4] /Klimastudie-zur-Chemieindustrie/!5994866
 (DIR) [5] https://www.bund-sh.de/presse/pressemitteilungen/detail/news/zementwerk-erweiterung-in-laegerdorf-bund-fordert-ausgleich/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maximilian Arnhold
 (DIR) Kai Schöneberg
       
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