# taz.de -- Vorwürfe wegen Atomausstieg: Tricks von Habeck und Lemke?
       
       > Haben die grünen Minister beim Atomausstieg manipuliert? Die Union denkt
       > laut über einen Untersuchungsausschuss nach.
       
 (IMG) Bild: Minister Robert Habeck bei der Plenardebatte des Bundestags am Freitag
       
       Die Reihen der Koalition standen – ausnahmsweise. Es sei „völlig logisch“,
       wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) entschieden habe, sagte der
       klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, nach einer der
       Ausschuss-Sondersitzungen, die am Freitag eilig im Bundestag einberufen
       worden waren. Die Opposition war da weniger handzahm: Es habe „Verdrehung
       von Fakten statt ergebnisoffener Prüfung“ in Habecks und im ebenfalls
       zuständigen und ebenfalls grün geführten Umweltministerium gegeben,
       zeterten Unions-Politiker. Sie drohten sogar mit einem
       Untersuchungsausschuss.
       
       Haben „Strippenzieher der Grünen 2022 die Entscheidung über eine
       Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke manipuliert“? Haben Habeck
       und Parteikollegin Steffi Lemke beim grünen Kernthema Atomausstieg
       getrickst, um der Parteibasis einen Erfolg vorzulegen – drei stillgelegte
       Atomkraftwerke? [1][So insinuiert es eine Recherche des Monatsmagazins
       Cicero.] Danach sollen sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium
       im Frühjahr 2022 Expertenbedenken zum damals noch für den folgenden
       Jahreswechsel geplanten Atomausstieg unterdrückt worden sein.
       
       Cicero hatte sich Einsicht in interne Unterlagen aus dem
       Bundeswirtschaftsministerium gerichtlich erstreiten müssen. Aus den
       Papieren geht angeblich hervor, dass Aussagen von eigenen Fachleuten wie
       auch von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in den
       beiden Bundesministerien zugunsten des bereits geplanten Atomausstiegs
       umgedeutet worden sein sollen.
       
       Kern der Geschichte ist die Angst um die Energieversorgung Deutschlands
       nach Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022. [2][Nur wenige
       Monate später sollten damals die Meiler Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim
       II vom Netz gehen.] Nur kurze Zeit später, am 1. März, erklärten laut
       Cicero zwei Referenten und ein Referatsleiter aus dem für Reaktorsicherheit
       zuständigen Umweltministerium, dass ein Weiterbetrieb der drei Reaktoren
       „mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar“ sei – und
       dies sogar „über mehrere Jahre“.
       
       Gerrit Niehaus, Abteilungsleiter für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz
       im Umweltministerium, habe sich dann aber darangemacht, „die Kernbotschaft
       des Vermerks in ihr Gegenteil zu verkehren“. In einer neuen Textversion aus
       seiner Abteilung habe es geheißen: „Eine Laufzeitverlängerung ist aus
       Gründen der nuklearen Sicherheit abzulehnen.“ Die Originalversion des
       Vermerks soll Habeck jedoch nie zu Gesicht bekommen haben.
       
       ## Habeck schätzte das Papier scheinbar als „famos“ ein
       
       Im nächsten Schritt soll sein damals noch im Dienst befindlicher und
       [3][später geschasster Staatssekretär Patrick Graichen] daraus ein
       fünfseitiges Papier verfasst haben. Tenor: Nach „einer Abwägung von Nutzen
       und Risiken“ sei eine Laufzeitverlängerung nicht zu empfehlen. Dieses
       Dokument bewertete zwar selbst Atomkritiker Niehaus als in Teilen
       „juristisch grob falsch“. Gleichwohl habe Graichen es an Habeck
       weitergeleitet. Der schätzte das Papier offenbar als „famos“ ein – und
       arbeitete damit weiter. Cicero kommt zum Ergebnis: „Die Fachleute im
       Ministerium fanden kaum Gehör. Ihre Einschätzungen wurden ignoriert oder
       verfälscht.“
       
       Zudem zitiert das Magazin Fachleute aus Habecks Ressort, die Anfang März
       2022 schrieben, es sei „unklar, ob für den nächsten Winter ausreichend
       Erdgas eingespeichert werden kann“, um neben den anderen Gasverbrauchern
       auch noch „einen tagelangen Betrieb von Gaskraftwerken“ zu ermöglichen. Das
       ist rückblickend allerdings gelungen, nicht zuletzt durch die extrem
       schnell gebauten LNG-Terminals an Nord- und Ostsee.
       
       Habeck und Lemke wiesen die Vorwürfe zurück. „Das ist kein Spiel, wir
       reden über nukleare Sicherheit“, sagte die Umweltministerin. Habeck
       erklärte: „Die Unterlagen erzählen eine andere Geschichte, als es
       kolportiert wurde, nämlich dass das Ministerium und meine Person, und zwar
       schon vor dem russischen Angriffskrieg, aktiv auf die Betreiber der
       Atomkraftwerke zugegangen ist mit der Frage: Können eure Dinger länger
       laufen?“ Für ihn habe „die Versorgungssicherheit absolute Priorität“
       gehabt, sein Ministerium „ohne Denkverbote“ gearbeitet. Nachdem die
       AKW-Betreiber gesagt hätten, die Brennstäbe könnten noch etwas länger
       laufen, sei die Laufzeit bis 15. April 2023 verlängert worden.
       
       26 Apr 2024
       
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