# taz.de -- TV-Schimmelreiter goes Klimakrise: Durchtherapierte Schnippigkeit
       
       > Viel Bohei wird gemacht, weil Robert Habeck, Ehemann der Schriftstellerin
       > Andrea Paluch, an der Romanvorlage zu dem Film mitgewirkt hat. Alles
       > umsonst!
       
 (IMG) Bild: Alte Bekannte: Iven (Anton Spieker, li) und Wienke (Philine Schmölzer, Mitte) treffen auf Ann-Grethe (Janina Stoppe, r)
       
       Muss denn tatsächlich [1][immer die Jugend alles rausreißen]? Wir Älteren
       haben das Klima versaut und verharren auch in anderen gesellschaftlichen
       Bereichen im Nach-mir-die-Sintflut-Modus. Gerecht ist das dann nicht, dass
       eine 26-jährige [2][Philine Schmölzer] als Hauptdarstellerin daherkommt und
       einen ganzen Film rettet, der ohne sie das Niveau Schmonzette kaum
       überschreiten würde.
       
       So aber ist die „Schimmelreiter“-Adaption „Die Flut – Tod am Deich“ zwar
       immer noch zu lang und musikalisch mal nervtötend, mal unterkomplex
       unterlegt, aber eben doch sehenswert. Schmölzer ist dabei immerhin schon
       26, eignet sich aber die durchtherapierte Schnippigkeit ihrer deutlich
       jünger angelegten Protagonistin Wienke Haien souverän an, auch wenn
       kleinste Modulierungsreste ihre zur Nordseestory nicht recht passende
       österreichische Herkunft verraten.
       
       Wienke heißt zunächst Elisabeth Schmidt und lebt als Vollwaise mit
       ungeklärter Herkunft in einer Einrichtung für betreutes Wohnen für
       Jugendliche und junge Erwachsene in Hamburg. Durch Zufall trifft sie auf
       Iven (Anton Spieker), der auf dem Kiez als Türsteher arbeitet. Von ihm
       erhofft sie sich Aufklärung über ihre wahre Identität und das Schicksal
       ihrer Eltern. Unter lautstarken Auseinandersetzungen und mit ihrem
       Ersparten gelingt es ihr, den cholerischen jungen Mann dazu zu bringen, mit
       ihr ins Nordseedorf Stegebüll zu fahren, das vor vielen Jahren von einer
       verheerenden Sturmflut getroffen worden ist. Bei ihr sollen Wienkes Eltern
       umgekommen sein.
       
       Es handelt sich also um eine Art Besuch der jungen Dame, deren Wiederkehr
       mit Aufklärung und mit Ansprüchen verbunden ist und insofern natürlich auf
       Widerstände bei der einheimischen Bevölkerung stößt. In Rückblenden und mal
       dramatischen, mal komischen Szenen klärt sich die ganze Angelegenheit dann
       auf. Das Mysteryelement wird dabei einfach durch lange Einstellung gelöst,
       bei denen nichts passiert. Wenn man das mal kapiert hat, drückt man schnell
       in der Mediathek die Vorlauftaste des fast zwei Stunden langen Films.
       
       ## „Zur Auflockerung“
       
       Bei der ganzen Sache wird man den Verdacht nicht los, dass es sich hier um
       ein Produkt handelt, das als wesentlichen Gebrauchswert den hat,
       [3][dereinst im Deutschunterricht eingesetzt zu werden], „zur
       Auflockerung“, wie man uns schon vor Jahrzehnten in regelmäßigen Abständen
       drohte.
       
       Dahinter steckt vermutlich immer die Idee, es sei eine Überforderung, den
       „Schimmelreiter“ im Original zu lesen und dann mit sich allein sowie im
       Klassenverband auszuhandeln, was an der Lektüre relevant, was tödlich
       langweilig (wobei das auch relevant sein kann) oder aktuell zu gebrauchen
       sei.
       
       In der Ankündigung wird recht viel Bohei darum gemacht, dass der Film auf
       dem Roman [4][„Hauke Haiens Tod“] von Andrea Paluch und ihrem Mann Robert
       Habeck basiert, wobei dieses Buch wiederum eine
       „Schimmelreiter“-Bearbeitung ist. Um die Themen, die den Macher:innen
       der „Flut“ gewiss am Herzen liegen, in Szene zu setzen, brauchte es aber
       diesen doppelten Bildungsballast gar nicht. Wir – und die Jugend erst recht
       – wissen schon, was Sache ist, wenn Deichgraf Hauke sagt: „Du hast ja auch
       schon mal vom Klimawandel gehört, ’ne? Der Meeresspiegel steigt. Wir müssen
       jetzt was unternehmen!“
       
       Neben der großen Kunst von Philine Schmölzer hat der Film dann auch
       zwischenmenschliche Konfliktebenen, die funktionieren. Und die Welt retten
       ist am Ende ja immer richtig.
       
       27 Apr 2024
       
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