# taz.de -- berliner szenen: Zwischen Hund und Wolf
       
       Zwischen Hund und Wolf – „entre chien et loup“, sagt jemand auf
       Französisch. Aus meiner Muttersprache kenne ich den Ausdruck nicht. Ich
       finde ihn schön. Viel schöner als „Zwischen Tag und Nacht“, wie man auf
       Spanisch den Moment, an dem wir uns gerade befinden, benennen würde.
       
       Wir sind auf dem Tempelhofer Feld mit E., und tatsächlich ist der Himmel
       weder blau noch schwarz. Langsam wird es kalt, und der Boden fühlt sich
       nass an. Trotzdem dürfen wir so lange bleiben, wie wir wollen, ohne dass
       jemand schreiend aufspringt und wie verrückt zu tanzen beginnt: Die
       Junikäfer sind noch nicht da.
       
       Das letzte Mal, als ich sie erlebte, im vergangenen Sommer, war E. dabei.
       Es bringt sie immer noch zum Lachen, dass ich den Käfer geboxt habe. Damals
       war E. noch in der Stadt, und nach Feierabend haben wir oft am Feld ein
       Bierchen getrunken. Wir waren Nachbarinnen. Und sind es immer noch
       gelegentlich, denn sie darf in ihrer Wohnung wohnen, wenn sie hierher
       kommt. Berlin fehlt ihr. Die Leute vor allem, aber auch der Lärm und sogar
       die Müllhaufen, die in unserem Kiez Teil der Landschaft sind. Das vermisst
       sie in der Schweiz, wo sie jetzt lebt, sagt sie.
       
       Wir alle vermissen sie, ihr Lächeln, ihre gute Laune, ihre Ausstrahlung. An
       diesem Sonntag strahlt sie auch. Die 21 Kilometer, die sie ein paar Stunden
       zuvor beim Berliner Halbmarathon zurückgelegt hat, merkt man ihr nicht an –
       auch wenn sie behauptet, kaputt zu sein.
       
       Als vom Hund nicht mehr viel bleibt und es richtig dunkel wird, sind wir
       weniger auf der Picknickdecke geworden, auf der auch Flaschen, Reste von
       Humus und Fladenbrot, eine einzige Olive und einige leere Chipspackungen
       liegen. Darauf befinden sich außerdem E.s Laufschuhe und ein Pappplakat,
       auf dem „Läuf, E. Läuf!“ steht.
       
       Luciana Ferrando
       
       2 May 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Luciana Ferrando
       
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