# taz.de -- Betrugsprozess der „Gorch Fock“-Werft: Geld in Sicht
       
       > Die Elsflether Werft hat jahrelang bei Sanierungsaufträgen für
       > Marineschiffe Geld abgezweigt. Auch die „Gorch Fock“ wurde dort instand
       > gesetzt.
       
 (IMG) Bild: Die Gorch Fock wurde auch in der Elsflether Werft saniert, hier bei der Einfahrt nach Warnemünde
       
       OLDENBURG taz | Armer Staatsanwalt. „188,27 Euro von der Firma K.“ trägt er
       vor, „2.417,88 Euro von der Firma D.; 321 Euro und fünf Cent von der Firma
       N.“ Rund vier Stunden lang, Pausen schon abgerechnet, liest der Mann dem
       Oldenburger Landgericht in der Weser-Ems-Halle Summen vor aus langen
       Tabellen, eine nach der nächsten, noch eine, noch eine. Noch eine.
       
       Es sind die Ermittlungsergebnisse aus 1.450 durchgeackerten Aktenordnern,
       aus 14 Terabyte Dokumenten, die im Dezember bei der Elsflether Werft AG und
       bei privaten Hausdurchsuchungen beschlagnahmt wurden. Jede Zahl soll
       belegen, um wie viel Geld das Unternehmen das Verteidigungsministerium
       betrogen hat, systematisch und über Jahre. Immer mal wieder stehen Summen
       von mehreren 10.000 Euro im Raum, oft aber handelt es sich um
       Kleckerbeträge. Sie alle läppern sich laut Staatsanwaltschaft zusammen auf
       7.204.502,27 Euro.
       
       Interesse ruft der Prozess nicht nur durch die Höhe des Betrugs hervor,
       sondern vor allem durch einen Namen: „Gorch Fock“. Das Segelschulschiff der
       Marine ist eins von elf Projekten, das die Werft für das Marinearsenal der
       Bundeswehr sanieren sollte, und es wurde zu einem Fiasko für das
       Verteidigungsministerium.
       
       Folgt man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, so hatte die Elsflether
       Werft AG den Betrug am Staat zum Geschäftsmodell gemacht: Das Unternehmen
       bewarb sich immer wieder auf öffentliche Ausschreibungen des Marinearsenals
       der Bundeswehr – und bekam dabei seit 2014 den Zuschlag für elf größere
       Schiffssanierungsprojekte.
       
       Richtig gute Erfahrungen machte die Marine eigentlich nicht mit dem
       Auftragnehmer: Alle elf Projekte aus dem Zeitraum uferten aus, bei allen
       wurden über den ursprünglichen Auftrag hinaus Arbeiten erforderlich, trägt
       die Staatsanwaltschaft vor. Für die neuen Aufgaben gab es keine neuen
       Vergabeverfahren, sie wurden einfach als Folgeaufträge ebenfalls an die
       Elsflether Werft vergeben.
       
       ## Subunternehmen zahlen Prozente
       
       Der Betrug, den die Staatsanwaltschaft anklagt, lag aber in einem anderen
       Punkt: Die Werft durfte einzelne Aufgaben bei der Instandsetzung als
       Unterauftrag weitervergeben – und tat das im großen Stil. Im Fall der
       „Gorch Fock“ etwa wurde ein Großteil der Arbeiten von Subunternehmen
       übernommen. Sobald eine Firma den Zuschlag bekommen hatte, forderte die
       Elsflether Werft eine „Gutschrift“ von ihr ein: normalerweise 15 Prozent
       der Rechnungssumme. Vom Bund ließ sich die Firma trotzdem die volle
       Auftragssumme gegenfinanzieren.
       
       Und die Firmen, sie ließen sich darauf ein. Nur so konnten sie
       sicherstellen, Folgeaufträge zu bekommen. Die Zahlungen der Subunternehmen
       wurden daher auch als Bestechung in zahlreichen Verfahren gesondert
       verfolgt. Offenbar waren die Aufträge des Bundesverteidigungsministeriums
       auch mit 15 Prozent Abzug noch lukrativ genug. [1][Teilweise preisten
       Subunternehmen die 15 Prozent] auch einfach schon bei der
       Angebotskalkulation ein – man kannte ja die Praxis der Werft.
       
       Wenn man der Staatsanwaltschaft folgt, wussten die Firmen wohl, was sie
       taten – sie wurden von der Elsflether Werft AG darauf hingewiesen, dass sie
       die Gutschrift weder im Kostenvoranschlag noch in der Endrechnung angeben
       und auch sonst gegenüber dem Marinearsenal der Bundeswehr Stillschweigen
       bewahren sollten.
       
       ## Bis zu zehn Jahre Haft
       
       Auffällig ist, mit welcher bürokratischen Selbstverständlichkeit der Betrug
       über die Jahre vonstatten ging. „816,49 Euro“, trägt der Staatsanwalt vor,
       „1.411 Euro. 85,04 Euro.“ Selbst für kleine Beträge wurden die 15 Prozent
       bis auf den Cent genau eingefordert. Es gab damit zahlreiche Mitwisser aus
       verschiedenen Firmen.
       
       Zum Teil soll der Vorstand und Geschäftsführer Klaus Wiechmann die
       Gutschrift persönlich mit den Subunternehmen verhandelt haben; in anderen
       Fällen soll er die Projektleiter seines Vertrauens dazu instruiert haben.
       Bei Wiechmann jedenfalls lief laut Staatsanwaltschaft alles zusammen, er
       persönlich stellte sicher, dass die Rechnungen der Subunternehmen erst
       beglichen wurden, nachdem diese ihre „Gutschrift“ überwiesen hatten. Bis zu
       zehn Jahre Haft könnten dem Drahtzieher drohen.
       
       Neben Wiechmann ist auch sein damaliger Vorstandskollege Marcus Reinberg
       angeklagt. Laut Anklageschrift, die im Prozess verlesen wird, wusste er
       mindestens seit Januar 2018 von dem 15-Prozent-Prozedere, ohne
       einzuschreiten. Im Gegenteil: In einem E-Mail-Verkehr hatten Wiechmann und
       Reinberg gemeinsam überlegt, wie man die 15 Prozent in Zukunft etwas
       unauffälliger abrechnen könne.
       
       ## Stellungnahmen gegen Geldwäschegesetz
       
       Beide Angeklagten mussten Anfang 2019 den Vorstand der Elsflether Werft AG
       verlassen. Trotz der lukrativen Nebengeschäfte ging das Unternehmen damals
       in Insolvenz: Zu viel Geld hatten die Vorstände für Nebengeschäfte von
       Tochterfirmen abgezweigt.
       
       Der Jurist Reinberg arbeitet seitdem als Rechtsanwalt. Er hat sich zu
       Anti-Geldwäsche- und Compliance-Themen fortgebildet und verfasst nun mit
       ordentlich Chuzpe [2][Stellungnahmen gegen das Geldwäschegesetz.]
       
       Angeklagt ist in dem gewaltigen Prozess, für den 39 Verhandlungstage bis
       Ende Dezember angesetzt sind, auch noch eine der Subfirmen, die Aufträge
       angenommen hatte. Und angeklagt ist auch der Mann, durch den die ganze
       Sache ans Licht gekommen ist: der Rechnungsprüfer des Marinearsenals, Peter
       G.
       
       ## Kredit für den Rechnungsprüfer der Marine
       
       Statt einfach weiter Rechnungsprüfer zu sein, wollte der eine
       Seniorenresidenz bauen und brauchte einen großen Kredit. Als er den auf
       normalem Wege nicht bekam, fragte er 2016 und 2017 bei der Elsflether Werft
       AG nach, deren Rechnungen vom „Gorch Fock“-Projekt er gerade für das
       Marinearsenal prüfen sollte. 800.000 Euro bekam er als Darlehen von einer
       Tochterfirma, ohne weitere Sicherheiten. Beide Seiten wussten, so glaubt
       die Staatsanwaltschaft: Das Geld sollte sein Wohlwollen bei der
       Rechnungsprüfung kaufen.
       
       Die Sanierung der „Gorch Fock“ allerdings lief derweil aus anderen Gründen
       komplett aus dem Ruder, und spätestens 2018 fiel das auf. Die
       Sanierungskosten, ursprünglich auf 10 Millionen Euro veranschlagt, wurden
       nun auf 135 Millionen Euro geschätzt. Die öffentliche Aufmerksamkeit für
       das Projekt wuchs – und der Rechnungsprüfer G. stellte Selbstanzeige beim
       Ansprechpartner für Korruptionsprävention des Marinearsenals.
       
       Tatsächlich, zeigen spätere Ermittlungen, war das „Gorch Fock“-Debakel am
       Ende nur zu kleinen Teilen auf den Betrug der Elsflether Werft AG
       zurückzuführen – „nur“ gut 247.000 Euro sind dort durch falsche
       Abrechnungen versunken. „Ein Zusammenhang zwischen der Annahme der Darlehen
       und der Kostenexplosion bei der Instandsetzung der ‚Gorch Fock‘ konnte
       nicht hergestellt werden“, schreibt die Staatsanwaltschaft Osnabrück.
       Schuld war wohl in erster Linie, dass das Schiff von Anfang an eher ein
       Fall für einen Neubau gewesen wäre.
       
       Dennoch: G.s Selbstanzeige war in der Welt und gab mit durchschlagender
       Wirkung den Anlass für alle späteren Untersuchungen und den jetzigen
       Prozess.
       
       Wie lange die Elsflether Werft AG ihre Auftraggeber betrogen hat?
       Verhandelt werden in Oldenburg nur Fälle seit 2014, alles davor ist
       verjährt. Jedenfalls aber habe Klaus Wiechmann, so der Staatsanwalt, die
       Praxis grundsätzlich von seinem Vater Kurt Wiechmann übernommen. Der war 53
       Jahre im Unternehmen, davon die letzten 15 Jahre bis 2011 als Vorstand.
       
       22 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.mz.de/panorama/geschafte-mit-elsflether-werft-angeklagter-schweigt-3699409
 (DIR) [2] https://www.presseportal.de/pm/156927/5035606
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
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