# taz.de -- Die Wahrheit: Stille Stellen sind tief
       
       > Auf der Suche nach dem lärmlosesten Ort der Welt, der erstaunlicherweise
       > nicht im Steingarten eines buddhistischen Schweigeklosters liegt.
       
       Der gute Gitarrist weiß“, sagte mir ein mal ein guter Gitarrist, der das
       offenbar wusste, ein guter Gitarrist also wisse, „welche Noten er nicht
       spielen muss“. Leider sind manche Bonmots wie Kaugummis. Zuerst gibt’s den
       Zuckerflash – aber je länger man darauf herumkaut, umso fragwürdiger
       schmeckt es irgendwann. Wobei das auch für die Schriftstellerei gilt.
       
       Eine gute Schriftstellerin weiß angeblich, welche Worte sie nicht schreiben
       muss. Wobei in beiden Fällen, am Instrument wie an der Schreibmaschine, ein
       Rest an Noten beziehungsweise Worten bleibt, die eben doch gespielt oder
       geschrieben werden müssen. Weil ansonsten Stille oder Schweigen herrschte.
       Knifflig.
       
       Was Stille betrifft, so habe ich für mich eine neue „Benchmark“ gefunden –
       also eine Stille, an der alle anderen Stillen sich messen lassen müssen.
       Gefunden habe ich sie, diese bemerkenswerte Stille, nicht etwa im Garten
       meiner Holzhütte mitten im Wald; denn es liegt dieser Wald leider im
       Zentrum der Multinational Aircrew Electronic Warfare Tactics Facility
       (MAEWTF), eines sehr großzügigen Polygons von Gebiet, in dem Kampfflieger
       das Kampffliegen testen und zu diesem Zweck mit Nachbrenner mehr oder
       weniger hübsche Pirouetten in den Himmel malen. Man gewöhnt sich dran.
       
       Nein, der bemerkenswertesten Stille meines bisherigen Lebens begegnete ich
       im Suvanabhumi Airport Rail. Das ist der Zug, der Reisende vom Flughafen
       ins Zentrum von Bangkok befördert. In den ersten fünf Minuten war ich
       alleine, da war es auch schon leise. Aber an der nächsten Station, Lat
       Krabang, füllte sich das Abteil in einer Art humaner Druckbetankung
       schlagartig mit jugendlichen Pendlern.
       
       Sofort herrschte die totale Tuchfühlung – und eine Stille so absolut wie
       das Schweigen mancher Linker zu den Verbrechen der Hamas. Alle waren so
       konzentriert und andächtig mit ihren Smartphones beschäftigt, dass ich mich
       im Steingarten eines buddhistischen Schweigeklosters wähnte. Erstmals seit
       langer Zeit konnte ich mich wieder mit Muße auf meinen Tinnitus
       konzentrieren. Diese erzhöflichen, unergründlichen Südostasiaten!
       Hauptnachricht des Tages in Thailand: Anerkennung der
       gleichgeschlechtlichen Ehe. Yeah.
       
       Ganz anders im eher ergründlichen Berlin kurze Zeit später, eingepfercht im
       busgestützten Schienenersatzverkehr auf der Linie U 6. Es war zu eng sogar
       für sehr gute Gitarristen, und es herrschte das übliche babylonische
       Gemurmel. Plötzlich aufgebrachtes Gebrüll: „Ey, traust disch noch mal,
       misch anzufassen! Ey! Du schwuler Sack!“ Nach einer Schrecksekunde der
       ebenso druckvolle Konter: „Was’ los? Drehste durch, Digger? Isch hab disch
       gar nischt angefasst!“ Kurze Pause, dann der Nachtrag: „Du homophobe Sau!“
       
       Danach herrschte dann keine moderne, aber sehr progressive Stille.
       
       26 Apr 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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