# taz.de -- Kaum Frauen in Führungsjobs der Medizin: Und täglich grüßt der Chefarzt
       
       > Frauen machen zwei Drittel aller Medizinstudierenden aus – sind später in
       > Führungsjobs aber kaum vertreten. Einige Kliniken probieren es mit
       > Quoten.
       
 (IMG) Bild: Die medizinischen Führungsjobs bleiben eine Männerdomäne
       
       BERLIN taz | Bente Bierbaß hat Spaß am Studium. Die 25-Jährige studiert
       Medizin in Berlin. Damit ist sie [1][eine von gut 100.000 Studierenden der
       Medizin in Deutschland]. Knapp zwei Drittel davon waren im Wintersemester
       2022/23 laut statistischem Bundesamt Frauen. Dass ihr Studium weiblich
       dominiert ist, merkt Bente allerdings nur an ihren Kommiliton*innen. Unter
       Dozierenden, Professor*innen sowie Chefärzt*innen sind Frauen immer
       noch stark unterrepräsentiert.
       
       An der Charité in Berlin sind beispielsweise weniger als ein Drittel der
       Professuren von Frauen besetzt. Das stört die Studentin. „Wir haben viel
       mehr Unterricht bei männlichen Dozierenden. Da fehlen die Role-Models für
       Frauen“, moniert sie. Noch geringer ist der Anteil unter Chefärzt*innen:
       Bundesweit liegt ihr Schnitt an Universitätskliniken bei gerade mal 13
       Prozent.
       
       Dieses Problem herrscht in der Medizin jedoch nicht nur an den
       Universitäten. Allgemein ist es in der Medizin so, dass für Frauen die Luft
       immer dünner wird, je höher es die Karriereleiter hinaufgeht. [2][Von den
       knapp 430.000 tätigen Ärzt*innen in Deutschland sind etwa die Hälfte
       weiblich]. Bei Führungspositionen schmilzt der Anteil der Medizinerinnen
       laut Bundesärztekammer jedoch auf nur 17 Prozent.
       
       ## Entwicklung in der Medizin sehr langsam
       
       Die Sportpsychologin und emeritierte Professorin Dorothee Alfermann
       beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Karrieren von Frauen und wie
       sich Geschlechterrollen auf diese auswirken. „Wenn man Geschlechtsforschung
       macht, kommt man irgendwann auch auf Berufsgruppen, wo besonders wenige
       Frauen an die Spitze kommen. Und da gehört die Medizin dazu“, erklärt sie.
       Anders als in anderen Branchen beobachtet Alfermann in der Medizin aber
       kaum Bewegung. „Absolvent*innen sind zu 60 Prozent Frauen, und das ist in
       Deutschland seit 20 Jahren so. Man könnte denken, es braucht ein bisschen
       Zeit, bis sich das bis nach oben durchsetzt. Aber eigentlich hätte das
       schon sehr viel stärker passieren müssen.“
       
       Warum tut sich gerade die Medizin so schwer, Geschlechtergerechtigkeit in
       Führungspositionen herzustellen?
       
       Für Alfermann hat es etwas mit einem sehr männlich geratenen Arbeitsbild zu
       tun. Die Idealvorstellung des Klinikchefs, der oft mehr als 50 Stunden die
       Woche arbeitet, habe in der Vergangenheit nur funktioniert, weil es
       Partnerinnen gab, die den [3][Großteil der unbezahlten Care-Arbeit
       übernahmen]. „Kliniken sind eine der letzten Bastionen der
       Selbstausbeutung“, so Alfermann. „Es ist eine sehr eindimensionale
       Vorstellung: Der Arzt, der sich dem Beruf widmet und sich kaum etwas
       anderes erlaubt. Solange diese Idealvorstellung des Klinikchefs existiert,
       ist das für Frauen weniger attraktiv.“
       
       Ein weiterer Punkt sind Kinder: Der Knick in der Karriere einer Frau kommt
       auch bei Ärztinnen häufig nach der ersten Schwangerschaft. Während Frauen,
       die keine Kinder bekommen, karrieremäßig oft genauso dastehen wie Männer,
       ziehen sich Mütter nach der Geburt des ersten Kindes verstärkt aus dem
       Erwerbsleben zurück. Hinzu kommen strenge Arbeitsschutzrestriktionen für
       schwangere Frauen: Nachtschichten, Noteinsätze und alles, was mit möglichen
       Gefährdungen zu tun hat, sind verboten. Das führt dazu, dass Frauen oft
       schon während der Schwangerschaft abgeschrieben werden, sagt Alfermann. Die
       Folge: Frauen arbeiten nach der Schwangerschaft häufiger in Teilzeit als
       ihre Partner.
       
       Studentin Bente Bierbaß sieht das als ein gesamtgesellschaftliches Problem,
       das in der Medizin aber noch stärker zum Tragen komme. „Die Medizin ist da
       wie ein Brennglas. Ich denke, die Arbeitsstrukturen in Kliniken begünstigen
       dieses hierarchische, traditionelle Bild sehr stark.“ Ihr fehlen flexiblere
       Arbeitszeitmodelle vor allem in Führungspositionen, damit Karriere und
       Familie besser vereinbart werden können.
       
       ## Kliniken verweisen auf neue Arbeitszeitmodelle
       
       Die Krankenhausketten selbst sehen sich dagegen gut aufgestellt. So teilt
       Asklepios auf taz-Anfrage mit, dass es in ihren Kliniken flexible
       Arbeitszeitmodelle gebe, die individuell angepasst werden können. So sei
       auf Initiative der Belegung in der Asklepios-Klinik Wandsbek ein Modell
       entstanden, bei dem drei Chefärztinnen sich die Leitung der gynäkologischen
       Abteilung teilen. Insgesamt sind in Asklepios-Kliniken trotzdem nur 16
       Prozent der Chefärzt*innen weiblich. Bei den Helios Kliniken GmbH, die
       in Deutschland mehr als 80 Kliniken mit über 30.000 Betten betreibt, sind
       es 13 Prozent – genauso niedrig wie an den Universitätskliniken.
       
       Einen im Vergleich überdurchschnittlich hohen Frauenanteil unter
       Chefärzt*innen verzeichnen die Vivantes Kliniken des Landes Berlin. Dort
       wurde im Jahr 2016 ein Frauenförderplan aufgestellt, der unter anderem eine
       Frauenquote von 25 Prozent für Chefärzt*innen und 50 Prozent für
       Oberärzt*innen bis 2022 vorgab. Beide Quoten wurden zwar verfehlt,
       mittlerweile kommt Vivantes ihnen aber laut eigenen Angaben sehr nahe – mit
       24,9 respektive 43,3 Prozent. Es sind die höchsten Prozentzahlen in den
       jeweiligen Bereichen, auf die die taz während dieser Recherche gestoßen
       ist. 2022 lief der Frauenförderplan der Vivantes Kliniken jedoch aus, bis
       dato wurde noch kein neuer vorgestellt.
       
       Es zeigt: [4][Quoten können ein effektives Mittel sein], um den Anteil an
       Frauen in medizinischen Führungspositionen zu erhöhen. Das bekräftigt auch
       eine Studie der Soziologin Jessica Kim vom Wissenschaftszentrum Berlin.
       Sie hat untersucht, wie sich die öffentliche Meinung über Frauen in der
       Politik durch die Einführung von gesetzlichen Geschlechterquoten
       verändert. Kim ist der Meinung, dass Frauenquoten in jedem Gebiet wirken
       können, in dem Frauen strukturell unterrepräsentiert sind.
       
       Medizinstudentin Bente Bierbaß hält eine Quotenregelung für überfällig:
       „Wir haben es lange genug ohne Quoten versucht. Langsam ist der Punkt
       erreicht, wo eine Frauenquote hermuss. Ich glaube, das ist mittlerweile die
       einzige Möglichkeit, um paritätisch besetzte Führungspositionen zu schaffen
       und Strukturen zu verändern.“
       
       Eine politische Mehrheit dafür gibt es aktuell jedoch nicht. Schon vor gut
       zehn Jahren forderte [5][der Verein „Pro Quote Medizin“ eine Frauenquote
       von 50 Prozent in medizinischen Führungspositionen bis 2023]. 130 Personen
       aus Medizin und Politik unterzeichneten damals einen offenen Brief, unter
       anderem an die Krankenhausträger, die Bundesärztekammer und das damals
       FDP-geführte Bundesgesundheitsministerium. Aus diesem Ministerium, heute
       geführt von Sozialdemokrat Karl Lauterbach, heißt es auf taz-Anfrage, dass
       die Gleichstellung von Frauen und Männern „ein ausdrückliches Ziel der
       Bundesregierung“ sei. In den Führungsgremien der Kassenärztlichen
       Vereinigungen sei eine paritätische Beteiligung von Frauen, wie im
       Koalitionsvertrag vorgesehen, bereits gesetzlich festgelegt. Eine Quote für
       Führungspositionen in Kliniken sei derzeit jedoch nicht geplant:
       „Grundsätzlich fällt die Personalplanung inklusive der Stellenbesetzung in
       die Organisationshoheit der Einrichtungsträger.“
       
       ## Bundestagsfraktionen sind zurückhaltend
       
       Und auch unter den Bundestagsfraktionen scheint aktuell niemand für das
       Thema zu brennen. Nur die Linkspartei fordert explizit eine Frauenquote in
       der Medizin. Grüne und SPD halten sie zumindest für eine sinnvolle
       Maßnahme. Die übrigen Fraktionen sind dagegen. Dorothee Alfermann hofft
       deshalb auf eine europäische Lösung: „Deutschland ist ein sehr
       konservatives Land, was das Frauenbild betrifft. Und ich beobachte, dass
       alle Initiativen, die auf stärkere Gleichstellung aus waren, mehr bewirkt
       haben, wenn sie aus Europa kamen.“
       
       Zusätzlich müssten sich wohl auch Einstellungen gegenüber Müttern in der
       Arbeitswelt in der Bevölkerung ändern, um vor allem Frauen mit Kindern eine
       gleichberechtigte Chance auf Führungspositionen zu gewähren. In ihrer
       Forschung hat Alfermann nachgewiesen, dass Müttern nach dem Wiedereintritt
       in den Beruf mangelnde Motivation nachgesagt wird, während Väter vom
       sogenannten Vaterbonus profitieren: Von ihnen wird erwartet, sie wären nach
       der Geburt eines Kindes motivierter, da sie jetzt eine Familie zu ernähren
       hätten. „Das ist so verwunderlich, weil in Kliniken der ganze Pflegebereich
       fast ausschließlich von Frauen geleistet wird. Die bekommen ja auch Kinder.
       Aber bei Ärztinnen hat sich das anscheinend noch nicht rumgesprochen“,
       wundert sich Alfermann.
       
       Bente Bierbaß findet für dieses Phänomen deutliche Worte: „Das macht mich
       unglaublich wütend, weil es einfach ein absolutes Vorurteil ist. Es zeigt,
       wie sehr patriarchale Strukturen in jede Pore gesellschaftlichen Lebens
       vorgedrungen sind.“
       
       29 May 2024
       
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