# taz.de -- Deutschrap von Jace&Dexter: Absteigende Mittelschicht
       
       > Das Deutschrapduo Jace&Dexter kehrt mit dem Album „9Leben“ zurück zum
       > klassischen Storytelling. Retro klingen sie deshalb nicht.
       
 (IMG) Bild: Jay & Dexter
       
       Stimmen, die beim Rappen so klingen, als würde ein Alien weinen. Beats, die
       jedes erdenkliche Fiepen und Dröhnen integrieren. Technisch ist alles
       möglich. [1][Weil dem so ist, wurde Rapmusik in den letzten Jahren auch
       hierzulande immer stärker zum Wettbewerb] um das interessanteste
       Sounddesign.
       
       Geschichten erzählen zeitgenössische Rapper*innen wie Ufo361 und
       Pashanim in ihren Reimen keine mehr. [2][Eher geht es um ästhetisches
       Vernuscheln von Vokalen und die postmoderne Aneinanderreihung von Codes].
       
       Wie lässt sich also adäquat auf die unendlichen Möglichkeiten von
       verzerrten Stimmen und textlicher Verknappung reagieren? Eine Antwort
       darauf liefert der Hamburger Rapper Jace (Jacob Jüngst). Er verfolgt auf
       seinem neuen Album „9 Leben“, das er zusammen mit dem schwäbischen
       Produzenten Dexter (bürgerlich Felix Göppel, ein bis 2020 praktizierender
       Kinderarzt) aufgenommen hat, eine simple, aber wirkmächtige Formel: Die
       Rückbesinnung auf gerappte Storys plus Samplebeats. Klingt retro, ist es
       aber nicht.
       
       ## Wortketten sind nicht cringe
       
       Denn Jace ist in den Zwanzigern, wurde von Trap aus Atlanta und Drill aus
       Chicago geprägt, hat [3][Aufstieg und Fall von Cloudrap] und
       Internet-Memekultur verinnerlicht. All das Wissen findet sich auf seinem
       Album genauso wieder wie die Erkenntnis, dass in Wortketten und ausgefeilte
       Reime verpackte Selbstreflexionen immer noch eine gute Erzählform sein
       können. Und damit auch ja niemand falsch versteht, dass es sich hier nicht
       um einen hohlen Aufguss handelt, setzt Jace die Abgrenzungsmarker klug.
       
       Im Track „Ghislane & Jeffrey“ etwa heißt es am Anfang noch halb ernst auf
       [4][Nas und seinen US-HipHop-Klassiker] von 1994 referierend „The World is
       yours – und so weiter und so fort“. Im Songfinale lassen Jace und Dexter
       den umstrittenen Wiener Memelord und Trap-Aficionado Money Boy etwas über
       Hotels und KFC lallen. Zwischen Nas und Money Boy, zwischen 1994 und 2024
       liegen 30 Jahre (sub)kulturelle Weiterentwicklung im HipHop und Jace
       schafft es, diese weit voneinander entfernten Welten miteinander zu
       verbinden.
       
       Während in den USA mit Rappern wie Mike und Earl Sweatshirt längst eine
       neue Generation von Liebhabern des ausufernden assoziativen Storytelling
       etabliert ist, passiert das hierzulande eher in Nischen. Jace knüpft auf „9
       Leben“ an diese Strömung an. Seine Reime verzichten auf Slogans und
       kompetitive Posen, in ihnen manifestiert sich nur die Erzählinstanz Jace
       durch unterhaltsame Introspektionen und Beobachtungen.
       
       ## Mal psychedelisch, mal proggy
       
       Das passende Soundkorsett von Dexter setzt sich aus Schnipseln von mal
       psychedelisch, mal proggy anmutenden Songs zusammen. Die Samples scheinen
       aus vergessenen Library-Music-Sammlungen zu entstammen. Manchmal reicht
       dabei die Reduktion auf geloopte Klavierfragmente ganz ohne taktgebende
       Drums – wie in „Einstein“ und „Youngins“ – aus.
       
       Sie geben der Stimme von Jace Raum und erzeugen dank der Kraft der
       Wiederholung ein angenehmes Grundrauschen. „Wurde groß / Weit weg von ’nem
       Brennpunkt / Ja, sie droh’n Mama mit Pfändung / Fernseher mit nur vier
       Sendung’n / Hoffen immer noch auf eine Wendung“, rappt Jace am Anfang des
       Albums und spricht so über das Aufwachsen in einer bitteren Realität: Darin
       sind Menschen, die früher zum Mittelstand gehörten und dessen Gestus noch
       bedienen, schon längst in Armut abgerutscht.
       
       Es geht von oben nach unten, Erfolg ist in Jace’ Erzählungen ohnehin
       weniger an Materielles als viel mehr an Selbsterkenntnis geknüpft. Ihm
       dabei zuzuhören, wie er sich schwelgend und humorvoll um sich selbst
       windet, hat etwas Belebendes. Und das Album „9 Leben“ offenbart so auch,
       wie erzählfaul die deutsche Rapkonkurrenz im Vergleich zu Jace & Dexter
       mittlerweile klingt.
       
       1 Jun 2024
       
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