# taz.de -- berliner szenen: Süchtig nach Bechdel
       
       Die Köpfe mit Perücken im Afro-Shop in der Karl-Marx-Straße und die Braut
       auf dem Pferd im Hochzeitsgeschäft am Kottbusser Damm kommen mir heute
       melancholisch vor. Meine Lieblingsschaufensterpuppen gucken ausdruckslos
       vor sich hin, Kleidung und Augenschatten glitzern, als kämen sie gerade
       verkatert von einer Party ans Tageslicht nach draußen (nur das Pferd
       scheint so nüchtern wie immer zu sein). Oder als wären sie auch, wie ich,
       krank gewesen und heimlich aufgestanden, um ihre Stelle nicht unbesetzt zu
       lassen.
       
       Ich habe allerdings aus anderen Gründen das Bett verlassen. Zum einen, weil
       ich es nach einem Tag nicht weiter ertragen konnte, die strahlende Sonne,
       die dunklen grünen Blätter und den perfekten blauen Himmel nur durchs
       Fenster zu sehen. Oder, da jedes Mal, als ich es geschafft habe
       einzuschlafen, der Gesang der Vögel sich in den Soundtrack meiner Träume
       mischte. Zum wichtigeren anderen: Ich wollte es zur Buchhandlung schaffen,
       bevor sie schließt. Im Krankenbett habe ich angefangen, Dyke-Comics der
       US-amerikanischen Comiczeichnerin Alison Bechdel zu lesen und bin süchtig
       geworden. „Was?? Kennst du sie etwa noch nicht?“, hatten mehrere
       Freund*innen gefragt.
       
       Mit den letzten Reserven Energie gehe ich also hinaus, um mir mehr davon zu
       beschaffen. Ich steige die Treppe hinunter und eile, aber in Zeitlupe, über
       die Reuterstraße, die Sonnenallee und die Weserstraße in Richtung
       Hermannplatz. Mir tut alles weh. Wäre ich eine Comicfigur, würden fliegende
       Sternchen um meinen Kopf schwirren. Doch: Ich komme rechtzeitig zum
       Buchladen und kaufe das Buch (eine Gesamtausgabe), dann entscheide ich
       mich, noch beim Asiamarkt vorbeizugehen. Gute Lektüren und scharfe Suppen
       werden alles wieder gut machen.
       
       Luciana Ferrando
       
       17 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Luciana Ferrando
       
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