# taz.de -- berliner szenen: Zwei Lieder die Straße entlang
       
       Zwei Lieder und ich bin am Hermannplatz. Diese Zeit brauche ich, um den
       Berg hinunter zu joggen. Um 10 Uhr morgens scheint die Sonne auf der linken
       Seite der Hermannstraße. Am Kino Neues Off vorbei bekomme ich Fernweh nach
       Orten, an denen ich noch nie war, wie San Francisco oder London –
       besonders, wenn zufällig „Atomic“ von Blondie in meinen Ohren klingt.
       Manchmal überkommt mich auch die Sehnsucht nach meiner Heimatstadt Buenos
       Aires, konkret nach der Avenida Corrientes, der großen Straße, wo sich
       meine Lieblingskinos befinden.
       
       Ich bin aber in Neukölln, und es ist immer Donnerstag, wenn ich diesem
       Ritual nachgehe. So bewege ich mich zum Krafttraining meines Sportvereins
       und habe dabei das Gefühl, mich zu transportieren, als säße ich gemütlich
       in einem Auto und könnte die Landschaft aus dem Fenster beobachten. Es ist
       kein langer Weg, aber ich sehe dabei Leute und Läden. Zum Beispiel:
       Radfahrer*innen, die mit dem letzten Atem in meiner Gegenrichtung den Berg
       hochfahren oder ihre Räder geduldig dort entlang schieben. Wackelnde Männer
       mit Bierflaschen in der Hand, ein Teppichgeschäft, eine griechische Kneipe,
       eine Sparkasse und seit kurzem auch ein Hipster-Co-Working-Space mit
       Betonsitzplätzen draußen. Ich atme so laut aus, wenn ich jogge, dass sich
       alle irritiert nach mir umdrehen – auch Menschen, die Kopfhörer tragen, und
       Hunde. Ich lächle sie an und sie lächeln zurück.
       
       Am Hermannplatz ist viel los. Vor dem Karstadt-Eingang bildet sich eine
       Schlange, Reibekuchen werden gegessen, der Geruch davon ist intensiv.
       Obdachlose Menschen fragen nach Geld, Markthändler*innen schreien
       Preise herum. Ich komme pünktlich zum Training an und freue mich schon auf
       den Rückweg: Da bin ich zu Fuß und habe keine Eile.
       
       Luciana Ferrando
       
       21 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Luciana Ferrando
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA