# taz.de -- Françoise Hardy gestorben: Zivilisationskritik im Zarten
       
       > Die Sängerin Françoise Hardy war in den 60ern Teil der YéYé-Szene, ein
       > Gegenentwurf zum Chanson. Sie vereinte alle verhauchte Sensibilität der
       > Zeit.
       
 (IMG) Bild: Françoise Hardy in jungen Jahren
       
       Das Lied, das sie in der Bundesrepublik bekannt machte, hat sie später wie
       überhaupt ihre deutschsprachigen Produktionen vielleicht nicht gehasst,
       aber als nichtig abgetan, ungerechterweise. Künstlerisch wertlos angeblich
       auch der Hit, mit dem sie 1965 hierzulande bekannt wurde: [1][„Frag den
       Abendwind“], der mit dazu beitrug, dass sie vom Publikum der
       Jugendzeitschrift Bravo 1966 mit dem Silbernen Otto ausgezeichnet wurde.
       
       Françoise Hardy war in jenem Jahr in ihrer französischen Heimat eine
       Berühmtheit, ein Idol der Jugend, Stilikone, wie es später hieß.
       
       In den frühen sechziger Jahren, lange vor den politischen Protestkulturen
       rund um 68, war sie Teil einer neuen, vom Rock ’n’ Roll aus den USA
       inspirierten Jugendbewegung in Frankreich: Die YéYé-Szene (in Anlehnung an
       den angloamerikanischen Ausruf Yeah!) war ein Angriff auf die von
       Jugendlichen und Jungerwachsenen als bräsig empfundene Kultur des
       gediegenen Chansons.
       
       Mit dem ästhetischen Aufbruch, so damals der französische Soziologe Edgar
       Morin, war die Jugendbewegung geboren – als selbständiger Akteur im
       öffentlichen Brodeln der Republik. Und die Hardy, das war in diesem Feld
       die Gymnasiastin, die mitmachte.
       
       Hardy war 1944 in Paris zur Welt gekommen, Kind einer alleinerziehenden
       Buchhändlerin aus etwas besserem Hause, nach dem Abitur
       Germanistikstudentin. Ihr war die in dieser auch durch TV und Radio glühend
       begleiteten Bewegung des neuen Pop die Rolle der romantischen, auf
       Selbstbestimmung als Frau achtenden Künstlerin zugewiesen.
       
       ## Höhere Tochter mit eigenem Blick
       
       Mit der Gitarre in der Hand, mit keineswegs souliger Stimme – aber was
       zählte das in der Ära perfekter werdender Mikrofontechnik schon –
       [2][debütierte sie im Fernsehen 1962], ehe sie mit dem Lied „Tout les
       garçons et les filles“, das in Form von Singles (kleine Vinylschallplatten)
       zweimillionenfach verkauft wurde.
       
       Ein fünfter Platz beim ESC 1963 (für Monaco, wo das wichtigste
       französischsprachige Privatradio ansässig war) mit [3][„L’amour s’en vas“]
       öffnete ihr die Tür auch nach Deutschland zu erheblichen Plattenerfolgen.
       Sie hatte ein Image als höhere Tochter, die ihren eigenen Kopf bewahren
       will.
       
       Sie war in jener Zeit mit weiteren Liedern wie [4][„Mon amie la rose“] oder
       dem Adriano-Celentano-Cover [5][„La maison où j’ai grandi“] (etwa: Das
       Haus, in dem ich aufgewachsen bin als zartfühlende Sängerin) bekannt, sie
       vereinte alle verhauchte Sensibilität der Zeit, alle Zivilisationskritik im
       Zarten in ihrer Person. Ihr Stil blieb über alle Jahre – wie soll man
       sagen, ohne den Klischees, die die Worte markieren, auf den Leim zu gehen:
       geschmackvoll, modern und ernsthaft, mit immer einer Note melancholischer
       Entrücktheit.
       
       ## Kein Comeback, sie war immer da
       
       In allen Jahrzehnten seither produzierte sie weiter, schrieb sie später
       Bücher, komponierte und textete, widmete sich der Astrologie, blieb im
       französischen Kulturleben eine höchst Prominente. Comebacks hatte sie
       keine, denn sie war ja immer da.
       
       Mit der Liebe ihres Lebens, dem Musiker Jacques Dutronc, war sie
       verheiratet, lebte aber nie mit ihm zusammen, auch dies als öffentlichen
       Zeichen gedeutet, dass die Liebe auch zwei Wohnsitze, in ihrem Fall Korsika
       und Paris, verkraftet.
       
       Françoise Hardy litt schon vor vielen Jahren an einer Krebserkrankung,
       trat, trotz zeitweiliger Heilung, immer weniger auf. Vor elf Jahren, mit
       dem 24. Studioalbum ihrer musikalischen Karriere, sang sie:
       [6][„Rendez-vous dans une autre vie“] – Rendezvous in einem anderen Leben.
       Darauf mag sie gehofft haben, ein Wiedersehen mit ihren Liebsten auf der
       nächsten Station jenseits vom Diesseitigen.
       
       Am Dienstag, 11. Juni, ist sie, die in öffentlichen Appellen Präsident
       Emmanuel Macron aufforderte, sich für [7][ein Gesetz zur Sterbehilfe]
       einzusetzen, in Paris gestorben, wie ihr Sohn (und Künstlerkollege) Thomas
       Dutronc mitteilte. Frankreich trauert und viele jenseits ihres Landes auch.
       
       12 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=Z0RK8pWOzPo
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=SByMAUM1nd0
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=YgoaMzC3W18
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=2ICFtXx546A
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=RPGQol_WuTQ
 (DIR) [6] https://www.youtube.com/watch?v=xa6nBOgwFE0
 (DIR) [7] /Debatte-ueber-Sterbehilfe-in-Frankreich/!6003869
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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