# taz.de -- Volt in Berlin: 74.000 Volt gehen durch Berlin
       
       > Fast 5 Prozent der Berliner:innen schenkten bei der Europawahl der
       > Kleinpartei Volt ihre Stimme. Grund genug, sich den Laden näher
       > anzuschauen
       
 (IMG) Bild: Bei der Europawahl holte Volt in Berlin 4,8 Prozent, insgesamt mehr als 74.000 Stimmen
       
       BERLIN taz | Die Zentrale von Volt Deutschland an der Choriner Straße in
       Prenzlauer Berg ist kaum zu verfehlen. Davor parkt ein Fahrradanhänger in
       klatschigem Lila – der Farbe der Kleinpartei. 50 Menschen haben sich für
       das „Meet & Greet“ an diesem Abend angemeldet, etwa 15 sind erschienen.
       Egal. Die Volt-Funktionär:innen wirken schwer motiviert, ihre Ideen bei der
       Gelegenheit unter die Leute zu bringen.
       
       „Wir haben innerhalb der ersten 48 Stunden nach der Europawahl hundert neue
       Mitgliedsanträge in Berlin erhalten“, sagt Tom Claessens und strahlt in die
       Runde. Er ist für die Power-Point-Präsentation zuständig, die sich um die
       drei „P“ drehen, für die die 2018 gegründete Partei stehen möchte:
       [1][progressiv, pragmatisch, paneuropäisch].
       
       Bei der Europawahl hatte Volt in Berlin als stärkste Partei unter den
       „Sonstigen“ beachtliche 4,8 Prozent geholt, insgesamt mehr als 74.000
       Stimmen. In Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg kam die Partei sogar über 7
       Prozent. Wohl vor allem zum Leidwesen der Grünen, die in ihren Hochburgen
       herbe Verluste einfuhren.
       
       Auch in der Parteizentrale outen sich während des „Meet & Greet“ beim „Q &
       A“ – bei Volt mangelt es nicht an Anglizismen – vier Gäste als unzufriedene
       Mitglieder der Grünen. „Ich habe am Sonntag noch die Grünen gewählt, aber
       direkt beim Kreuzchen machen gemerkt, das geht nicht mehr“, sagt einer von
       ihnen zur taz. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.
       
       ## Volt holt Stimmen bei den Grünen
       
       Der Gründer einer Ortsgruppe der Grünen Jugend ist frustriert von seiner
       Partei. „Die Grünen haben sich über den Tisch ziehen lassen von den
       Koalitionspartnern“, sagt er mit Blick auf den Bund. Er wünscht sich mehr
       Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit, [2][die Grünen verträten seine Werte
       nicht mehr.]
       
       Aber was genau will Volt eigentlich für die Berliner:innen erreichen?
       „Das Thema Verwaltung ist natürlich wahnsinnig unsexy, aber viele Probleme,
       die wir hier in Berlin haben, wie Wohnen oder Bildung, hängen auch mit
       einem ineffizienten und altmodischen Verwaltungsapparat zusammen“, sagt
       Johanna Drechsel. Man wolle die Verwaltung „entschlacken, reformieren und
       digitalisieren“, so die 32-Jährige, die den Wahlkampf von Volt
       mitorganisiert hat.
       
       Auch den Kampf gegen die Wohnungsnot hat sich die Partei auf die Fahne
       geschrieben. Co-Landeschef Jonathan Drewes spricht von innovativen
       Ansätzen. „In Berlin wurde zu viel privatisiert. Wir sind gegen pauschale
       Enteignungen, aber wenn der Wohnungsbau komplett privatisiert ist, werden
       soziale Interessen nicht genug berücksichtigt“, sagt der 25-Jährige. Und:
       „Leute, die eine teure Wohnung kaufen möchten, sollen dies auch weiterhin
       tun können, nur soll dabei der soziale Wohnungsbau nicht vernachlässigt
       werden.“
       
       Volt sei die erste Partei überhaupt, die proaktiv auf Berliner
       Architektenverbände zugegangen sei, um deren Ideen im Programm
       miteinzubeziehen, behauptet Drewes. So setzt sich die Partei nun unter
       anderem dafür ein, die Flächenversiegelung zu reduzieren. Auf
       Supermarktdächern soll Wohnraum entstehen, wovon selbst die
       Supermarktbetreibenden profitieren würden. Und die Genehmigung von
       Bauanträgen soll beschleunigt werden, indem bisher getrennte
       Zuständigkeiten im Projektmanagementstil an einem Tisch zusammenkommen und
       verhandelt werden.
       
       ## Die Ideen sind nicht neu
       
       Böse Zungen dürften behaupten, das alles klingt mehr nach altem Wein in
       neuen Schläuchen als nach innovativen Ansätzen. An der Verwaltungsreform
       versuchen sich die jeweils regierenden Parteien mit identischen Argumenten
       seit Jahren erfolglos. Entsiegelungen und Supermarktüberbebauungen waren
       schon unter Rot-Grün-Rot erklärtes Ziel der Senatspolitik, den Entwurf zu
       einem Schneller-Bauen-Gesetz hat die aktuelle schwarz-rote Koalition gerade
       vorgelegt.
       
       „Warum beim Alten bleiben oder sich etwas Neues ausdenken, wenn es bereits
       funktionierende Vorbilder gibt?“, wird beim Q & A in die Runde gefragt.
       Bezogen ist es in dem Fall allerdings auf die „Best-Practice-Leitsätze“ der
       Partei. Dinge, die in anderen Städten funktionierten und daher in Berlin
       übernommen werden könnten.
       
       So heißt es hier: „In Berlin wohnen wie in Wien.“ In der österreichischen
       Hauptstadt blieben die Mieten dank sozialem Wohnungsbau bezahlbar, stellt
       Volt fest. Nun haben das die Grünen schon seit Jahren erkannt, ebenso die
       Linke, vor geraumer Zeit kam auch die SPD mal zu der Erkenntnis.
       
       Volt ficht das erkennbar nicht an. Sie geben sich bürger:innennah –
       mindestens einmal im Monat lädt der im Sommer 2020 gegründete Landesverband
       zum Meet & Greet – und als Optimist:innen vom Dienst. „Wir wollen weg
       von: Alles ist scheiße. Wir müssen aus dieser depressiven Stimmung raus.
       Europa, Berlin, Deutschland, das kann alles richtig geil werden. Wir
       brauchen Leute, die mitmachen“, sagt Wahlkampfmanagerin Johanna Drechsel.
       
       ## Ideologiefrei- gibt's das überhaupt?
       
       Was auch immer man von rätselhaften Plakatslogans wie „Für mehr Eis“ oder
       „Sei kein Arschloch“ halten mag, bei der Europawahl bescherten sie der
       Partei ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Selbst etwas überrascht sind sie
       von dem Umstand, dass sie auch jenseits der Innenstadt punkten konnten.
       
       In Lichtenberg etwa schnitt Volt mit 4 Prozent durchaus gut ab. Im
       einstigen Bollwerk der PDS und dann der Linken räumte in den vergangenen
       Jahren erst die CDU ab, nun bekamen die rechtsextreme AfD und die
       Wagenknecht-Partei die meisten Stimmen.
       
       Volt selbst möchte sich im politischen Koordinatensystem nicht
       positionieren. „Viele Probleme sind nicht mit einer nur linken oder nur
       liberalen Position lösbar und mit einer rechten schon gar nicht“, sagt
       Jonathan Drewes. Alle Probleme seien „komplex und miteinander verbunden“.
       Wenn man sich einer bestimmten Richtung zugehörig fühle, „geht das ja auch
       mit einer Ideologie einher und steht damit einer evidenz- und
       wissenschaftsbasierten Politik im Weg“.
       
       Im unverfänglichen Politphrasengebrauch scheinen sie jedenfalls schon
       geübt. Die Sitze im Europaparlament und die kommenden Wahlen werden zeigen,
       ob Volt die Spannung halten kann.
       
       20 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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