# taz.de -- Stadion für Motorradrennen auf dem Land: Die Herren des Rings
       
       > Auf dem Eichenring in Scheeßel sind das Hurricane-Festival und
       > Motorradrennen zu Hause. Während das Festival boomt, haben die
       > Motorsportler zu kämpfen.
       
 (IMG) Bild: Raserei im doppelten Sinne: Der Eichenring in Scheeßel ist Austragungsort von Motorradrennen und Rockkonzerten
       
       Rund 75.000 Menschen, 90 Bands, 5.000 Helfer*innen. Das ist die Bilanz vom
       vergangenen Wochenende. Das Hurricane-Festival ist damit eines der größten
       Rockfestivals Deutschlands. Es ist eine gewaltige Logistik, die jedes Jahr
       auf dem Eichenring in der niedersächsischen Gemeinde Scheeßel in Gang
       gesetzt wird. Und es steht für eine gewaltige Entwicklung, die das Festival
       seit seiner ersten Ausgabe 1997 genommen hat. Wer verstehen will, wie das
       gekommen ist, findet die Antworten nicht beim Veranstalter. Wer Scheeßel
       verstehen will, braucht das örtliche Heimatmuseum. Und die Hilfe von Birgit
       Ricke, die dort ehrenamtlich arbeitet.
       
       Birgit Ricke ist Rentnerin, sie wohnt fußläufig neben dem Heimatmuseum, das
       in einem alten Fachwerkhaus im 13.000-Einwohner*innen-Ort Scheeßel
       untergebracht ist. Ricke kennt die Leute im Ort. Zum Beispiel den in Rente
       befindlichen ehemaligen Polizei-Pressesprecher Detlev Kaldinski, der als
       16-Jähriger 1973 beim ersten Eichenring-Festival dabei war. Und die Herren
       Eckhard Koslowski und Dietmar Hornig vom Motorsport-Club Eichenring, kurz
       MSC, gegründet 1951. Auch die beiden sind in Rente und ins Heimatmuseum
       gekommen, um zu erhellen, was der Eichenring ist.
       
       Der Eichenring ist zunächst die Rennstrecke, nach der sich der Club benannt
       hat. Damals ging es ausschließlich um Motorradrennen auf der Langbahn, also
       um Rennen, bei denen Fahrer in Ganzkörperschutzkleidung auf Motorrädern
       durch eine sandige Rennstrecke pflügen. Durch die Kurven kommen sie, indem
       sie das Motorrad seitlich stellen und sich mit einem stahlschuhbewehrten
       Fuß abstützen. Der Sand spritzt, der Motor röhrt und die Fahrer sehen
       verwegen aus. Müssen sie auch sein. Mit 180 km/h brettern sie in die
       Kurven. Unfälle sind keine Seltenheit.
       
       Solche Rennen wollten die Menschen in der Nachkriegszeit sehen. Es war eine
       andere Zeit. „Die Leute hatten noch keine Autos. Das Motorrad war das
       zentrale Fortbewegungsmittel“, sagt Koslowski. Am Scheeßeler Bahnhof gab es
       eine Schlosserei, da trafen sich die Motorradschrauber, und in Appel bei
       Helvesiek gab es einen Gastwirt mit einem freien Feld. 1951 wurde dort eine
       814 Meter lange Rennstrecke eröffnet und „Eichenring“ genannt, weil außen
       rum Eichen standen. Ein Riesenerfolg.
       
       ## Zu kurz für Weltmeisterschaften
       
       Bald wollte der MSC Europa- und Weltmeisterschaftsrennen ausrichten, doch
       dafür war die Bahn zu kurz. Also zog der Eichenring auf ein Feld rund zwei
       Kilometer südöstlich von Scheeßel um. 1964 wurde die Bahn eröffnet. Anfangs
       standen dort keine Eichen, also pflanzte man welche, damit der Eichenring
       der Eichenring bleiben konnte. 1.000 Meter lang war die Strecke. Entlang
       der Geraden wurden Tribünen mit Holzbänken gebaut, die heute noch stehen.
       Ebenso wie der Turm für Jury und Kommentator. Und wie die kleine
       Eingangspforte, ein mit Reet gedecktes Holztor.
       
       Es folgen die großen Jahre der Langbahnrennen mit bis zu 30.000
       Zuschauer*innen. Ein Höhepunkt war der Weltmeistertitel, den die Kieler
       Legende [1][Egon Müller] 1974 errang, als Ersatzfahrer. Heute ist er noch
       präsent als Kommentator im Rennturm.
       
       Was in den 70er Jahren auch passierte, waren Versuche, im Eindruck von
       Woodstock und Monterey große [2][Rockfestivals in Deutschland zu
       veranstalten]. Auf dem Eichenring gab es 1973 ein Festival mit unter
       anderem Chuck Berry, Lou Reed und Chicago. Das zweite Festival 1977 versank
       im Chaos. Der Veranstalter zahlte Gagen nicht, die Bands kamen nicht, die
       Fans fackelten die Bühne ab. In Scheeßel kam es zu Plünderungen. Etliche
       Firmen gingen pleite.
       
       Für die Gemeinde ist danach klar: keine Open Airs mehr. Nur noch
       Motorradrennen.
       
       Das geht in den 80er Jahren noch gut. Aber dann wechseln viele Fahrer von
       der Langbahn zum Speedway, weil es dort mehr Geld zu verdienen gibt. Der
       Weltverband reformiert die Wettbewerbe, sodass die Rennen ab 1997 nur noch
       Teil einer Serie sind und dadurch mitunter die Weltmeister schon vor dem
       Start eines Einzelrennens feststehen. Der Nachwuchs bleibt weg. Die Zeiten,
       in denen junge Leute erst Mofa fahren und später Motorrad, [3][sind
       vorbei.] Und ein neues [4][Umweltbewusstsein] entsteht. Dreckige Motorräder
       sind nicht mehr angesagt. Auch wenn sie wie auf dem Eichenring mit Methanol
       fahren.
       
       ## Für die Bauern beginnt die fünfte Fruchtfolge
       
       In diese Zeit fällt der Plan des [5][Hamburger Konzertveranstalters Folkert
       Koopmans], in Scheeßel, verkehrsgünstig zwischen Hamburg und Bremen, ein
       Festival zu etablieren. Koopmans bekommt grünes Licht für ein kleines
       Festival: 20.000 Leute, mehr nicht. Der MSC verpachtet den Eichenring und
       kann das Geld brauchen. Und nicht nur er: Für die anliegenden Bauern
       beginnt etwas, das sie „die fünfte Fruchtfolge“ nennen.
       
       Auf dem Eichenring werden weiter Rennen gefahren, aber die fetten Jahre
       sind vorbei. Die Banden bleiben frei von Werbung, nur wenige Medien
       berichten. 3.000 bis 4.000 Zuschauer*innen kommen. Am 18. August ist es
       wieder so weit: Auf dem Eichenring wird [6][das dritte Rennen des
       Langbahn-Weltmeisterschafts-Grands-Prix 2024] ausgefahren.
       
       Während der MSC um Zuschauer*innen kämpft, erlebt das Festival einen
       Boom. Längst ist das Festivalgelände über den Eichenring hinausgewachsen.
       Längst gibt es vier Bühnen, von denen nur eine auf dem Eichenring steht.
       Die anderen drei stehen auf Feldern außenrum.
       
       Für den MSC ist der Eichenring ein Lebenswerk, für den Konzertveranstalter
       FKP Scorpio der Ort, an dem ein Stein ins Wasser gefallen ist: [7][Die
       Kreise reichen immer weiter], ihr Mittelpunkt gerät in Vergessenheit.
       
       30 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Egon_M%C3%BCller_(Motorsportler)
 (DIR) [2] /Insel-Pop/!5223931
 (DIR) [3] /Hamburger-Harley-Days/!5934381
 (DIR) [4] /Umweltbewusstsein/!t5014532
 (DIR) [5] /Konzertveranstalter-Folkert-Koopmans-ueber-Festivals/!5135458
 (DIR) [6] https://www.msc-eichenring.de/
 (DIR) [7] /!844820/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Irler
       
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