# taz.de -- Die Wahrheit: Leistungskurs Apokalypse
       
       > Die Jugend von heute lernt auf einem Münchner Gymnasium, mindestens zehn
       > Gebote anzuwenden, um mit dem Weltuntergang umzugehen.
       
 (IMG) Bild: Antikes Wagenrennen steht in München auf dem Lehrplan
       
       Als wir uns dem überfüllten Schulhof der „Zorn-Gottes-Gesamtschule“ im
       Münchner Stadtteil Moosach nähern, fliegen uns plötzlich aus allen
       Richtungen Steinkugeln um die Ohren. Zum Glück schwebt Schulleiter Alois
       Mühlbauer bereits in seinen monströs großen Sandalen heran. Der greise
       Endsiebziger mit wallender Mähne, Rauschebart und knöchellangem Gewand
       lässt seinen armdicken Holzstab dreimal auf den Asphalt donnern. Die
       vogelwilden Pennäler geben augenblicklich Ruhe.
       
       „Sie müssen entschuldigen. Hier dürfen sich aufmüpfige Schüler der unteren
       Jahrgänge gegen hünenhafte Primaner mit Steinschleudern zur Wehr setzen“,
       verdeutlicht Mühlbauer uns das David-gegen-Goliath-Prinzip der brandneuen
       Lehranstalt.
       
       Wie der Oberlehrer berichtet, habe er sich von einem Gesetz im
       US-Bundesstaat Louisiana, das den Aushang der Zehn Gebote in
       Bildungseinrichtungen zur Pflicht macht, zur Schulgründung inspirieren
       lassen. „Ich wusste sofort: Da ist noch viel Luft nach oben! Als ich nach
       40 Tagen Fasten mit meiner Steintafel den Münchner Luitpoldhügel
       heruntergekraxelt bin, waren Kollegium, Bistum und Landesregierung vom
       pädagogischen Konzept hellauf begeistert. Und so konnte ich unser ehemals
       naturwissenschaftlich-technologisches Gymnasium innerhalb kürzester Zeit
       zum fundamentalistischen Gottestempel umbauen“, freut sich der tiefgläubige
       Oberstudienrat. „Wenn unser Modellprojekt fruchtet, könnten bald alle
       Schulen im Freistaat so aussehen. Hier entlang, bitte!“
       
       Wenig später stehen wir mit dem Gründervater vor einem völlig verkokelten
       und noch qualmenden Ginsterstrauch. „Wir Alttestamentarier glauben an die
       Existenz eines unbarmherzigen und strafenden Gottes, der auch kleinen
       Ungehorsam auf der Stelle mit blutrünstiger Rache ahndet“, keckert
       Mühlbauer. „Deswegen gibt es auch bei jedem Morgenappell vor Schulbeginn
       für die Kinder erst mal einen ordentlichen Einlauf vom Brennenden
       Dornbusch. Da das natürlich nicht der echte ist, haben wir ungefähr 3.000
       Stück davon gefriergetrocknet und im Keller eingelagert“, zwinkert uns der
       Direx komplizenhaft zu. „Den authentischen Gotteshall vom Band hat Papst
       Benedikt übrigens noch höchstpersönlich eingesprochen.“
       
       ## Adams Rippe
       
       Die Anzahl der Schulfächer auf dem „ZGG“ wurde laut Mühlbauer in Absprache
       mit dem Kultusministerium knallhart nach unten korrigiert. „In
       Schöpfungsgeschichte, Körperertüchtigung, christlicher Evolutionslehre und
       Apokalyptik wird den Kindern das Wenige vermittelt, was sie bis zum
       Jüngsten Tag wissen müssen. Den Grundkurs in Anatomie kann man bei uns
       übrigens mit dem Betrachten einer Replik von Adams Rippe schon nach 15
       Unterrichtssekunden abschließen.“
       
       Wir folgen Mühlbauer auf die schuleigene Rennbahn, wo seine Zöglinge sich
       gerade bei 35 Grad im Schatten über den Tartanbelag schleppen.
       
       „Laut Lehrplan steht für die komplette Unterstufe heute die Reise nach
       Jerusalem auf dem Programm“, erklärt uns der Schmalspur-Moses. „Natürlich
       nicht der verweichlichte Quatsch mit den Stühlen! Hier wird jeweils
       montags, mittwochs und freitags in insgesamt 9.000 Doppelstunden von
       Ägypten ins Gelobte Land gewandert.“
       
       ## Ponys vor Streitwagen
       
       Angesichts der exzellenten Bedingungen möchte Mühlbauer heute für einen
       Extra-Motivationsschub sorgen und hat ein paar Referendare als Antreiber in
       ihre altägyptischen Streitwagen beordert. „Leider mussten wir unsere
       Schlachtrösser aufgrund vereinzelter Elternbeschwerden gegen Island-Ponys
       austauschen.“
       
       Es ist Mittag. Wegen der flirrenden Hitze dürfen sich die Schüler im
       Schatten an einer entspannten Softballsteinigung erfreuen. Nur für den
       Schülersprecher, der Friedrich Merz erstaunlich ähnlich sieht, wird es
       ernst. Der 18-Jährige ist zusammen mit dem Schulmeister und einer
       zwölfköpfigen Prüfungsdelegation nach Schwabing gewandert, um an den Ufern
       des Olympiasees sein Examen als gesalbter Heilsbringer abzulegen. Mit
       Erfolg. Das Trennen des Riesentümpels in zwei Hälften mit anschließendem
       Hindurchgehen fluppt wie geschmiert.
       
       Der vom Ausmaß seiner Fähigkeiten völlig begeisterte Nachwuchs-Moses macht
       sich sofort auf den Weg nach Potsdam. Von dort will er die Stadtgrenze nach
       Berlin palmwedelnd auf einem Esel überqueren, um die Pharisäer in der
       deutschen Hauptstadt Mores zu lehren.
       
       Derweil frohlockt Mühlbauer. „Seit ich als Lehrer am Nürnberger
       Dürer-Gymnasium den damals noch überaus bescheidenen Markus Söder von
       seiner eigenen Göttlichkeit überzeugen konnte, habe ich immer von einem
       neuen Erlöser geträumt“, kann Mühlbauer sein Glück kaum fassen. Der
       Seelenhirte sinkt auf die Knie und blickt tief dankbar gen Himmel. Noch nie
       war die Apokalypse so nah.
       
       2 Jul 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patric Hemgesberg
       
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