# taz.de -- Berliner HipHop-Crew: Es geht wieder um die Spitze
       
       > Das HipHop-„Team Recycled“ gehört zu den größten in Berlin. Am kommenden
       > Wochenende wollen sie ihren Titel ein weiteres Mal verteidigen.
       
 (IMG) Bild: Wenn der Breakdancer Kilian richtig loslegt, ist es für die Zuschauer, als ob für einen Moment der Horizont schwankt
       
       BERLIN taz | Kilian schaut auf sein Team, das hinter ihm steht. Dann der
       Sprung: Einen einarmigen Handstand lässt er durch extreme Körperspannung in
       Zeitlupe in einen Rückwärts-Überschlag übergehen. Dabei dirigieren seine
       Füße durch die Luft, alle beugen sich synchron zur Seite, während er
       langsam kippt. Kilian ist Breakdancer und wenn er richtig loslegt, ist es
       für die Zuschauer, als ob für [1][einen Momen]t der Horizont schwankt.
       
       Dafür ist die Berliner HipHop-Crew „Team Recycled“ bekannt, mit über 25
       TänzerInnen eine der größten HipHop-Tanzgruppen aus Berlin. Das heutige
       Training findet in der bekannten Kreuzberger Tanzschule, [2][der „Flying
       Steps Academy“, statt]. Es beginnt, wenn der Tanzschulbetrieb zu Ende ist,
       und geht oft bis Mitternacht. Der Druck steigt, denn sie trainieren für die
       am kommenden Wochenende stattfindende Berliner Meisterschaft, die „Berlin
       Dance Open“. Fünfmal sind sie schon Berliner Meister geworden, nun wollen
       sie den Titel ein weiteres Mal verteidigen – als Legenden in der Kategorie
       „Megacrew“.
       
       Jeff Jimenez war bisher bei fast jeder dieser Titelverteidigungen dabei und
       ist der Gründer von Team Recycled. Es ist das Jahr 2010, in dem er und sein
       Freund Devin Ash-Quaynor die Gruppe zusammenstellen. Der Name ist eine
       Hommage an das Wiederverwertete, Zusammengewürfelte, alle TänzerInnen
       stammen aus unterschiedlichen, bereits bestehenden Tanzcrews aus Berlin.
       Das „Multikulti“, wie Jeff es nennt, wurde eher zufällig ihr Markenzeichen.
       „Wir haben nie bewusst nach Nationalität ausgewählt, wir waren einfach
       immer so gemischt.“ Aktuell zählt Jeff nach, haben sie im Team Wurzeln aus
       13 verschiedenen Ländern, von Somalia bis Rumänien, Kamerun oder Vietnam,
       alle leben in Berlin. Auch tänzerisch „recycled“ das Team, es werden
       verschiedene Einflüsse zu Neuem fusioniert.
       
       Die Bühnenshows sind dafür bekannt, besonders dramatisch zu sein, mit
       spektakulären Überraschungsmomenten, großen Figuren, Tänzern, die sie beim
       Wechsel des Beats durch die Luft fliegen lassen. [3][Choreografiert wird
       gemeinsam], alle bringen unterschiedliche Qualitäten mit. So sind Profis
       aus dem Bereich Breakdance dabei, die in Einzelparts aus der Show
       ausbrechen, oder Locking-Choreografien, einem eigenen HipHop-Stil, wo die
       Gruppe zu einem großen, gemeinsam tanzenden Körper wird. Jeff erschafft
       dabei die Gesamtkomposition, die „großen Bilder“, wie er es nennt, die den
       Zuschauenden in Erinnerung bleiben.
       
       ## „Meine Tanzgruppe wurde meine Zuflucht“
       
       Für Jeff ist die Geschichte dieser Gruppe und sein Bezug zum Tanzen hoch
       emotional. 1984 wird er auf den Philippinen geboren, seine Familie migriert
       nach Deutschland, angeworben von einem Programm für philippinische
       KrankenpflegerInnen. „Wir Filipinos wachsen mit Musik auf, auch in der
       Kirchengemeinde wird viel gesungen und getanzt“, erzählt Jeff. Seine Mutter
       nimmt schon früh Videos auf Kassette auf, wie er als Kind auf
       Familienfesten die Älteren mit seinen Tänzen unterhält. Als er einen großen
       Wettbewerb gewinnt, zeigt Jeffs Mutter jene VHS-Kassetten stolz herum. Dann
       stirbt seine Mutter. „Meine Tanzgruppe wurde meine Zuflucht“, erzählt er.
       
       In den vier Jahren nach ihrem Tod gewinnen er und seine Gruppe jeden
       Wettbewerb. „Ich habe keine Ahnung, wie ich den Verlust überwunden hätte,
       wenn ich das Tanzen nicht gehabt hätte. Deswegen hänge ich auch so sehr an
       Team Recycled, weil ich weiß, wie viel es einem Menschen bedeuten kann,
       Teil einer Crew zu sein“, sagt er. Mittlerweile tanzt er nicht mehr aktiv
       mit, sondern leitet die Gruppe künstlerisch.
       
       Das Ziel der Gruppe war dabei nie der kommerzielle Erfolg, sondern sich auf
       Meisterschaften zu beweisen. Als Team zu gewinnen. „All das hat uns
       finanziell nichts gebracht. Im Gegenteil: wir waren ja schon arme Schlucker
       und dann mussten wir noch Geld für die Outfits zahlen und die Reisen“,
       erinnert sich Devin, auch Teil der Gründungsgruppe.
       
       Dass dann doch immer mehr bezahlte Jobs aus den Auftritten resultieren,
       ahnen sie nicht. 2013 treten sie in der ProSieben-Tanzshow „Got To Dance“
       an, kommen bis ins Halbfinale, kurz darauf folgen die ersten Bookings.
       
       ## Nicht alle tanzen hauptberuflich
       
       Devin und Jeff gründen daraufhin die „TR Agency“, als Tanzagentur, sie
       sehen die Chance, die Gruppe zu professionalisieren. Doch nicht alle im
       Team tanzen hauptberuflich, sie arbeiten parallel in ihren Jobs, es gab
       schon Ärztinnen, Lehrerinnen, Anwälte oder Physiotherapeuten im Team.
       
       Christina Minz sitzt beim heutigen Training vor dem großen Spiegel im Raum
       und filmt einzelne Szenen für den Social Media Account von Team Recycled.
       Sie kommentiert die Aufstellung und ruft auch mal laut dazwischen. Sie
       gehört mit 23 Jahren zur jüngeren Generation von Team Recycled, wurde mit
       gerade mal 16 Jahren in die Gruppe aufgenommen. Wenn man Chrisi, wie alle
       sie nennen, nach ihren Anfängen bei Team Recycled fragt, leuchten ihre
       Augen. Sie tanzte schon ihr ganzes Leben, als Jeff sie fragt. „Das war eine
       Riesensache für mich, Team Recycled waren meine Vorbilder.“ Anlass war die
       [4][HipHop-Meisterschaft] in den USA, „HipHop International“ im Jahr 2018.
       Insgesamt reisen sie viermal mit fast 30 Personen in die USA, um sich mit
       der Weltliga zu messen und international gesehen zu werden.
       
       „Der ganze Übergang von jugendlich ins Erwachsensein war für mich geprägt
       davon, in einer Crew zu sein.“ Für Chrisi wurde Team Recycled ein Zuhause,
       tänzerisch wie auch kulturell, sie ist im Team eine von vieren mit
       kasachischen Wurzeln.
       
       Unvergessen bleibt der Tag, an dem Jeff sie anrief: „Wir fliegen nach
       Indien.“ Es geht nach Mumbai, eine große Bollywood-Produktion lässt das
       gesamte Team für den Film „Street Dancer 3D“ ausfliegen. Zwei weitere
       Filmproduktionen für Netflix folgen, mehrmals treten sie im
       ZDF-Fernsehgarten auf.
       
       ## Das Leben in „Crews“ ist ein wesentlicher Teil von HipHop
       
       „Die Aufnahme ins Team lief von Anfang an vor allem über Freundschaften und
       Kontakte der Berliner Tanzszene, mittlerweile machen wir auch Castings, um
       nach jungen Talenten zu suchen“, erzählt Jeff. Nachwuchs, wie der
       19-jährige Kilian Brüning, der als begabter Breakdancer das Repertoire der
       Gruppe erweitert, mit seinen Stunts für die großen Figuren.
       
       Jeff beschreibt jedoch auch das Dilemma, über Jahre sehr erfolgreiche
       TänzerInnen an besser bezahlte Jobs zu verlieren. Das Team fungiert auch
       wie eine Kaderschmiede für den HipHop, sein Ruf eilt ihm voraus und lockt
       immer neue TänzerInnen an. Und große HipHop-Crews sind seltener geworden,
       berichten sie übereinstimmend, dabei ist das Leben in „Crews“ ein
       wesentlicher Teil der HipHop-Kultur. „Wir sind aber auch stolz darauf, dass
       die TänzerInnen dann bei uns groß geworden sind“, sagt Jeff.
       
       Diese Gratwanderung zwischen prägenden Freundschaften, dem Gefühl einer
       Familie und einer professionellen Gruppe beschäftigt Jeff und Devin, die
       Dynamik im Team ist hoch. „Das Crew-Leben, das ist die beste Schule. Mit so
       vielen unterschiedlichen Charakteren klarzukommen, zu lernen, das Ego
       zurückzustecken, auch mal was schlucken zu können und ein Verständnis für
       die anderen zu haben“, erinnert sich Devin, „das wollen wir weitergeben.“
       Auch für Chrisi steht die Analogie zur Familie: „Und eine Familie kann man
       sich nicht aussuchen. Es ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen, wir
       gehen durch Höhen und Tiefen. Aber wir gehen durch alles zusammen.“
       
       Wie familiär das werden kann, zeigen zwei vom Team getaufte
       „Team-Recycled-Babys“, deren Eltern beide jeweils über Jahre Teammitglieder
       waren. Auch mehrere Geschwistergenerationen tanzen in der Gruppe, wie
       Duc-Han Nguyen, Teil des Choreografie-Teams, und seine kleine Schwester
       Truc Nhi, die zur diesjährigen Meisterschaft dazustieß.
       
       In diesen Tagen reisen HipHop-Crews aus ganz Deutschland an. Team Recycled
       fühlt sich bereit. „Berlin ist für uns Pflichtprogramm. Das ist ein
       Heimspiel, es geht weniger darum, unser Revier zu markieren, sondern
       Familien und Freunde stolz zu machen“, sagt Jeff. Er hofft, dass die
       „Besten der Besten kommen“, denn nach Corona sei vieles jetzt erst wieder
       zurück, „es wird neue Gruppen geben, die werden wir dann sehen“. Und Team
       Recycled ist bereit, sich immer neu zu entwerfen.
       
       20 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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