# taz.de -- Internationale Polizeimission für Haiti: Die Last der Fehler von früher
       
       > Die ersten kenianischen Polizisten sind in Haiti eingetroffen. UN-Experte
       > William O'Neill erkennt die Risiken der Mission, sieht aber Chancen.
       
 (IMG) Bild: Die ersten 250 kenianischen Soldaten bei ihrer Ankunft in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince am Dienstag
       
       NEW YORK taz | Während in Kenia die [1][Antikorruptionsproteste] Nairobi
       erschüttern, sind am Dienstag die ersten 400 kenianischen Polizisten auf
       dem Flughafen in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince gelandet. Die [2][vom
       UN-Sicherheitsrat Ende vergangenen Jahres für ein Jahr genehmigte
       internationale Sicherheits- und Unterstützungsmission] zur Bekämpfung der
       Gangs hat nach einigen Verschiebungen tatsächlich begonnen.
       
       Über Monate war der Einsatz in Haiti und in Kenia umstritten und [3][schien
       bisweilen vollends fraglich], weil die Finanzierung nicht gesichert war. Im
       US-Kongress lehnten die Republikaner die Bewilligung von 200 Millionen
       Dollar ab, und die Biden-Administration musste auf anderen Wegen Gelder
       zusammenklauben. Jetzt ist der Einsatz wenigstens für ein halbes Jahr
       finanziert.
       
       Seit Wochen landen Transportflugzeuge der US-Luftwaffe auf dem Flughafen,
       die unter anderem Ausrüstung, Militärgerät und mobile Krankenstationen nach
       Haiti transportiert haben sollen. Der haitianische Menschenrechtler Pierre
       Esperance kritisierte vor einer Woche in der US-Zeitschrift [4][Foreign
       Policy] allerdings, dass niemand in der Regierung, geschweige denn in der
       haitianischen Zivilgesellschaft wisse, was da geliefert werde.
       
       Die Angst geht um, dass auch dieser Einsatz die Fehler aller
       internationalen Missionen seit dem Sturz des Diktators Duvalier wiederholen
       und sich gänzlich über die Köpfe der Haitianer hinweg abspielen könnte.
       
       ## Die Gangs bestehen aus Jugendlichen ohne eigene Ideologie
       
       William O'Neill, der vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte beauftragte
       unabhängige Haiti-Experte, kritisiert im Gespräch mit der taz solche
       Skepsis. Er sieht keine Alternative zum Einsatz der internationalen Truppe.
       Die könne man auch nicht mit dem 14 Jahre währenden
       [5][UN-Minustah-Einsatz] vergleichen, in dessen Rahmen sich von 2004 bis
       2017 insgesamt 12.000 Soldaten und 3.000 zivile Mitarbeiter in Haiti
       aufhielten. Viele Haitianer empfanden die Mission als eine ausländische
       Besatzung.
       
       „Jetzt geht es“, so der US-amerikanische Jurist, „um eine Polizeimission,
       die wirklich die Aufgabe hat, die lokale Polizei zu unterstützen.“ Dass es
       die nach wie vor gäbe, käme einem kleinen Wunder gleich. Immerhin haben die
       nationalen Polizeikräfte den Flughafen und den Präsidentenpalast
       erfolgreich verteidigt.
       
       O’Neill geht davon aus, dass es durchaus gelingen könne, die Gangs
       zurückzudrängen. Sie hätten keine Ideologie und die meisten Mitglieder
       seien Jugendliche, die man in Programmen wieder in die Gesellschaft
       integrieren könne. Es gehe darum, die Köpfe vor Gericht zu stellen und zu
       verurteilen.
       
       Auch O’Neill gibt zu, dass die Ausgangsbedingungen für die Polizeimission
       ungleich schlechter sind als beim großen internationale Hilfseinsatz nach
       dem Erdbeben 2010. Die von der internationalen Gemeinschaft 2011
       erzwungenen und gefälschten Wahlen brachten [6][Michel Martelly] an die
       Macht, der das ganze System aus Korruption und Ganggewalt auf die Spitze
       trieb.
       
       ## Die Antikorruptionsbewegung wurde im Stich gelassen
       
       Martelly ist trotz internationaler Sanktionen immer noch einer der
       einflussreichsten Politiker in Haiti, der die Übergangsregierung unter dem
       langjährigen [7][Unicef-Mann Garry Conille] versucht unter Druck zu setzen.
       So verlangten seine Vertreter eine Generalamnestie für Politiker, die wegen
       Korruption und Unterstützung von Gangs angeklagt werden könnten.
       
       Die internationale Gemeinschaft, so O’Neill, habe einen Riesenfehler
       begangen, als sie die [8][Antikorruptionsbewegung um die Petrocaribe-Gelder
       2018] in Haiti nicht unterstützte. „Wir haben damals alles versucht, um die
       US-Politik zu überzeugen, ihre Unterstützung für Martelly und
       seinesgleichen zurückzuziehen.“
       
       Aber man müsse nicht nur die haitianischen Politiker dieser Zeit anklagen.
       Auch die Clintons hätten nichts zur Aufklärung über die verschwundenen und
       versickerten Erdbebengelder beigetragen. Hillary Clinton war zu dieser Zeit
       US-Außenministerin und ihr Ehemann Bill Clinton Haiti-Sonderbeauftragter
       der UN.
       
       Die internationale Polizeimission, die mit Helikoptern und Drohnen aus
       US-Produktion hochgerüstet ist, bekämpft Gangs, die ebenfalls mit
       US-amerikanischen Waffen ausgestattet sind, die ungehindert aus Florida auf
       haitianisches Territorium gelangen. Die Waffenlobby in den USA hat es
       vermocht, noch jedes Waffenembargo gegen Haiti zu verhindern. In den
       vergangenen Monaten gelang es häufig nicht, Nahrungsmittel und Benzin nach
       Haiti zu bringen, der Waffenimport allerdings kam niemals zum Erliegen. Im
       US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf tendieren die Aussichten, ein
       Waffenembargo durchzusetzen, gen null.
       
       Für alle Kenner der haitianischen Katastrophe, auch O’Neill bestätigt das,
       ist klar, dass eine Polizeimission allein die Probleme keinesfalls lösen
       kann. Es braucht funktionierende staatliche Institutionen, vor allen Dingen
       eine funktionierende Gerichtsbarkeit, eine durch legitime Wahlen zustande
       gekommene Regierung und soziale Perspektiven. Die Bekämpfung von Korruption
       und Straflosigkeit müsste eigentlich ganz oben auf der Agenda stehen, um
       die Gang-Gewalt nachhaltig zu bekämpfen. Das aber sind Prozesse, die
       Jahrzehnte systematischer internationaler Hilfe beanspruchen.
       
       26 Jun 2024
       
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