# taz.de -- Nach Präsidentschaftswahl in Iran: Immense Probleme, kaum Macht
       
       > Um Irans Wirtschaft voranzubringen, wäre ein Kampf gegen Korruption
       > nötig. Doch der Einfluss des Präsidenten ist in der Islamischen Republik
       > gering.
       
 (IMG) Bild: Der zukünftige iranische Präsident Massud Peseschkian
       
       Der überraschende Sieg des vermeintlich moderaten Massud Peseschkian bei
       den Präsidentschaftswahlen in Iran gibt Anlass zu Spekulationen. Bereits
       seine Zulassung als Kandidat deutete darauf hin, dass Revolutionsführer Ali
       Chamenei und der harte Kern des Machtapparats befürchteten, ohne Hinzunahme
       eines moderaten Kandidaten werde die Wahlbeteiligung noch geringer
       ausfallen als bei den letzten Parlamentswahlen. Sie lag nach offiziellen
       Angaben bei 42 Prozent.
       
       Die Katastrophe blieb dennoch nicht aus. Selbst wenn man den zweifelhaften
       Angaben des Innenministeriums in Teheran Glauben schenken würde, gingen
       beim ersten Wahlgang nur knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten zu den
       Urnen. In der Geschichte der Islamischen Republik ist das ein historisches
       Tief und für die Staatsführung eine beschämende Schlappe. Ob dieses
       Desaster für die Machthaber ausreicht, um endlich einzusehen, dass ihr
       Regime keine Legitimation mehr hat?
       
       Und hat die Staatsführung tatsächlich die Rufe der überwiegenden
       Bevölkerungsmehrheit nach grundlegenden Veränderungen, nach einem anderen
       Staat, endlich vernommen und daher den Weg für einen moderaten Präsidenten
       freigemacht? Die Wähler haben durch den [1][Wahlboykott] ihrem Unmut Luft
       gemacht. Die andauernde und sich vertiefende ökonomische Krise, die immer
       mehr Menschen in die Armut treibt, und die Zunahme der Repressionen haben
       das Leben für Millionen Bewohnerinnen und Bewohner unerträglich gemacht.
       
       Das Regime regierte auf jede Kritik und jeden Widerstand stets mit
       [2][brutaler Gewalt]. Wie oft sind die Menschen, hoffend auf grundlegende
       Reformen, geduldig zu den Wahlurnen gegangen. Ihre Rufe nach Freiheit und
       Mitbestimmung stießen auf taube Ohren. Die Herrscher waren nie bereit, den
       Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung entgegenzukommen. Sie beharrten
       hartnäckig auf die Fortsetzung der ideologisch verbrämten und religiös
       getarnten Irrwege.
       
       ## Zwei gegensätzliche Kulturen
       
       Damit haben sie sich vom eigenen Volk weit entfernt. Sie sind zu Fremden im
       eigenen Land geworden. Längst geht es nicht mehr um einzelne Forderungen.
       In Iran prallen zwei Kulturen, zwei einander [3][entgegengesetzte
       Lebensauffassungen] aufeinander. Hier eine Zivilgesellschaft, die nach
       Freiheit, Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit strebt. Dort eine
       traditionell und fundamentalistisch-islamisch geprägte Herrschaft, die den
       Menschen gemäß der eigenen moralisch-ethischen Vorstellung vorschreiben
       will, wie sie zu leben und denken haben.
       
       Dass Peseschkian als Sieger hervorging, lässt die sanfte Hoffnung zu, dass
       die Machthaber umdenken. Welche Konsequenzen wird die Wahl haben? Und ist
       Peseschkian in der Lage, grundlegende Reformen in der Innen-, Wirtschafts-
       und Außenpolitik durchzusetzen? Er selbst hat bislang kein konkretes
       Programm vorgelegt und will sich erklärtermaßen nach den [4][Anweisungen
       des Revolutionsführers] richten. Ohnehin ist der Spielraum des Präsidenten
       gemäß der Verfassung überschaubar.
       
       Zwar macht es einen Unterschied, ob ein Präsident zu den radikalen
       Islamisten gehört oder zu den moderaten Reformern. Der Unterschied liegt
       aber nur in der Art und Weise der Umsetzung der Anweisungen, die von der
       Machtzentrale, das heißt dem Stab des Revolutionsführers kommen. Sollte
       also der Revolutionsführer meinen, es gehe nur darum, mit einem „moderaten“
       Präsidenten und einigen oberflächlichen Maßnahmen das Volk vorübergehend
       beruhigen zu können, wird Peseschkian genauso scheitern wie seine moderaten
       Vorgänger Mohammad Chatami und Hassan Rohani.
       
       Und selbst wenn der Revolutionsführer und seine Berater zu der Ansicht
       gelangt sein sollten, dem neuen Präsidenten grünes Licht für Reformen zu
       geben, stellt sich die Frage, ob sich der seit über 40 Jahren in Iran
       herrschende Gottesstaat überhaupt noch reformieren lässt. Immerhin ist
       Peseschkian, soweit man weiß, nicht korrupt, eine Eigenschaft, die unter
       den iranischen Politikern selten ist.
       
       ## Kaum ein Wille zur Reform
       
       Die neue Regierung müsste sich zunächst um die katastrophale Lage der
       Wirtschaft kümmern, die Zahl der Arbeitslosen drastisch reduzieren und die
       hohe Inflationsrate dämpfen. Das wäre nur möglich, wenn sie rigoros gegen
       die Korruption vorgehen würde, die sich wie ein Krebsgeschwür in der
       gesamten Verwaltung, in privaten und öffentlichen Institutionen verbreitet
       hat.
       
       Sie müsste das Monopol vor allem der religiösen Stiftungen, die keine
       Steuern zahlen, brechen, und noch wichtiger: die Revolutionswächter, die
       inzwischen die weitaus größte Wirtschaftsmacht des Landes bilden, aus der
       Wirtschaft verbannen und in die Kasernen zurückschicken, wo sie hingehören.
       Nicht weniger entscheidend für die Wirtschaft des Landes sind die
       internationalen Sanktionen.
       
       Hier Erleichterungen zu bewirken, setzt intensivierte diplomatische
       Anstrengungen voraus und die überzeugende Absage der Islamischen Republik
       an ihre ideologisch orientierte Außenpolitik. Dabei geht es vor allem um
       die Front gegen den Westen und gegen Israel. Milliarden Dollar fließen
       jährlich in die Finanzierung paramilitärischer Organisationen. Nicht
       zuletzt müsste Teheran das [5][Atomprogramm und die Urananreicherung]
       merklich zurückzufahren und glaubhaft versichern, keine Nuklearwaffen zu
       produzieren.
       
       Innenpolitisch müsste die neue Regierung die rigorose Zensur aufheben und
       die Freiheit der Presse, der [6][Meinungsäußerung und der Versammlung], der
       Kunst und Kultur gewährleisten. Freie Gewerkschaften, Parteien und Verbände
       müssten zugelassen, die Benachteiligung von Frauen und die
       Kleidungsvorschriften aufgehoben, Folter und Hinrichtungen strikt verboten
       und die politischen Gefangenen freigelassen werden.
       
       Jede dieser Maßnahmen ist ein Ast, auf dem die Machthaber sitzen. Diese
       Äste abzusägen, würde das Ende der Islamischen Republik bedeuten.
       
       18 Jul 2024
       
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