# taz.de -- Rechter Kulturkampf ums Essen: Käfer im Kopf
       
       > Rechtspopulisten sagen, Eliten wollten das Volk zum Essen von Insekten
       > zwingen. Auch Bauern verbreiten die Verschwörungsmythen. Was steckt
       > dahinter?
       
 (IMG) Bild: Insekten versus Grillwürstchen
       
       Essen taugt Rechtspopulisten immer, um Ängste zu schüren. Das Muster ist
       immer das gleiche: Sie behaupten, dass eine böse Elite in Regierung,
       Umweltschutz und Medien das Volk zwingen wolle, etwas zu essen oder nicht
       zu essen.
       
       Als die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) im März [1][weniger
       Fleisch] als bisher empfahl, wetterte das AfD-Bundesvorstandsmitglied
       Christina Baum, die Bundesregierung versuche schon wieder, „schrittweise
       unser Leben über Vorschriften zu kontrollieren und [2][zu bestimmen].“
       Obwohl die DGE eine unabhängige Fachorganisation ist, die nur Empfehlungen
       gibt.
       
       Besonders hartnäckig hält sich in rechtsradikalen Kreisen der
       Verschwörungsmythos, die „da oben“ wollten, dass „wir“ gegen unseren Willen
       Insekten essen. Auch hier ist die AfD ganz vorne dabei. In ihrem
       [3][Programm zur Europawahl] im Juni sprach sie sich gegen „verdeckte
       Beimischung von Insekten in Lebensmitteln“ aus und forderte, diese Zutaten
       „deutlich zu kennzeichnen“. „Generell treten wir dafür ein, dass die
       EU-Insektenfreigabe rückgängig gemacht wird.“
       
       Als die Europäische Union 2023 [4][weitere Insekten als Lebensmittel
       zuließ], mobilisierten rechte Blogs gegen „die EU“, die uns jetzt angeblich
       Insekten ins Essen mische. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger
       (Freie Wähler) polemisierte bei Twitter gegen Insektenessen
       („#GenussStattEkel“).
       
       Zuvor hatte die Bild-Zeitung auf ihrer Titelseite mit der Schlagzeile
       aufgemacht: „Diese Insekten sind jetzt im Essen erlaubt.“ Darunter ein bei
       den meisten Menschen wahrscheinlich ekelerregendes Foto von einer Made. In
       sozialen Netzwerken schimpften User: „Das könnt ihr und Frau von der Leyen
       gerne fressen. Wie Viecher“ und „Pfui Teufel!“.
       
       Dabei müssen Insekten laut EU-Recht bereits in der Zutatenliste klar
       genannt werden. Und zwar nicht nur mit den lateinischen Namen, sondern auch
       mit den bekanntesten deutschen. Die seit 2023 zugelassene Acheta domesticus
       muss also auch als „Hausgrille, Heimchen“ in der Liste auftauchen.
       
       ## Nur wenige Produkte mit Insekten
       
       Vor der Zulassung mussten die Unternehmen nachweisen, dass diese in Europa
       neuen Lebensmittel nicht der Gesundheit schaden. Wie viele andere
       Nahrungsmittel könnte auch Insektenpulver in seltenen Fällen allergische
       Reaktionen auslösen – etwa bei Menschen, die gegen Krebstiere, Weichtiere
       und Hausstaubmilben allergisch sind.
       
       Deshalb müssen Allergie-Warnungen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste
       stehen. Obwohl einzelne Insektenarten schon seit Jahren als Lebensmittel
       erlaubt sind, sind sie in der EU nicht weit verbreitet. Hierzulande sind
       nur wenige Produkte mit geringen Mengen an Insekten erhältlich – etwa
       Riegel oder Nudeln.
       
       Dass die Industrie jetzt versuchen wird, den VerbraucherInnen Grillen-
       statt Weizenmehl unterzujubeln, ist extrem unwahrscheinlich. Dafür sorgt
       schon der Preis: Ein Kilogramm des Insektenmehls wird online zum Beispiel
       für [5][knapp 130 Euro] angeboten. Die gleiche Menge Weizenmehl kostet im
       Laden typischerweise [6][weniger als 1 Euro].
       
       Dennoch polemisiert zum Beispiel der rechtspopulistische Agrarverband Freie
       Bauern Deutschland GmbH mit einer eigenen Internetseite nicht nur gegen
       „Veganpampe“ und „Reaktorfraß“, sondern ebenso gegen „Ungeziefer“ als
       Lebensmittel. Die Seite wurde prompt von dem rechten Blog [7][Achse des
       Guten] beworben.
       
       Auch die Freien Bauern sprechen davon, dass „wir“ Insekten verspeisen
       „sollen“. Immer mehr würden als Nahrungsmittel zugelassen, „die wenigsten
       davon als Grillen-Snack deklariert“. Das dürften viele Menschen so und
       damit falsch verstehen, dass es keine Kennzeichnungspflicht gebe. Die
       Wahrheit erfahren die Leser erst, wenn sie auf „Mehr lesen“ klicken:
       
       Dort räumen die Freien Bauern selbst ein, dass Lebensmittel mit Insekten
       laut Novel-Food-Verordnung der EU „klar und verständlich gekennzeichnet“
       sein müssen. Aber diese wichtige Information steht eben nur auf einer
       hinteren Seite des Internetauftritts.
       
       ## Klaus Schwab ist das personifizierte Böse
       
       Auffällig ist, dass Rechtsradikale auch in anderen Ländern
       Verschwörungsmythen über Insekten als Lebensmittel verbreiten, zum Beispiel
       in [8][Bulgarien und Ungarn]. Entsprechende Nachrichten liefen dem
       [9][US-Radiosender NPR] zufolge zum Beispiel auf der Internetplattform
       4Chan, die auch eine Quelle für Posts von QAnon, die Verschwörungsmythen
       verbreiten, war.
       
       Noch populärer machte der ehemalige Fox-News-Moderator [10][Tucker Carlson]
       die Angst vor dem Insektenessen. Mehrmals griff der Trump-Unterstützer das
       Thema auf, immer wieder wollte er bei den Zuschauern offenbar Ekel erregen
       mit Bildern von Menschen, die sich riesige Käfer in den Mund schoben und
       unter lautem Knacken zubissen.
       
       Bei Carlson kommt auch der Chef der Stiftung Weltwirtschaftsforum (WEF),
       Klaus Schwab, vor. Der deutsche Ökonom ist für viele
       VerschwörungserzählerInnen das personifizierte Böse, weil er in seinem Buch
       „[11][Covid 19: The Great Reset]“ anregte, die Weltwirtschaft und
       -gesellschaft nach der Pandemie gerechter und nachhaltiger zu gestalten.
       
       Rechtsradikale unterstellen, dass sich hinter dem Great Reset
       Weltherrschaftspläne einer mächtigen finanziellen und politischen Elite
       verbergen würden, die für die Pandemie verantwortlich sei und für sich
       nutze.
       
       Diese Elite wolle die Menschen versklaven, sie enteignen und dazu zwingen,
       sich von Insekten zu ernähren, weil sie das für umweltfreundlicher halte.
       
       ## Insekten stoßen weniger Treibhausgase aus
       
       Wahr ist nur, dass auf der Internetseite des WEF externe Autoren wie
       Wissenschaftler und Unternehmer in mehreren Artikeln schreiben, dass
       Insekten etwa eine [12][klimafreundlichere Proteinquelle] als Fleisch
       seien.
       
       Aus Umweltsicht wäre es wohl ein Fortschritt, wenn auch die EuropäerInnen
       statt Fleisch mehr Insekten äßen. „Hausgrillen benötigen sechsmal weniger
       Futter als Rinder, viermal weniger als Schafe und zweimal weniger als
       Schweine sowie Masthähnchen, um die gleiche Menge Protein zu produzieren“,
       schreibt die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO).
       
       „Außerdem stoßen sie weniger Treibhausgase und Ammoniak aus als
       herkömmliches Vieh.“ Insekten könnten auch mit Bioabfällen gefüttert
       werden. Eine günstigere Umweltbilanz dürfte aber weiterhin eine pflanzliche
       (vegane) Ernährung haben. Auch Insekten verbrauchen Kalorien für den
       Eigenbedarf, der so der menschlichen Ernährung verlorengeht.
       
       Von Zwang zum Insektenessen ist auf den WEF-Seiten keine Rede. Dennoch
       behaupten Rechtsradikale munter das Gegenteil. Das Internet ist voll von
       Bildern von Klaus Schwab und dem Satz „Eat Ze Bugs“, deutsche für: „Esst
       die Käfer“, wobei das „ze“ auf den starken deutschen Akzent von Schwabs
       Englisch anspielt.
       
       Worum es manchen Landwirten bei der Desinformation in Sachen Insekten als
       Nahrungsmittel wirklich geht, zeigt die Internetseite der Freien Bauern:
       Unter der Überschrift „Das Großkapital und seine Gehilfen“ schreiben sie,
       die Ernährungsindustrie erschließe sich mit „künstlichen Nahrungsmitteln“
       einen Markt, „wo Landwirtschaft nur noch eine Nebenrolle spielen soll“. Es
       geht also um Geld: Diese Bauern fürchten um ihr Geschäft mit Fleisch und
       Milch.
       
       26 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Neue-Empfehlungen-fuer-Fleisch/!5993635
 (DIR) [2] https://www.afd.de/christina-baum-ernaehrungsempfehlungen-der-deutschen-gesellschaft-fuer-ernaehrung-machen-krank/
 (DIR) [3] https://www.afd.de/wp-content/uploads/2023/12/AfD_EW_Programm_2024.pdf
 (DIR) [4] /Lebensmittel-aus-Hausgrillen-in-der-EU/!5907620
 (DIR) [5] https://snackinsects.com/p/gemahlene-grillen-100-gramm-insektenmehl
 (DIR) [6] https://www.rewe.de/produkte/ja-weizenmehl-type-405-1kg/6729550/?ecid=seo_google_vs_nonbr_rewe%7Cem%7Cenga%7Cn%7Clia-dms-ja_kochen-backen_lia_seo_nn_pid%3A_ch%3Alocal_nn_d%3Ac&marketCode=1763545
 (DIR) [7] https://www.achgut.com/artikel/fundstueck_ekelpaket
 (DIR) [8] https://www.euractiv.de/section/ernaehrung-und-gesundheit/news/fake-news-ueber-essbare-insekten-in-der-eu-in-umlauf/
 (DIR) [9] https://www.npr.org/2023/03/31/1167550482/how-a-conspiracy-theory-about-eating-bugs-made-its-way-to-international-politics
 (DIR) [10] https://www.youtube.com/watch?v=h-df7v4yveI
 (DIR) [11] https://www.amazon.de/COVID-19-Great-Reset-Klaus-Schwab/dp/2940631123
 (DIR) [12] https://www.weforum.org/agenda/2022/02/how-insects-positively-impact-climate-change/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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