# taz.de -- Memes als Insiderjoke: Demure is dead
       
       > Weil die Welt Sommerpause macht, analysieren Journalist_innen jetzt
       > Internettrends: so wie den Begriff „demure“. Dabei ist nichts daran neu.
       
 (IMG) Bild: Müssen wir Gen-Z-Memes verstehen, und wenn ja: Wer ist wir?
       
       Dazu müssen wir unbedingt was machen!“ Im Sommer, wo alle im Urlaub sind
       und in der Welt nicht viel passiert, hört man diesen Satz in Redaktionen
       regelmäßig. Und dann wird jedes noch so kleine Thema auf Verwertbarkeit
       überprüft und aufgebläht. So auch das Wort demure, das Journalist_innen
       unbedingt verstehen wollen. Dabei gibt’s an dem Wort nichts Neues; und
       überhaupt haben demure jetzt schon alle satt. Dennoch gibt uns das Wort
       einen Einblick in Gen-Z-Memes.
       
       Was heißt also dieses demure und warum benutzen alle das Wort auf einmal?
       Am 5. August postet die [1][Tiktokerin Jools Lebron] ein, wie sich
       herausstellen wird, [2][lebensveränderndes Video] auf ihrem Kanal. Sie
       sitzt im Auto, auf dem Weg zur Arbeit und sagt: „You see how I do my make
       up for work? Very demure. Very mindful.“ Also „Siehst du, wie ich mich für
       die Arbeit schminke? Sehr sittsam. Sehr achtsam.“
       
       Jools Lebrons Clip hat mittlerweile 37 Millionen Ansichten und schlägt
       Wellen. [3][Kim Kardashian filmt sich beim Schminken] und zitiert dabei
       Lebron. Penn Badgely, der Schauspieler aus der Netflix-Serie „You“,
       [4][zeigt sich am Set und beschreibt sich als „demure“ und „mindful“]. Dito
       die weltberühmte [5][Dragqueen RuPaul]. Sie interviewte [6][Jools Lebron
       zuletzt bei Jimmy Kimmel,] einer US-Late-Night-Show. RuPaul fragt, wie
       Lebron auf das Wort gekommen sei. „Anscheinend traumatisieren Jobs im
       Einzelhandel derart, dass man anfängt, Worte wie ‚demure‘ zu sagen“,
       antwortet die Tiktokerin.
       
       Einige Artikel interpretieren demure [7][falsch als Aufruf zur
       Make-Up-Mäßigung]. Oder als Gegenentwurf [8][zum lauten und ungezogenen
       brat-Trend] der vergangenen Wochen. Wer den Humor der Zoomer, also Gen Z,
       versteht, weiß aber, dass Lebrons Satz nicht ernst gemeint ist. Sich selbst
       als demure, also als sittsam oder zurückhaltend zu beschreiben, so
       selbstsicher und bissig wie es Lebron tut, ist das Gegenteil von demure.
       
       ## Verlust der ironischen Distanz
       
       [9][In einem CBS-Interview] erklärt sie, dass sie damit gegen stereotype
       Hausfrau-Ästhetik stacheln wollte. Lebron ist Beauty-Influencerin aus
       Chicago, eine Transfrau und kann sich Dank ihres viralen Clips und den
       daraus folgenden Werbedeals die weitere Geschlechtsangleichung leisten. Gut
       für sie. Schlecht für uns, denn wir werden uns noch eine Weile mit dem Wort
       beschäftigen müssen, auch weil sämtliche Marken direkt auf den Trend
       aufgesprungen sind: Sie kommentieren unter dem Originalvideo und schreiben
       die Buzzwords in Werbeposts, um zu suggerieren, wie hip sie sind. Die
       ironische Distanz geht dabei natürlich verloren.
       
       Wenn Boomer oder Marken versuchen, Teil eines Internetphänomens zu sein,
       ist das ohnehin mit großer Wahrscheinlichkeit sein Todesurteil. Bei brat
       mag das vielleicht noch geklappt haben, sogar für [10][Kamala Harris, die
       mit dem Begriff für sich Wahlkampf machte]. Aber gerade, weil es diese
       Trend-Word-Übersättigung gibt, ist demure eigentlich bereits beerdigt. „Ich
       kann es nicht mehr hören“, kommentieren User_innen auf Tiktok und Instagram
       jetzt schon. Also, lasst es ruhen!
       
       Hinzu kommt, dass es absolut kein neues Phänomen ist, sich ironisch als
       zurückhaltend oder reserviert zu beschreiben. Vor wenigen Wochen noch
       trendete das Wort „nonchalant“ unter hauptsächlich US-Zoomern. Dann „Aura“,
       die durch ein Punktesystem beschrieben wird. Etwa wenn jemand stolpert,
       könnte ein Zoomer den peinlichen Vorfall mit „Minus 300 Aurapunkte“
       kommentieren.
       
       Der [11][Linguist Adam Aleksic] findet ein Beispiel für diesen
       idealisierten Zustand, reserviert zu sein, sogar schon 1529 im Werk
       [12][„Il Cortegiano“] vom italienischen Grafen Baldassare Castiglione. Er
       führt das Konzept sprezzatura ein, das – wie demure – bedeutet, den
       Anschein von Mühelosigkeit zu erwecken. In Sekundärliteratur zu dem Werk
       wird sprezzatura – genau wie demure! – ironisch gedeutet. [13][Aleksic
       erklärt] weiter, dass das daran liege, wie absurd das soziale Konstrukt der
       Nonchalance überhaupt sei. Genau das merke man unvermeidbar, wenn man es
       dazu nutzt, sich oder andere zu beschreiben.
       
       Was sagt uns „Il Cortegiano“ also? Alles wiederholt sich. Opfer wird zu
       [14][NPC], Zicke zu [15][brat], lässig zu demure und so weiter. Bis der
       nächste Trend um die Ecke kommt, den Boomer und andere Digital Immigrants
       (das Gegenteil von Natives) nicht verstehen. Ist doch normal, dass sich der
       Humor derer, die chronisch online sind, von dem der Älteren unterscheidet
       und in seiner Schnelllebigkeit kryptisch wird. Jeder Witz ist ein Code und
       oft gibt es gar keinen Witz. Teil derjenigen zu sein, die das verstehen,
       ist Witz genug. Deswegen können sich Memes wie ein einziger, surrealer
       Inside-Joke anfühlen. Wer mitmacht, sagt: Ich verstehe, was du meinst. Ich
       gehöre dazu. Und weil demure zugänglich ist, gelingt dem Trend der
       Durchbruch in die Außenwelt.
       
       So wird es auch beim nächsten Wort sein. Etwa wenn überall „sprezz“,
       abgeleitet von sprezzatura, zu lesen sein wird. Zum Beispiel: „Der
       taz-Artikel über demure war gar nicht sprezz.“
       
       24 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tiktok.com/@joolieannie?lang=en
 (DIR) [2] https://www.tiktok.com/@joolieannie/video/7399736793119247662?lang=en
 (DIR) [3] https://www.tiktok.com/@chrisappletonhair/video/7403390058956442910
 (DIR) [4] https://www.instagram.com/p/C-tRG1Yu0Zj/?hl=en
 (DIR) [5] /Castingshow-Drag-Race-Germany/!5955134
 (DIR) [6] https://mashable.com/video/jools-lebron-demure-tiktok-star-rupaul-late-night
 (DIR) [7] https://www.stylebook.de/make-up/trends/demure-beauty-social-media-trend
 (DIR) [8] https://www.vogue.de/artikel/demure-tiktok-trend-brat-summer
 (DIR) [9] https://www.youtube.com/watch?v=gQk4iShWPXA
 (DIR) [10] /Social-Media-Kampagne-von-Kamala-Harris/!6022596
 (DIR) [11] /Sprachphaenomene-auf-Instagram/!5981295
 (DIR) [12] /Emanzipation-des-Alterns/!5051781
 (DIR) [13] https://www.instagram.com/reel/C-26pGeOgow/?hl=en
 (DIR) [14] /Jugendwort-Vorschlag-offenbart-Egoismus/!5949457
 (DIR) [15] /Brat-Album-auf-Social-Media/!6022194
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Valérie Catil
       
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