# taz.de -- ARD-Dramedy-Serie „All You Need“: Total schwul
       
       > Die deutsche Miniserie „All You Need“ über eine homosexuelle Clique setzt
       > neue Maßstäbe in der ARD. Sie erzählt nahezu ohne Klischees.
       
 (IMG) Bild: Homosexualität ist nicht die einzige Facette: Vince und Robbie aus „All You Need“
       
       Eine queere Serie hat es bislang im deutschen öffentlich-rechtlichen
       Fernsehen noch nicht gegeben. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die
       fünf jeweils 25-minütigen Episoden von „All You Need“, die ab 7. Mai in der
       ARD-Mediathek sowie am 16. und 17. Mai auf ONE ausgestrahlt werden.
       
       Im Fokus stehen mit dem bindungsscheuen Medizinstudenten Vince (Benito
       Bause) und seinem ersten Partner Robbie (Frédéric Brossier) sowie seinem
       sesshaft werdenden (Ex-)Mitbewohner Levo (Arash Marandi), der gerade zu
       (Ex-)Familienvater Tom (Mads Hjulmand) in die Berliner Vorstadt zieht, vier
       schwule Männer. Quotenfrau Sarina (Christin Nichols) rundet das
       Kernensemble ab.
       
       Angesichts dieser Zusammenstellung kann man sich berechtigterweise fragen,
       ob die ARD Degeto, die die Serie bei der UFA Fiction beauftragt hat, nicht
       schon wieder der gesellschaftlichen Realität hinterherhinkt, wenn sie etwas
       als queere Serie anpreist, das eigentlich ausschließlich schwule Männer
       abbildet – die noch dazu nicht von (geouteten) queeren Schauspielern
       dargestellt werden.
       
       Einen Fortschritt bedeutet „All You Need“ dennoch für die TV-Landschaft.
       Denn was und wie von der schwulen Clique erzählt wird, präsentiert sich
       nicht nur überraschend authentisch, sondern auch erfrischend freizügig. Die
       vorkommenden Bars, Saunen und Clubs existieren tatsächlich – und nach nur
       wenigen Minuten kommt es zum Oralsex auf der Toilette eines solchen.
       Drehort war das SchwuZ, eine feste Institution im queeren Berlin.
       
       ## Es geht auch um Klasse
       
       Die Beteiligten, Vince (29) und Robbie (27), haben sich kurz zuvor auf der
       Tanzfläche kennengelernt. Ihre Annäherung wird zu einem der zwei zentralen
       Handlungsstränge. Obwohl Serienschöpfer Benjamin Gutsche die Produktion
       oberflächlich als „Same Sex and the City“ bezeichnet, ist in ihrer
       Beziehung neben all den Soap-Elementen viel Tiefgründiges angelegt.
       
       So spricht Robbie, anders als der Rest der Gruppe, weder Fremdsprachen noch
       verfügt er über einen imposanten Lebenslauf. Dadurch wird die Figur nicht
       nur zum spannenden Gegenpol zum Bild des urbanen, kosmopolitischen
       Schwulen, sondern es wird auch [1][Klasse und ihre Auswirkungen] auf die
       Identität mit in die Handlung eingewoben.
       
       Denn mit Vince kommt es immer wieder zu Reibereien, etwa wenn er auf
       herablassende Art gendertheoretische Kritik an seinem Fußballkonsum übt.
       Gleichzeitig zeigt Robbie wenig Verständnis für die intersektionale
       Diskriminierung, der sein Partner als Schwarzer ausgesetzt ist und ihn als
       Schwulen in der Öffentlichkeit noch vorsichtiger auftreten lässt.
       
       Der unterschiedliche Umgang mit der eigenen Homosexualität wird durch alle
       Protagonisten thematisiert. Der flamboyante Levo (34) eckt als Mann, der
       nicht den gängigen heteronormativen Vorstellungen entspricht, sowohl in der
       eigenen Familie als auch den spießigeren Berliner Außenbezirken an.
       
       Während er auf Konfrontationskurs geht, fällt es dem gerade erst geouteten
       Tom (43) schwerer, selbstbewusst mit seiner sexuellen Orientierung
       umzugehen. Die Rückblicke, in denen von seiner schrittweisen Annäherung an
       die eigene Wahrheit erzählt wird, gehören zu den stärksten Szene der Serie.
       
       ## Übers Coming-out hinaus
       
       Dessen ungeachtet, ist „All You Need“ keine Produktion, die sich mit dem
       kleinen [2][Einmaleins von LGBTQ-Nebenhandlungen] begnügt. Sie geht über
       das Coming-out als Thema hinaus und beleuchtet den Alltag der Figuren. In
       dem ist Homosexualität eine zentrale Facette, aber eben nicht die einzige.
       
       Auch wenn Florian Hager, der die Mediathek der ARD verantwortet, betont,
       dass Geschichten wie diese zwar für eine bestimmte Community, aber „immer
       zugänglich für alle“ erzählt werden, geht die Serie über das hinaus, was
       dem Publikum ansonsten an Vorwissen abverlangt wird: Von „Top“- und
       „Bottom“-Dynamiken sowie ihren teils toxischen Zuschreibungen ist ebenso
       die Rede wie vom „Leather Daddy“ und seinen Fetischboutiquen.
       
       Über weite Strecken kommt „All You Need“ sogar ohne aufdringliche Klischees
       und Künstlichkeit aus – auch wenn der über allem liegende bläuliche
       Farbfilter sehr an Instagram-Stories erinnert. Doch ausgerechnet im Finale
       wird das überstrapazierte Bild des notorisch untreuen Schwulen leider doch
       noch bemüht.
       
       Es bleibt zu hoffen, dass die bereits bestätigte zweite Staffel die
       unversöhnliche Schlussnote zu beheben weiß – und in puncto Diversität noch
       ein wenig zulegt.
       
       7 May 2021
       
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