# taz.de -- Alkoholkonsum in Deutschland: Der billige Rausch
       
       > Die Ärztekammer fordert mehr Steuern auf Alkohol. Das ist richtig. Nur:
       > Es braucht dringend auch ein gesellschaftliches Umdenken.
       
 (IMG) Bild: Ob im Späti oder im Restaurant: Die Auswahl an Alkohol ist immer groß
       
       In Deutschland ist es selbstverständlich, Alkohol zu trinken. Wer nicht
       trinkt, wird sehr oft gefragt, warum das so ist: Schwanger? Religiös? Ach,
       du fährst heute vermutlich noch. Es ist so normalisiert, Alkohol zu
       trinken, dass wir dabei vergessen, dass es eine Droge ist. Eine Droge, von
       der [1][circa 1,6 Millionen der 18- bis 64-Jährigen in Deutschland abhängig
       sind]. 6,7 Millionen Menschen in dieser Altersklasse konsumieren sie in
       „gesundheitlich riskanter Form“.
       
       Alkoholkrankheit kann zu weiteren Erkankungen wie Krebs, Bluthochdruck,
       Erkrankungen an der Bauchspeicheldrüse oder der Leber führen. Laut
       [2][einer Studie der Uni Greifswald ist das Leben von
       Alkoholiker:innen durchschnittlich etwa 20 Jahre kürzer]. Ebenso hat
       es Auswirkungen, die nicht nur die Person selbst betreffen: [3][Kinder von
       Alkoholkranken] leiden in vielen Fällen unter häuslicher Gewalt,
       Misshandlung und Vernachlässigung – und werden später oft selbst zu
       Alkoholiker:innen.
       
       Dazu kommen gesellschaftliche Folgen wie Autounfälle, Diebstähle und
       Arbeitsunfähigkeit. Alkoholsucht ist also ein Problem, das direkt oder
       indirekt die ganze Gesellschaft betrifft. Wie also damit umgehen?
       
       Der Suchtexperte und Ärztekammer-Vertreter Erik Bodendieck forderte in der
       Bild anlässlich des Ärztetags, „endlich wirksame Maßnahmen (zu) ergreifen,
       um den Alkoholkonsum zu senken“. Deutsche würden im Durchschnitt 10,2 Liter
       Reinalkohol jährlich trinken, beinahe doppelt so viel Menschen wie im Rest
       der Welt. Der Alkoholkonsum fordere Jahr für Jahr rund 74.000 Todesopfer.
       Als Maßnahme nennt Bodendieck höhere Steuern für Alkohol und das Verbot von
       [4][Werbung und Sponsoring sowie eine zeitliche Verkaufsbeschränkung von
       Suchtmitteln].
       
       ## Bier so günstig wie Limo
       
       Es ist ein wichtiger erster Schritt, um beispielsweise Jugendlichen den
       Zugang zu Alkohol zu erschweren – und damit den Einstieg zum regelmäßigen
       und günstigen Rausch. Solange Bier im Späti genauso viel kostet wie Limo,
       ist der Griff zum Bier so selbstverständlich wie der zur Limo. Kein Zögern,
       kein Rechnen, ob das Geld im Portemonnaie noch reicht. Es gibt bereits die
       Regelung, dass das günstigste Getränk auf der Karte ein alkoholfreies sein
       muss. Der sogenannte „Apfelsaft-Paragraf“ führt dazu, dass das günstigste
       Getränk oft Wasser ist, danach kommt Bier, viel Alkoholfreies ist teurer.
       
       Doch was ist mit all den Menschen, die schon süchtig sind? Was ist mit den
       Leuten, die sich denken: „Ist mir doch egal, ich trinke eh nur Wein, wenn
       er mehr als 60 Euro kostet“? Es ist eine Krankheit, die nicht dadurch
       verschwindet, dass die Zugänglichkeit erschwert wird und die Preise
       steigen.
       
       ## Alkoholsucht und Stigma
       
       Alkoholsucht ist in der Gesellschaft so weit verbreitet, dass man sich in
       Deutschland endlich damit auseinandersetzen muss – und zwar umfassend. Es
       braucht eine Enttabuisierung, wir müssen nicht nur wegkommen von den
       Storys, in denen es total cool und männlich ist, übelst viel Alkohol zu
       trinken und am nächsten Tag nicht zu wissen, wie der Abend verlaufen ist.
       
       Wir müssen auch wegkommen vom Stigma, das Alkoholkranken oft
       entgegenschlägt. Ihnen wird oft die Schuld an ihrer Sucht gegeben. Als läge
       es an der schwachen Selbstkontrolle der Betroffenen. Dabei wird verkannt,
       dass Süchtige die Kontrolle über ihren Konsum längst abgegeben haben.
       Schambehaftet gestehen sich viele Süchtige deshalb ihre Alkoholkrankheit
       nicht ein und suchen keine professionelle Hilfe.
       
       ## Alkoholkonsum darf nicht mehr selbstverständlich sein
       
       Zu den Maßnahmen, die die Ärztekammer fordert, gehört eine „solide
       Finanzierung der ambulanten Suchthilfe durch Länder und Kommunen, um
       weiterhin einen kostenfreien und unkomplizierten Zugang sicherzustellen“.
       Auch sollen „praxisnahe Unterrichskonzepte im Medizinstudium für die
       Suchtmedizin entwickelt“ werden und Suchtmedizin als Querschnittsfach
       verankert werden.
       
       Dass die Ärztekammer diese Maßnahmen fordert, ist richtig, nun sollte
       gesellschaftlich nachgezogen werden: Das Thema allein ist ja kein rein
       medizinisches. Dass die Gefahr von übermäßigem Alkoholkonsum etwas nicht
       Ernstzunehmendes ist, wovon man selbst nicht betroffen ist, gehört wie
       selbstverständlich zum Alltag in Deutschland. Bei Zigaretten und anderen
       Drogen ist das ganz anders. Man stelle sich vor, im Büro würde ganz offen
       über Bücher diskutiert, die nicht „Endlich Nichtraucher“, sondern „Endlich
       trocken!“ heißen. Es scheint unvorstellbar.
       
       Das fängt schon damit an, dass Eltern bei Kindern wie selbstverständlich
       mal zum 12. Geburtstag ein Bier oder mit 14 zur Einschulung der kleinen
       Schwester erlauben mit Sekt anzustoßen. Und überhaupt: Wer etwas zu feiern
       hat, kann auch anders feiern als mit Champagner.
       
       ## Kostenlose Alkohol-Werbung auf Instagram
       
       Wer Feierabend hat, braucht nicht unbedingt ein Feierabendbier, auch Eis
       oder ein Kinobesuch lenken vom anstrengenden Arbeitstag ab. Restaurants und
       Lokale sollten öfter mal eine Bubbletea- oder Saftkarte haben als eine
       Weinkarte. Und das Foto vom Aperol Spritz vorm Sonnenuntergang muss auf
       Instagram aus mehreren Gründen echt niemand sehen – nicht zuletzt, weil es
       eine unangebrachte Romantik assoziiert.
       
       Das Umdenken sollte damit anfangen, dass Alkohol nicht als naheliegende
       Lösung gesehen wird in einer Krise. Das dient oft als flacher Witz, ist
       aber für viele Realität. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in
       Mannheim (ZI) kam zu dem Ergebnis, dass der Alkoholkonsum zu Hause seit
       Beginn der Coronapandemie bei jeder dritten Person gestiegen ist.
       
       Alkohol löst keine Krisen, er verstärkt sie eher noch. Eigentlich wissen
       wir das längst alle, warum fällt es uns so schwer, das offen zu
       kommunizieren?
       
       31 May 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/a/alkohol.html
 (DIR) [2] https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2012-10/Alkoholiker-Sucht-Lebenserwartung
 (DIR) [3] /Alkoholismus-in-der-Familie/!5468716
 (DIR) [4] https://www.bundesaerztekammer.de/presse/pressemitteilungen/news-detail/aerztetag-fordert-hoehere-steuern-und-werbeverbot-fuer-legale-suchtmittel/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nicole Opitz
       
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