# taz.de -- Aufarbeitung von Verbrechen des Militärs: Mütter drängen Mörder zur Wahrheit
       
       > In Kolumbien bringt ein Sondergericht frühere Militärs mit Angehörigen
       > von Opfern zusammen, die zur Erfüllung von Fangquoten getötet worden
       > waren.
       
 (IMG) Bild: Weinende Angehörige im Gericht in Ocana, während sie den Mordschilderungen zuhören müssen
       
       BOGOTÁ taz | Das Schicksal des Bauern Javier Peñuela besiegelte ein
       schmerzender Zahn. Denn als er deshalb ins Dorf ging, ergriff ihn eine
       Militärpatrouille, die ihn verschleppte und ermordete. Peñuela stand auf
       einer Liste mit 15 Namen von Unschuldigen, die der damalige Unteroffizier
       Néstor Guillermo Gutiérrez mit der Verwalterin eines Bordells
       zusammengestellt hatte.
       
       So schildert es Néstor Gutiérrez in der ersten öffentlichen Anhörung des
       kolumbianischen [1][Sondergerichts für den Frieden] im Fall der „Falsos
       Positivos“. „Falsche Treffer“ heißen beschönigend die unschuldigen
       Zivilisten, welche die Armee ermordete und als Guerilleros verkleidete, um
       Quoten zu erfüllen und Prämien einzustreichen.
       
       6.402 solcher Fälle hat das Sondergericht bislang ermittelt. Es ist eines
       der schlimmsten Verbrechen in über 50 Jahren bewaffnetem Konflikt zwischen
       dem Staat und der Farc-Guerilla, den das Friedensabkommen von 2016 beenden
       sollte.
       
       „Wir haben ein Theater erfunden, um einen Kampf vorzutäuschen wegen des
       Drucks, der von oben kam. Ich habe von den Menschen, die heute hier sind,
       Angehörige ermordet und sie mit Hilfe von Lügen und Betrügereien
       verschleppt. Ich habe sie grausam ermordet und ihnen eine Waffe hingelegt,
       um zu sagen, dass es ein Kampf war, dass sie Guerilleros waren, um den
       Namen dieser Familie zu beflecken, sie zu zerstören, Kinder ohne Vater
       zurückzulassen, Eltern ohne Kinder.“
       
       ## Landesweit übertragene Geständnisse von Militärs
       
       Was Gutiérrez und die anderen Militärs hier an zwei Tagen erzählten, konnte
       ganz Kolumbien per Liveübertragung mitverfolgen.
       
       In Ocaña, einer Stadt im Norden, standen sich elf Täter (zehn Ex-Militärs
       und ein Zivilist) und Opfer gegenüber. „Es war historisch. Zum ersten Mal
       sprachen die vor Gericht Auftretenden öffentlich nicht nur von Fehlern,
       sondern von Verbrechen“, sagt Juliette Vargas, Anwältin beim
       kolumbianisch-deutschen Friedensinstituts (Capaz). Sie promoviert derzeit
       zur Teilhabe der Opfer bei der Übergangsjustiz.
       
       Die früheren Militärs schilderten, wie sie vorab bei Paramilitärs Waffen
       besorgten, um die Ermordeten zu verkleiden, systematisch Dokumente
       fälschten und ihre Opfer beschuldigten.
       
       Ein wichtiger Punkt war jetzt, dass die Täter ihre Opfer öffentlich
       rehabilitierten. Dabei ist das Besondere an Kolumbiens Übergangsjustiz,
       dass Opfer aktiv teilhaben.
       
       ## Ohne die Mütter wäre der Skandal nie bekannt geworden
       
       Ohne sie wäre der Skandal auch nie ans Licht gekommen. Allen voran die
       Mütter von Soacha nahe Bogotá. Seit mehr als 14 Jahren kämpfen sie für
       Gerechtigkeit für ihre ermordeten Söhne.
       
       Mit falschen Versprechen auf Arbeit waren sie weggelockt worden, um dann
       als Guerilleros verkleidet hunderte Kilometer entfernt in einem Massengrab
       bei Ocaña wieder aufzutauchen. Die anderen Opfer stammten aus der Region.
       Die Anwesenden sind laut Gericht für mindestens 120 „Falsos Positivos“
       zwischen 2007 und 2008 in der Region verantwortlich.
       
       Mütter forderten sie auf, mehr Namen zu nennen, vor allem aus der Führung.
       Zwei nannten sie immer wieder: Álvaro Uribe und Juan Manuel Santos – der
       damalige Präsident und sein Verteidigungsminister, der später auch
       Präsident wurde und sogar den Friedensnobelpreis erhielt.
       
       ## Manche Täter sind noch im Dienst
       
       Andere Täter seien noch im Dienst. Der Einzige, der von den Morden in Ocaña
       nichts gewusst haben wollte, war der Ranghöchste, General Paulino Coronado
       – obwohl ihm laut [2][Richterin Catalina Díaz] das Gegenteil nachgewiesen
       wurde.
       
       Das Gericht muss entscheiden, ob die Täter ausreichend zur Wahrheitsfindung
       beigetragen und ihre Verantwortung anerkannt haben. Das ist die
       Voraussetzung für mildere Strafen, bei denen die Wiedergutmachung im
       Mittelpunkt steht.
       
       29 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Getoete-Zivilistinnen-in-Kolumbien/!5750668
 (DIR) [2] https://www.elespectador.com/colombia-20/jep-y-desaparecidos/falsos-positivos-segundo-dia-de-audiencia-de-reconocimiento-de-responsabilidad-de-militares-por-ejecuciones-extrajudiciales/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Wojczenko
       
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