# taz.de -- Benachteiligung von Künstlerinnen: Schieflage im Kunstbetrieb
       
       > Der Gabriele-Münter-Preis für Künstlerinnen ab 40 wird nicht wie geplant
       > ausgelobt. Franziska Giffey sagte die Unterstützung erstmal ab.
       
 (IMG) Bild: Franziska Giffey schmückt sich mit Graffitis, unterstützt Künstlerinnen aber nicht
       
       [1][Als nach mehrjähriger Schließzeit die Neue Nationalgalerie in Berlin
       frisch saniert wiedereröffnete] und in einer Sammlungspräsentation mit
       großen Namen der Moderne aufwartete, offenbarten sich darin vor allem die
       Lücken. Bis auf Leihgaben und wenige sammlungseigene Werke sind dort nun
       vor allem die Arbeiten männlicher Künstler zu sehen. Der deutsche
       Expressionismus zum Beispiel ist mit Kandinsky oder Kirchner groß
       vertreten. Dass die Malerin Gabriele Münter bedeutende expressionistische
       Werke schuf und in der Gruppe Der Blaue Reiter aktiv war, weiß kaum noch
       jemand.
       
       Münter gehört zu den wenigen Frauen, die zu Beginn des vergangenen
       Jahrhunderts gegen alle Widrigkeiten den Beruf der Künstlerin ergriffen.
       Später wurden die Werke dieser Künstlerinnen kaum gekauft. Frauen haben es
       im Kunstberuf nach wie vor schwer.
       
       Das liegt oft an der Doppelrolle als Mutter und Künstlerin – an der
       Herausforderung, Kinder zu betreuen und gleichzeitig um Präsenz in
       Ausstellungen und um Förderungen kämpfen zu müssen. Wenn sich die Karriere
       in die Vierziger verlagert, sind Künstlerinnen zudem von Stipendien oder
       Preisen ausgeschlossen, die an Altersgrenzen gebunden sind.
       
       ## Jede Vergabe erkämpft
       
       Speziell an Künstlerinnen ab 40 Jahren richtet sich der bisher mit 20.000
       Euro dotierte Gabriele-Münter-Preis. Das Bundesministerium für Familie,
       Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) machte die Auslobung des Preises seit
       1994 im Abstand von drei Jahren möglich. Als Bundesministerin für Frauen
       und Jugend hatte Angela Merkel den Preis durchgesetzt. Doch in diesem Jahr
       wird er nicht wie geplant ausgelobt. [2][Franziska Giffey, die zuletzt das
       Ministerium leitete,] sagte die finanzielle Unterstützung erstmals ab.
       
       [3][Marianne Pitzen, Künstlerin und Leiterin des Frauenmuseums Bonn], hatte
       den Preis gemeinsam mit anderen Frauen des Bonner Kollektivs gegründet. Der
       Etat wurde anfangs für sechs Ausgaben zur Verfügung gestellt, musste
       allerdings immer wieder neu beantragt werden. „Wir konnten den Preis nie
       einfach so machen, mussten jede Vergabe aufs Neue erkämpfen“, sagt Pitzen.
       Bisher habe aber jede Ministerin hinter dem Preis gestanden, nur Franziska
       Giffey nicht. Nur einmal, bis zur Auslobung der 7. und bisher letzten
       Ausgabe, sei es zu einer mehrjährigen Verzögerung gekommen, das habe aber
       nicht an der damaligen Ministerin gelegen.
       
       Die Idee zum Preis hatte das Bonner Kollektiv schon in den 1980er Jahren.
       „Damals meldeten sich unzählige Frauen bei uns, und in nahezu jedem Brief
       kam das Thema auf: Frauen in ihren Vierzigern versuchten wieder in ihren
       Kunstberuf einzusteigen, hatten aber keine Chance.“ Prominente
       Unterstützung erhielten die Frauen von der CDU-Politikerin Rita Süssmuth,
       die in den 1980er Jahren als Ministerin das BMFSFJ leitete und es erst um
       das Ressort Frauenpolitik erweiterte. Sie war regelmäßig im Frauenmuseum
       und hielt Reden bei den Eröffnungen. Die Wege in der damaligen Hauptstadt
       der BRD seien noch kurz gewesen, erinnert sich Pitzen, die Medien schauten
       nach Bonn.
       
       ## Männer sind erfolgreicher
       
       Seit der ersten Auslobung organisierte das Frauenmuseum den Preis gemeinsam
       mit dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, BBK, und vom
       Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden, Gedok.
       Unter Tausenden Bewerberinnen wurden je 40 Nominierte ausgewählt und in
       einer großen Ausstellung in Bonn sowie im Martin-Gropius-Bau oder der
       Akademie der Künste in Berlin gezeigt. Bekannte Künstlerinnen, wie Valie
       Export, Ulrike Rosenbach oder Cornelia Schleime, zählten zu den
       Preisträgerinnen, aber auch weniger bekannte Frauen. Der Preis errang
       internationales Renommee und sensibilisierte die Öffentlichkeit für das
       Thema.
       
       An der Situation von Künstlerinnen hat sich bis heute zu wenig geändert.
       Zwar sind mehr als die Hälfte der Student:innen an Kunsthochschulen
       Frauen. Es erhalten mehr Frauen Einzelausstellungen oder sind in
       Gruppenausstellungen und Galerien vertreten. Aber die Zahl erfolgreicher
       Männer im Kunstberuf ist deutlich höher und das Einkommen von Künstlerinnen
       ist nach wie vor deutlich niedriger.
       
       So gibt etwa der in diesem Jahr veröffentlichte Spartenbericht Bildende
       Kunst des Statistischen Bundesamtes an, dass in der Gruppe der
       Künstler:innen mit einem monatlichen Einkommen von weniger als 1.100
       Euro 60 Prozent Frauen sind. Während Frauen am häufigsten Jahreseinkünfte
       zwischen 3.000 und 5.000 Euro angaben, gaben Männer am häufigsten Einkünfte
       zwischen 10.000 und 20.000 Euro an. [4][Auch die Daten der
       Künstlersozialkasse] bestätigen das Bild: Bei selbstständig tätigen Frauen
       in der bildenden Kunst liegen die Jahreseinkommen deutlich unter denen der
       Männer. In Bayern etwa verdienen Männer durchschnittlich 23.513 Euro;
       Frauen 16.334 Euro.
       
       ## Kunst von Frauen günstiger
       
       Auch beim Verkauf von Kunstwerken sind die Unterschiede eklatant. Am
       Kunstmarkt werden die Werke von Frauen deutlich preiswerter gehandelt als
       die von Männern. Die Kunstmarktreporte der Art Basel und der
       Finanzsberatung UBS gaben in den vergangenen Jahren an, dass sich erst bei
       der jüngsten Gruppe der Berufskünstlerinnen größere Erfolgschancen
       abzeichneten, was auf die wachsende Zahl sammelnder Frauen zurückzuführen
       sei.
       
       Auf Nachfrage der taz verwies das BMFSFJ auf die „intensiven
       Anstrengungen“, die in der Legislaturperiode unternommen worden seien, „um
       in der Breite, unter Berücksichtigung des gesamten Kultur- und
       Mediensektors, Sexismus zu bekämpfen“. Als Beispiele wurden die geförderte
       Dialogreihe „Gemeinsam gegen Sexismus“ angeführt, zudem zwei Projekte im
       Bereich der Medien- und Filmwirtschaft, ohne Frage eine ebenfalls stark
       betroffene Branche.
       
       Das Ministerium könne nicht alle Bereiche in gleichem Maße unter
       gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten fördern, hieß es weiter. Man
       habe den Preis auch deswegen nicht ausgelobt, weil er ausschließlich der
       Zielgruppe von bildenden Künstlerinnen über 40 Jahren zugutegekommen wäre.
       
       Angela Merkel hatte das noch anders gesehen. In ihrer Rede zur ersten
       Auslobung hob sie gerade die Notwendigkeit vor, diese besonders
       benachteiligte Gruppe mit politischen Instrumenten zu fördern: „Damit
       berücksichtigen wir die besondere Situation von Frauen, die oft für viele
       Jahre durch Kinder und Familie in ihren künstlerischen Möglichkeiten stark
       eingeschränkt sind. Gegenüber den Männern ergibt sich daraus ein
       erheblicher Wettbewerbsnachteil auf dem Kunstmarkt – zumindest eine oft
       deutliche zeitliche Verzögerung des Schaffensprozesses.“
       
       Doch in einem Punkt hat das Ministerium recht: Es reicht nicht, einen Preis
       auszuloben, der sich an die Zielgruppe der über Vierzigjährigen richtet.
       Zusätzlich müssen jüngere Künstlerinnen unterstützt werden. Initiativen wie
       „Mehr Mütter für die Kunst“ oder „Kunst + Kind Berlin“ fordern zum Beispiel
       Residenzstipendien mit Kinderbetreuung, Zuschläge für Betreuungskosten,
       Unterstützung beim Wiedereinstieg nach der Familienphase sowie die
       Abschaffung der Altersbeschränkungen. Forderungen, die zeigen, dass
       deutlich mehr getan muss, gerade auch für junge Mütter im Kunstberuf.
       
       Die jahrhundertelang etablierte Schieflage reguliert sich nicht von selbst.
       Was sich als strukturelles Problem der Diskriminierung und Benachteiligung
       festgesetzt hat, bedarf politischer Lösungen. Pitzen und ihr Team müssen
       nun die Bundestagswahl und die Neubesetzung des Ministeriums abwarten. Die
       nächste Minister:in wird dann Gelegenheit haben, nicht nur den Preis zu
       retten, sondern sich noch umfangreicher als die bisherigen für die
       bildenden Künstlerinnen einzusetzen.
       
       12 Sep 2021
       
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 (DIR) Sabine Weier
       
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