# taz.de -- Bevölkerungszahlen im Zensus 2022: Berlin, sie haben dich geschrumpft
       
       > Die Ergebnisse des Zensus 2022 liegen vor – Städten wie Berlin fehlen auf
       > einmal zigtausende Menschen. Das hat zum Teil ganz reale Folgen.
       
 (IMG) Bild: Klein-Berlin an der Spree hat Wachstumshemmungen
       
       In Kümmernitztal dürfte der Glaube an die Kraft der Statistik ungebrochen
       sein. Der kleine Ort irgendwo im Nordosten Brandenburgs gehört zu den
       wenigen deutschen Gemeinden, wo der [1][Zensus 2022], dessen Ergebnisse am
       Dienstag veröffentlicht wurden, eine Punktlandung erbrachte: 377
       EinwohnerInnen wurden dort gezählt, exakt so viele, wie in Fortschreibung
       der letzten Erhebung aus dem Jahr 2011 vorhergesagt worden waren. Nicht
       einer mehr, nicht eine weniger.
       
       Auf die allermeisten Kommunen trifft das allerdings mitnichten zu. Laut dem
       nun vorliegenden Zahlenwerk leben in manchen Städten deutlich mehr als
       errechnet, in den meisten aber viel weniger. Insgesamt sind in dieser Woche
       der Bundesrepublik 1,37 Millionen Menschen abhandengekommen, rein
       statistisch jedenfalls. Denn die Bevölkerung ist ja nicht geschrumpft – sie
       ist nur deutlich langsamer gewachsen als prognostiziert.
       
       Vor allem einigen Großstädten hat es so richtig die Zahlenbasis verhagelt.
       In absoluten Zahlen führt natürlich wieder mal Berlin: Fast 129.000
       Menschen fehlen der Metropole auf einmal. Gerade noch sah die Buchführung
       des Statistischen Bundesamts, die sich in den Perioden zwischen einem
       Zensus und dem folgenden auf Prognosen und Algorithmen verlässt, die
       Hauptstadt bei über 3,7 Millionen. Jetzt sind es plötzlich nicht einmal
       mehr 3,6 Millionen.
       
       Das wirft insbesondere für Laien einige Fragen auf: zum Beispiel, warum in
       einem Land, das immer noch als Ebenbild bürokratischer Sorgfalt gilt, die
       Bevölkerungszahl immer noch mehr oder weniger geraten werden muss. Denn
       auch die Ergebnisse des Zensus 2022 sind im Grunde nur eine Hochrechnung:
       In Berlin wurden lediglich rund 700.000 Personen befragt, der Rest wurde
       extrapoliert.
       
       Unklar bleibt aber auch, warum im Jahr 2024 alle genauso überrascht sind
       wie 2013. [2][Damals riefen die Ergebnisse des Zensus 2011 exakt den
       gleichen Realitätsschock hervor], der Berliner Senat musste von einem Tag
       zum anderen sogar auf 180.000 BürgerInnen verzichten. Die statistischen
       Methoden scheinen seither höchstens ein kleines bisschen besser geworden zu
       sein.
       
       Dass das Ganze mit dem beklagenswerten Zustand der Bürgerämter zu tun hat,
       bei denen Termine zu ergattern immer noch einer Lotterie gleicht, ist dabei
       nur eine Hypothese. Eine belastbare Teilerklärung ist aber, dass viele
       Menschen die Stadt ins Ausland verlassen, sich aber nicht ordnungsgemäß
       abmelden.
       
       ## So schnell knackt Berlin nicht die 4 Millionen
       
       Gefühlt ist das ernüchternd für alle, die die Stadt an der Spree möglichst
       bald in der Liga der 4-Millionen-Städte sehen wollen (in die sie übrigens
       vor dem Zweiten Weltkrieg längst gehörte). Zwei Schritte vor, einer zurück
       – da kann es noch lange dauern, bis die magische Marke endlich geknackt
       wird.
       
       Ganz real ist aber eine andere Problematik. Weniger Menschen bringen
       weniger Geld über den Länderfinanzausgleich. Wobei: Wären alle deutschen
       Gemeinden gleich stark „geschrumpft“, würde sich an der Verteilung der
       Mittel aus den Bundestöpfen im Prinzip nichts ändern. Aber Berlin hat –
       zumindest virtuell – viel mehr Bevölkerung verloren als im
       Bundesdurchschnitt, deshalb muss es jetzt bluten.
       
       [3][Bis 2028 entgehen Finanzsenator Stefan Evers (CDU) pro Jahr Hunderte
       Millionen Euro], im Jahr 2028 wird es sogar mehr als eine halbe Milliarde
       sein. Blöd, dass die schwarz-rote Koalition gerade erst glaubte, 150
       Millionen für „Zensusrisiken“ aus dem aktuellen Doppelhaushalt streichen zu
       können, um diesen zu sanieren.
       
       Auf taz-Nachfrage an Berlins Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, ob man
       dank des schwächeren Bevölkerungswachstums jetzt nicht mehr [4][auf Biegen
       und Brechen den Neubau fördern] müsse, erwidert die übrigens: „Der
       Wohnungsbedarf wird methodisch auf Grundlage der Bevölkerungsprognose
       abgeschätzt, die wiederum auf dem Melderegister basiert und damit von den
       Zensusdaten abweicht.“ Sprich: Ihr habt eure Zahlen, wir haben unsere. So
       entspannt kann man mit Zahlen also auch umgehen.
       
       28 Jun 2024
       
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