# taz.de -- Bundestag beschließt längere Laufzeiten: Atomausstieg unter Protest gekippt
       
       > Begleitet von Protesten haben Union und FDP die längeren Atomlaufzeiten
       > durchgesetzt. FDP-Politiker van Essen sorgte mit einer Äußerung für einen
       > Eklat.
       
 (IMG) Bild: Gereizte Stimmung: Parlamentarier über die Atompolitik ab.
       
       Nur eine Minute währt die Einigkeit am Donnerstag im Bundestag: Zum
       Gedenken an den verstorbenen SPD-Abgeordneten Hermann Scheer - Vorkämpfer
       für erneuerbare Energien - erheben sich die Mitglieder aller Fraktionen zu
       Sitzungsbeginn noch gemeinsam.
       
       Unmittelbar danach, bei der Debatte über die Tagesordnung - die Grünen
       wollten die Entscheidung über die längeren Atomlaufzeiten wegen
       unzureichender Beratungszeit in den Ausschüssen verschieben -, kommt es
       dann schon zum Eklat. Jörg van Essen (FDP) greift die Abgeordneten der
       Grünen, die durch komplett schwarze Kleidung darauf hinweisen wollen, dass
       die anstehenden Entscheidungen einen "schwarzen Tag für Deutschland"
       bedeuten, scharf an: "Es hat keinem Parlament in der Welt gut getan, wenn
       eine Fraktion einheitlich gekleidet aufgetreten ist." Die Grünen verstehen
       dies als eindeutige Anspielung auf die Braunhemden der Nazis und sind
       empört. Eine Entschuldigung lehnt van Essen ab.
       
       In ähnlicher Stimmung geht die Debatte weiter. Die Regierungsparteien,
       deren Umwelt- und Wirtschaftspolitiker sich im letzten Jahr oft heftig
       widersprochen hatten, präsentieren sich einig wie nie. Peter Altmaier, der
       parlamentarische Geschäftsführer der Union, der am Vortag im taz-Interview
       noch von schwarz-grünen Koalitionen geträumt hatte, wirft den Grünen nun
       "Klamauk" und "Obstruktion" vor. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), der
       die Laufzeiten eigentlich viel weniger verlängern wollte als die im Schnitt
       mindestens zwölf Jahre, die nun beschlossen werden, will seine Niederlage
       offenbar durch möglichst heftige Angriffe gegen die Opposition vergessen
       machen: "Verantwortungsverweigerer" und "energiepolitische Blindgänger"
       nennt er seine Amtsvorgänger Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin
       (Grüne). Während Schwarz-Gelb ein "revolutionäres Konzept" ausgearbeitet
       habe, würden seine Kritiker nur "argumentationsloses Kampfgeschrei"
       verbreiten und "Ängste schüren". Sein Konzept geht auf: Neben wütenden
       Zwischenrufen aus der Opposition erntet Röttgen ungewohnt langen Beifall
       aus den eigenen Reihen.
       
       Trittin und Gabriel fahren ihrerseits schwere Attacken gegen den
       Umweltminister. Indem er behaupte, die Sicherheitsanforderungen zu
       verschärfen, sage "Märchenonkel Röttgen" der Öffentlichkeit "dreist die
       Unwahrheit", kritisiert Gabriel. Und Trittin wirft Röttgen eine
       "unerträgliche Lobby- und Klientelpolitik" vor. Um den Energiekonzernen
       Milliardengewinne zu ermöglichen, habe die Regierung durch das verkürzte
       Verfahren parlamentarische Regeln gebrochen. Zudem sei die geplante
       Umgehung des Bundesrats verfassungswidrig. "Was Sie machen, ist keine
       Revolution, sondern ein Putsch", sagt Trittin.
       
       SPD, Grüne und Linke sind sich einig in der Kritik, dass die Regierung
       einen mühsam erzielten gesellschaftlichen Konsens aufkündige. "Sie stellen
       absichtsvoll Unfrieden her", sagt Linken-Fraktionschef Gregor Gysi.
       
       Einen ersten Eindruck davon vermitteln Atomkraftgegner zur gleichen Zeit in
       Berlin: Während der Bundestagssitzung bilden knapp 2.000 Menschen vor dem
       Reichstagsgebäude eine Menschenkette. Mit Trillerpfeifen und Kochtöpfen
       schlagen sie "Atomalarm", um die Abgeordneten zur Ablehnung der
       Laufzeitverlängerung aufzufordern. "Eine breite Mehrheit ist gegen
       Atomkraft", sagt Uwe Hiksch vom Vorstand der Naturfreunde Deutschland.
       
       Anschließend verfolgt ein Teil der Demonstranten die Bundestagsdebatte vor
       dem Brandenburger Tor auf einer Leinwand; andere üben dort eine
       Sitzblockade für den Castor-Transport, der am nächsten Wochenende nach
       Gorleben rollt. Aktivisten von Greenpeace entrollen unterdessen vom Dach
       der CDU-Parteizentrale ein riesiges Transparent, auf dem sie der Partei
       "Politik für Atomkonzerne" vorwerfen.
       
       Erfolg hat der Protest vor der Tür ebenso wenig wie der Versuch der Grünen
       im Bundestag, die Abstimmung durch eine Vielzahl von Änderungsanträgen,
       über die namentlich abgestimmt wurde, aufzuhalten: Mit mehreren Stunden
       Verspätung stimmt Schwarz-Gelb am Nachmittag mit knapper Mehrheit für die
       umstrittenen Atomgesetze.
       
       28 Oct 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) M. Kreutzfeldt
 (DIR) F. Dachsel
       
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 (DIR) Schwerpunkt Anti-AKW
       
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