# taz.de -- Chatbots aus China: Ernie statt ChatGPT
       
       > Die chinesische Regierung hat erstmals mehrere KI-Chatbots für die
       > Öffentlichkeit freigegeben. Diese dienen vor allem der politischen
       > Kontrolle.
       
 (IMG) Bild: Peking, 16.08.: Besucher des „Wave Summit“ probieren den Chatbot Ernie aus
       
       PEKING taz | Als die kalifornischen Entwickler von „[1][Open AI]“ ihren
       [2][ChatGPT] auf den Markt brachten, reagierte die chinesische Regierung
       wie zu erwarten: Nach einem kurzen Zeitfenster der Neugierde ließ sie die
       Software für die eigene Bevölkerung sperren. Im Hintergrund jedoch
       arbeiteten die heimischen Programmierer bereits unter Hochdruck an einer
       chinesischen Alternative.
       
       Am Donnerstag schließlich hat Peking eine Lizenz an gleich mehrere Anbieter
       vergeben, die nun ihre Chatbots der Öffentlichkeit zugänglich machen
       dürfen. Als vielversprechendster [3][Konkurrent] zu ChatGPT gilt
       insbesondere „Ernie“ vom Internetriesen [4][Baidu], dem chinesischen
       Pendant zu Google. Der Markt reagierte euphorisch: Die Baidu-Aktie stieg am
       Donnerstag um über 3,1 Prozent.
       
       Bislang wurde die Entwicklung von KI-Software vor allem von den politischen
       Regulierungen in China gelähmt. Künstliche Intelligenz wird einerseits zwar
       von der Parteiführung in Peking als Zukunftstechnologie massiv gefördert,
       bietet aber gleichzeitig auch ein ungemein subversives Potenzial – nicht
       zuletzt, weil die Software selbst dazu lernt.
       
       Doch die Zentralregierung hatte es bereits vor über zehn Jahren erfolgreich
       gemeistert, die digitalen Möglichkeiten für den eigenen Machterhalt
       erfolgreich zu nutzen. Als nämlich die sozialen Medien aufkamen, reagierte
       Peking zunächst mit flächendeckenden Verboten und Zensur. Zu sehr hatte man
       Angst vor dem Mobilisierungspotenzial von Twitter und Facebook, wie es die
       Jugend beim „arabischen Frühling“ nutzte: Man organisierte sich, teilte
       kritische Informationen gegen autoritären Herrscher, verabredete sich zu
       Protesten.
       
       ## Eigene Alternativen von kritischen Inhalten gesäubert
       
       Doch Peking lernte schnell dazu. Schon bald, nachdem die ausländischen
       Plattformen verboten waren, brachte man eigene Alternativen auf den Markt.
       Diese wurden nicht nur von sämtlichen kritischen Inhalten gesäubert,
       sondern dienten dem Regime schließlich als Werkzeug zur Kontrolle und
       Überwachung.
       
       Ohne Wechat, Weibo und Co. würde die staatliche Propaganda mittlerweile
       weitaus weniger effektiv funktionieren: Der Algorithmus sorgte zum Beispiel
       während der drakonischen Corona-Lockdowns dafür, dass die Postings
       verzweifelter und wütender Bürger gelöscht wurden, während die „heroischen“
       Videos der Gesundheitsmitarbeiter ganz prominent auf den Apps platziert
       wurden.
       
       Ähnlich läuft es nun bei den Chatbots. Sämtliche Anbieter müssen nicht nur
       ihre Algorithmen bei den Behörden hinterlegen, sondern sich sowohl den
       chinesischen Bestimmungen als auch den [5][sozialistischen Grundwerten]
       verpflichten. Dass dies die Entwicklung verlangsamen würde, muss die
       kommunistische Partei in Kauf nehmen: ChatGPT hatte schließlich bereits
       kurz nach seiner Einführung über 100 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Und
       mit jeder Sucheingabe lernt die Software dazu.
       
       Wie stark die chinesische Konkurrenz zensiert wird, zeigt ein erster
       Praxistest: Wer „Ernie“ von Baidu nutzen möchte, muss sich erst einmal mit
       seiner Telefonnummer registrieren. Diese ist in China stets auch mit dem
       eigenen Pass verknüpft. Anonymität gibt es also keine.
       
       ## Keine Antwort zu Peking 1989
       
       Inhaltlich ist das Programm ohnehin extrem eingeschränkt. Zunächst die
       erwartbare Zensur: Wer nach der Situation der Muslime in Xinjiang fragt,
       erhält natürlich nur eine Fehlermeldung als Antwort. Auch „Was ist die
       Kulturrevolution?“ kann Ernie nicht beantworten; genauso wenig, was 1989
       auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking geschah.
       
       Absurd wird es allerdings, wenn man simple Fragen zur chinesischen Politik
       stellt: Wie viele Mitglieder hat die kommunistische Partei? Wie lautet die
       Biografie von Staatschef Xi Jinping? Wer war Wirtschaftsreformer Deng
       Xiaoping? All dies ist bereits zu „sensibel“, als dass es von der
       chinesischen KI beantwortet werden kann. Ja, selbst die Frage „Wo liegt
       Tibet?“ wird bereits als Verstoß gegen die Regeln gewertet. Genau wie die
       einfache Frage: „Wer ist Staatschef von China?“.
       
       Vor allem aber legen die Algorithmen die Scheinmoral der chinesischen
       Zensur offen. „Ernie“ kann etwa genau beantworten, wie viele Covid-Tote es
       in den USA gab und wie hoch dort die Arbeitslosigkeit ist. Wer jedoch
       dieselben Fragen zu China stellt, bekommt nur einen Warnhinweis.
       
       Es bleibt aus der Perspektive liberaler Demokratien nur zu wünschen, dass
       die chinesische KI aufgrund der endlosen Regulierungen hinter der
       Entwicklung zurückbleibt. Denn wenn das Modell „Ernie“ Schule macht und
       chinesische Firmen ihre Software ins Ausland exportieren, dürften wohl
       weltweit diktatorische Regime Interesse daran finden. Chatbots wie „Ernie“
       dienen schließlich vor allem als Werkzeug der politischen Manipulation.
       
       1 Sep 2023
       
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