# taz.de -- Das doppelte Bewusstsein
       
       Nach 100 Jahren erscheint endlich der US-Klassiker der schwarzen
       Emanzipationsbewegung von W.E.B. Du Bois auf Deutsch
       
       Was für ein Leben! Als William Edward Burghardt Du Bois 1868 in
       Massachusetts, USA zur Welt kommt, ist es gerade mal drei Jahre her, dass
       in den Südstaaten die Sklaverei abgeschafft wurde. Er wächst vaterlos bei
       seinem Großvater auf, die Familie ist arm, und in der Schule ist er das
       einzige schwarze Kind. Er fällt bald durch seine Begabung auf, erhält ein
       Stipendium und studiert, unter anderem auch zwei Jahre in Berlin an der
       Friedrich-Wilhelms-Universität.
       
       Der junge Afroamerikaner schwärmt für Bismarck, hört aber auch
       soziologische Vorlesungen bei Max Weber, mit dem ihn eine lebenslange
       Freundschaft verbinden wird. Zurück in den USA, promoviert er an der
       Havard-Universität: Er ist der erste schwarze Amerikaner mit einem
       Doktortitel und nimmt mit großem Elan seine „Lebensaufgabe, die Befreiung
       der amerikanischen Neger“, in Angriff, wie er in seiner Autobiografie
       schreibt. Da noch Rassentrennung herrscht, lehrt er Griechisch, Latein,
       Wirtschaft und Geschichte an verschiedenen Universitäten für Schwarze.
       
       Parallel dazu gründet er gemeinsam mit anderen schwarzen Wissenschaftlern
       die American Negro Academy, das weltweit erste schwarze Institut für Kunst
       und Literatur. Er übernimmt die Leitung der Atlanta Conferences, die der
       soziologisch exakten Erforschung der Lebensumstände der Afroamerikaner
       dienten, und gibt die Ergebnisse in einer Reihe heraus. Gleichzeitig
       veröffentlicht er zahlreiche Aufsätze und Essays in verschiedenen
       Zeitschriften.
       
       1903 gehört Du Bois zu den meistpublizierten und meistgelesenen schwarzen
       Autoren Amerikas. In diesem Jahr publiziert er sein Buch „The Souls of
       Black Folk“ („Die Seelen der Schwarzen“). Es enthält Aufsätze, die er schon
       anderweitig veröffentlicht hatte und die allesamt ein Thema haben: die
       Emanzipation der Afroamerikaner. Du Bois’ Texte sind keine trockenen,
       soziologischen Untersuchungen, sondern lebendige Reportagen über den Alltag
       der schwarzen Südstaatler, ihre soziale und ökonomische Situation nach dem
       Ende der Sklaverei, ihr Ringen um Bildung, politischen Einfluss und
       Wohlstand, ihre Träume und Sehnsüchte und den allgegenwärtigen Rassismus.
       
       Es gibt in den Südstaaten noch immer Lynchmorde: Jedes Jahr fallen ihnen
       ungefähr 100 Schwarze zum Opfer. Die öffentlichen Einrichtungen, vom
       Eisenbahnzug über Theater bis zu den Universitäten, sind nach Rassen
       getrennt, die Schwarzen werden systematisch vom Wahlrecht ausgeschlossen.
       
       Für viele Afroamerikaner ist „The Souls of Black Folk“ das erste Buch, das
       ihre Probleme thematisiert. Etwa das Gefühl der Entfremdung, als Schwarzer
       in einer von Weißen definierten Welt zu leben: „Es ist sonderbar, dieses
       doppelte Bewusstsein“, schreibt Du Bois, „dieses Gefühl, sich selbst immer
       nur durch die Augen der anderen wahrzunehmen, der eigenen Seele den Maßstab
       einer Welt anzulegen, die nur Spott und Mitleid für einen übrig hat.“ „The
       Souls of Black Folk“ wird auf Anhieb ein Bestseller und zwischen 1903 und
       1905 fünfmal nachgedruckt. Seitdem gilt Du Bois als einer der wichtigsten
       Sprecher des schwarzen Amerika.
       
       Diese Position bringt ihm natürlich auch vielerlei Feindschaften ein. 1918
       droht ihm das Justizministerium, weil er gegen den Rassismus in der Armee
       protestiert, 1944 entzieht ihm die Atlanta University wegen seiner
       „radikalen Ansichten“ die Lehrbefugnis, 1951 wird er von der US-Regierung
       nach dem Foreign Agents Registration Act angeklagt – und freigesprochen. Er
       hatte verschiedene Aspekte der Rassenbeziehungen und des Antikolonialismus
       in der Sowjetunion positiv bewertet.
       
       Zwischen 1952 und 1958 wird er als Sympathisant der Kommunisten
       schikaniert: Das US-Außenministerium verweigert ihm sogar einen Reisepass.
       Aber Du Bois gibt dem Druck nicht nach. Er kandidiert in New York für den
       US-Senat als Vertreter der Amerikanischen Arbeiterpartei und engagiert sich
       gegen die Hinrichtung von Julius und Ethel Rosenberg. 1958 schließlich
       erhält er seinen Pass. Er verlässt New York und macht eine Weltreise. Er
       besucht West- und Osteuropa, die Sowjetunion, wo er mit Chruschtschow
       zusammentrifft, und China, wo er Mao Tse-tung und Tschou En-lai begegnet.
       
       1961 stellt er einen Antrag auf Aufnahme in die Kommunistische Partei der
       USA. Dann reist er nach Ghana, in das erste afrikanische Land, das die
       Unabhängigkeit erlangt hatte. 1963 legt er seine amerikanische
       Staatsbürgerschaft ab und wird Ghanaer. Er stirbt am 27. August 1963, am
       Vorabend des berühmten Marschs auf Washington, auf dem Martin Luther King
       seine berühmter Rede hält.
       
       Max Weber hatte Du Bois bereits 1905 vorgeschlagen, „The Souls of Black
       Folk“ ins Deutsche übersetzen zu lassen. Daraus wurde damals nichts. Nun,
       fast hundert Jahre später, erscheint dieser US-Klassiker der schwarzen
       Emanzipationsbewegung erstmals auf Deutsch. URSULA TRÜPER
       
       W.E.B. Du Bois: „The Souls of Black Folk. Die Seelen der Schwarzen“.
       Übersetzt von Jürgen und Barbara Meyer-Wendt. Orange Press, Freiburg 2004,
       320 Seiten, 24 Euro Zu empfehlen ist zudem: W.E.B. Du Bois: „Mein Weg,
       meine Welt“. Übersetzt von Erich Salewski, Vorwort von Jürgen Kuczynski.
       Dietz Verlag, Berlin 1967, 552 Seiten
       
       24 Jul 2004
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) URSULA TRÜPER
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA