# taz.de -- Erfolgreiche Besetzung in Berlin: Wohnungslose erkämpfen Haus
       
       > In der Habersaathstraße führt eine erneute Besetzung zum Erfolg. Der
       > Bezirk will die Wohnungen beschlagnahmen und zur Verfügung stellen.
       
 (IMG) Bild: Endlich wieder bunt: die Papageienplatte in der Habersaathstraße
       
       BERLIN taz | Als einer der Besetzer aus dem Fenster per Megafon das
       positive Ergebnis der Verhandlungen verkündet, bricht Jubel unter den
       mehreren hundert Unterstützer:innen aus, die sich am Samstagnachmittag
       in der [1][Habersaathstraße] in Mitte versammelt haben. „Das ist jetzt
       unser Haus!“ ruft die Sprecherin auf der Kundgebung davor, und spricht von
       einem „historischen Moment“. Wenn sich der Bezirk und der Eigentümer an die
       Absprachen halten, könnte die [2][Hausbesetzung] nicht nur die erste
       erfolgreiche seit langem in Berlin sein, sondern tatsächlich auch ein
       Präzedenzfall im Umgang mit Leerstand darstellen.
       
       Knapp fünf Stunden zuvor, pünktlich um 13 Uhr, entrollen Aktivist:innen
       der Initiative „Leerstand-hab-ich-Saath“ Transparente an der schmucklosen
       Fassade des überwiegend leerstehenden Wohnkomplexes in der Habersaathstraße
       40-48. Aufgrund der ehemals verschiedenfarbigen Eingänge, die das frühere
       Schwesternheim der Charité bis zur letzten Sanierung hatte, trug es einst
       den Namen Papageienplatte.
       
       ## Polizei taucht erst später auf
       
       Nun ist es wieder bunter: „Ich will ein zuhause haben weil…“ steht auf
       einem der Transparente, „ich mich sicher fühlen will“ auf einem anderem und
       „ich die Kälte nicht mehr aus den Knochen bekomme“ auf einem weiteren.
       Viele der Besetzer:innen sind selbst wohnungslos oder leben auf der
       Straße.
       
       Während aus den Wohnungen die Besetzung sichtbar gemacht wird, finden sich
       wie aus dem Nichts etwa 100 Unterstützer:innen vor dem Haus ein. Auch
       eine größere Gruppe Wohnungsloser ist gekommen, manche mit ihren Hunden –
       in der Hoffnung, hier einen warmen Platz für den Winter zu ergattern. Die
       Polizei taucht erst etwa eine halbe Stunde danach auf.
       
       „Wir nehmen das nicht hin, dass Menschen auf der Straße leben, während hier
       bezugsfertiger Wohnraum leersteht“, sagt Fabio, einer der Besetzer:innen.
       Durch die vierte Welle und die sich anbahnende Verbreitung der
       Omikron-Mutation kämen die ohnehin schon unbeliebten klassischen
       Kältehilfeangebote, meist Massenunterkünfte, noch weniger infrage. „Das
       bedeutet entweder Massenansteckungen oder noch weniger Plätze.“
       
       ## Entmietetes Haus
       
       In dem 1984 errichteten Plattenbau harren nur noch neun Mieter:innen
       aus, die sich seit Jahren gegen den geplanten Abriss des Hauses zur Wehr
       setzen. 85 zumeist kleine Wohnungen stehen leer. Sie sind voll möbliert und
       könnten unmittelbar ein Zuhause für viele Bedürftige sein. Sofas, Betten,
       Duschvorhänge und Teppiche zeugen von ihrer letzten Nutzung als
       Hotelzimmer, nachdem die vormaligen Mieter:innen entnervt ausgezogen
       waren.
       
       „Die Wohnungen sind perfekt auf die Bedürfnisse von Obdachlosen
       zugeschnitten“, so die Sprecherin der Leerstands-Initiative „Bündnis gegen
       Verdrängung und Mietenwahnsinn“ Valentina Hauser. Das war bereits im
       vergangenen Oktober schon so, als die Gruppe das Gebäude schon einmal
       besetzte, dann aber trotz z[3][unächst vielversprechender Verhandlungen]
       von der Polizei [4][geräumt wurde]. Mitten in der Nacht standen damals die
       obdachlosen Aktivist:innen wieder ohne Perspektive, [5][aber mit
       Strafanzeigen], auf der Straße.
       
       Das soll diesmal anders sein: Nach langen Verhandlungen vor und in dem Haus
       gab es die Einigung. Mit Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel
       (Grüne) wurde abgemacht und schriftlich festgehalten, dass zunächst 30
       Wohnungen zur Verfügung gestellt werden; möglicherweise auch noch mehr.
       Einziehen können die Besetzer:innen, die tatsächlich wohnungslos sind, und
       Mitglieder der „Plattengruppe“, einer Gruppe von auf der Straße lebenden
       Menschen aus dem Umfeld der Initiative. Die Besetzer:innen müssen
       zunächst das Haus verlassen, sollen aber am Montag einziehen können,
       nachdem sie sich beim Sozialamt gemeldet haben.
       
       ## Leerstand ist Zweckentfremdung
       
       Dass die Besetzung an diesem Samstag erfolgreicher ist, liegt auch daran,
       dass sich der Eigentümer verhandlungsbereiter gab als noch vor einem Jahr.
       Seine Ankündigung zufolge verzichte er auf einen rechtlichen Widerspruch
       gegen die von von Dassel geplante Beschlagnahme der Wohnungen. Trotz dieser
       Absprachen wäre die Beschlagnahme der gesetzeswidrig leerstehenden, also
       zweckentfremdeten Wohnungen, ein Novum in Berlin.
       
       Schon vor einem Jahr hatte von Dassel diese Möglichkeit nach dem
       Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz geprüft. Dieses ermöglicht dem
       Bezirk in Gefahrensituationen, etwa einem Kälteeinbruch oder einer
       Pandemie, leerstehenden Wohnraum auch gegen den Willen des Eigentümers zu
       beschlagnahmen. Damals sah das Bezirksamt davon ab, weil noch ausreichend
       Plätze in der regulären Kältehilfe zur Verfügung standen und der Bezirk
       damit die Bedingungen für eine Beschlagnahme nicht erfüllt sah.
       
       „Es wäre eine neue politische Dimension, wenn infolge einer Besetzung
       Wohnungen beschlagnahmt werden“, so der Linken-Abgeordnete Niklas Schenker,
       der am Samstag ebenfalls vor Ort war. Er sagte: „Das wäre ein Signal für
       vergleichbare Fälle“. In einer Mitteilung am Sonntag ergänzte Schenker:
       „Besetzungen sind ein legitimes Mittel zivilen Ungehorsams, die sog.
       „Berliner Linie“ muss fallen.“ Die Berliner Linie besagt, dass die Polizei
       jede Neubesetzung binnen eines Tages räumen soll. Auch die
       Besetzer:inneninitivative forderte umgehend andere Bezirke dazu
       auf, nun auch endlich schärfer gegen Leerstand vorzugehen.
       
       ## Ein Spekulationsobjekt
       
       2006 war das Haus für zwei Millionen Euro privatisiert worden. 2017 wurde
       es für 20 Millionen Euro weiterverkauft, an die aktuelle Eigentümerin
       Arcadia Estates um den Immobilienunternehmer Andreas Pichotta. Um sich die
       Investitionskosten zu vergolden, will Pichotta das Haus abreißen lassen und
       an gleicher Stelle hochpreisige Luxuswohnungen errichten. Mit zum Teil
       dubiosen Praktiken konnte die Arcadia bis dato fast alle Bewohner:innen
       entmieten. Aktuell müssen die Verbliebenen mit einer täglich kälter
       werdenden Heizung kämpfen. Der Eigentümer hatte ein defektes Rohr im Keller
       lediglich mit einem Kabelbinder repariert. Die Bewohner:innen versuchen
       im Eilverfahren dagegen vorzugehen.
       
       Der Großteil der Wohnungen steht inzwischen seit Jahren leer. Nach dem
       Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz ist spekulativer Leerstand illegal
       und der Abriss von schützenswerten Wohnraum verboten. Pichotta sieht das
       aber anders, da er den Wohnraum nicht als „schützenswert“ ansieht und klagt
       gegen den Bezirk. Der Fall liegt aktuell vor dem Berliner
       Oberverwaltungsgericht, eine Entscheidung wird im Januar erwartet.
       Beobachter:innen befürchten jedoch, dass Pichotta recht bekommt und
       den Plattenbau abreißen darf.
       
       Am Samstagabend aber spielt das erstmal keine Rolle. Vor dem Haus köpfen
       die Aktivist:innen und Unterstützer:innen Sektflaschen und
       beglückwünschen sich. Ihre Hartnäckigkeit ist an diesem Tag belohnt worden.
       Einen Winter nicht draußen verbringen zu müssen – für einen beteiligten
       Wohnungslosen ist schon das „das größte Glück“.
       
       19 Dec 2021
       
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