# taz.de -- Erwachen im Olympia-Trainingszentrum: Polieren statt Paddeln
       
       > Nach wochenlangem Leerstand ziehen die ersten Athleten wieder in
       > Kienbaum, der Herzkammer des olympischen Sports, ein. Ein Ortsbesuch.
       
 (IMG) Bild: Die Ruhe vor der Lockerung des Lockdowns: Turnhalle ohne Turner in Kienbaum
       
       KIENBAUM taz | Still ruht der See. Ein paar rote Bojen schwimmen auf der
       Wasseroberfläche. Kleine gelbe Schwimmkörper markieren eine Rennstrecke.
       Sechs Motorboote sind sorgsam verpackt an einem Steg vertäut. Lange schon
       sind sie nicht mehr bewegt worden. Kein Trainer, der vom Boot aus seinen
       Athleten mit lauter Stimme antreibt. Kein Sportler, der mit seinem Paddel
       ins Wasser sticht. Wer die Ruhe liebt, der muss sich wohlfühlen an diesem
       sonnigen Morgen am Liebenberger See.
       
       Wer den Leistungssport liebt, der leidet an der Stille von Kienbaum. Der
       Trainingsbetrieb im [1][Olympischen Trainingszentrum] für Deutschland, 30
       Kilometer östlich von Berlin gelegen, ruht seit Wochen. Der Spitzensport
       ist zur Coronapause verdammt. „Es ist kaum auszuhalten“, sagt Klaus-Peter
       Nowack, der Geschäftsführer der Trainingsstätte.
       
       Am Montag könnte es ihm wohler ums Herz werden. Der Deutsche Kanu-Verband
       hat seine Elitesportler für einen Lehrgang angemeldet. Es gibt Anfragen
       anderer Verbände. Der Betrieb wird wieder hochgefahren. Langsam und unter
       Wahrung der üblich gewordenen Hygiene- und Abstandsregeln. Klaus-Peter
       Nowack zeigt den Kalender, auf den er die Buchungen einträgt. Auf dem
       Vor-Pandemie-Kalender ist kaum eine freie Stelle.
       
       Die Sportgymnastinnen wären eigentlich gerade da, Radsportler, die
       Männerriege des Judo-Verbands, die Leichtathleten hätten ihre
       Stabhochspringer geschickt. Die Basketballer hatten sich angekündigt, die
       Boxer und die Kanuten. Die Vorbereitungen auf die Olympischen Spiele würden
       gerade auf einen Höhepunkt zulaufen. Die Spiele sind längst ins nächste
       Jahr verschoben, Trainingspläne dafür Makulatur.
       
       ## Nur Einzelübernachtung
       
       Der Pandemie-Kalender sieht da ganz anders aus. Auch der fülle sich gerade.
       Ab dem Sommer sei man schon wieder ausgebucht, sagt Nowack. Das liegt auch
       am Hygienekonzept, das er bei den Gesundheitsbehörden vorgelegt hat. In den
       Zimmern der Wohnpavillons und des großen Bettenhaus darf nur einzeln
       übernachtet werden. Normalerweise können mehr als 400 Sportler und Trainer
       untergebracht werden. Höchstens 200 sind es unter Pandemiebedingungen.
       
       Es wird also ruhiger bleiben, als es im Vorjahr war. Da seien die 61
       Beschäftigten an ihre Belastungsgrenze gestoßen, weil so viele Verbände
       Kaderathleten angemeldet hatten. Dazu kommen die Breitensportvereine, die
       sich für Trainingslager einmieten können, wenn gerade einmal nicht so viele
       Spitzensportler auf den Anlagen trainieren. „Das tut sicher vielen auch
       einmal gut“, so Nowack, der auch sagt, was viele in diesen Tagen meinen:
       „Wir haben die Krise auch als Chance gesehen.“
       
       Bei einem Rundgang vorbei an der Volleyballhalle, den nagelneuen
       Judomatten, durch die Laufhalle mit der Hightech-Anlaufbahn der
       Stabhochspringer, der Welt- und Dreispringer, fast überall auf der Anlage,
       die sich über 50 Hektar erstreckt, wird deutlich, was er meint. Es wird
       gekehrt, geputzt, gekärchert. Es wird renoviert, gemalert und gegärtnert.
       „Wir haben viele Renovierungsarbeiten, die wir für den Herbst geplant
       hatten, vorgezogen“, sagt Nowack und erzählt, wie sich seine Mitarbeiter in
       ganz neuen Arbeitsfeldern bewährt hätten.
       
       Eine Frau, die normalerweise an der Rezeption sitzt, malert die Innenräume.
       Küchenmitarbeiter kärchern die Terrasse und holen auch noch den letzten
       Rest Moos aus den Fugen der Gehwegplatten. Die Laufbahn an der
       Leichtathletikanlage wird auch gerade aufgemöbelt. Die Männer in
       Regenkleidung, die die Bahn mit Hochdruckreinigern bearbeiten, sind
       normalerweise dafür da, den Trainern zur Hand zu gehen, wenn es um die
       Bereitstellung von Matten oder Sportgeräten geht.
       
       ## Eingespart: 400.000 Euro
       
       10.000 Euro hätte die Sanierung gekostet, wenn sie wie üblich von einer
       externen Firma vorgenommen worden wäre. Durch den internen Stellenpool, den
       Nowack geschaffen hat, konnte er größere Summen, die als Ausgaben im
       Gesamtetat von 2,4 Millionen Euro eingeplant waren, einsparen. Auch die
       Energiekosten sind in Zeiten des Stillstands nicht so hoch. Das Wasser in
       der Schwimmhalle musste nicht geheizt werden. Gut 400.000 Euro hat Nowack
       auf diese Weise eingespart.
       
       Der Geschäftsführer, der seit fast 20 Jahren an der Perfektionierung des
       Leistungssportzentrums, das als [2][Medaillenschmiede der DDR] in die
       Sportgeschichte eingegangen ist, arbeitet, weiß, dass das nicht reicht.
       Überlebensängste hat er nicht: „Das BMI steht hinter uns“, sagt er. Es gebe
       zwar noch keine konkreten Zusagen aus dem Bundesinnenministerium, aber die
       Signale seien positiv.
       
       Im Ministerium rechnet man einer Mitteilung zufolge mit einem Mehrbedarf
       von 1,2 Millionen Euro für Kienbaum. Und dann ist da noch etwas, was Nowack
       Hoffnung macht. Er rechnet damit, dass aufgrund der Pandemie viele
       Trainingsaufenthalte im Ausland gecancelt werden müssen. „Davon werden wir
       natürlich profitieren.“
       
       Nach dem großen Reinemachen in der Coronapause wird so manches kaum
       wiederzuerkennen sein. Der Linoleumboden in den Räumen des medizinischen
       Zentrums, in denen sich die Athleten von ihren Physios durchkneten lassen
       können, glänzt, als sei der General aus der Fernsehwerbung darübergegangen.
       Beim Rundgang durch die Anlagen schaut Nowack genau in jede Ecke. „Manchmal
       denkt man, die schwarzen Ränder neben der Dusche gehen nie mehr weg“, sagt
       er, „aber sie gehen weg.“
       
       ## Wildschweine beim Hammerwurf
       
       Stolz zeigt er auf die Außenmauer des Wohnheimgebäudes, das das Sonnenlicht
       reflektiert. „Die war grün und ist jetzt wieder wie neu.“ Der Rasen vor
       einer Hammerwurfanlage macht ihm Sorgen: „Da waren die Wildschweine.“ Jetzt
       muss der Zaun ausgebessert werden, bevor die ersten Leichtathleten kommen.
       An der Kantine, deren Essensausgabe zum Schutz vor Ansteckungen mit
       Plexiglasscheiben versehen worden ist, wird es plötzlich laut. Ein Mann mit
       Laubbläser scheint noch ein Blatt auf den ansonsten so sauberen
       Treppenstufen zur Kantine gefunden zu haben.
       
       Für die Mitarbeiter gelten dort schon die Regeln, die ab Montag auch die
       Sportler zu beachten haben. Es gilt Abstand zu halten an der Essensausgabe,
       und setzen darf man sich nur auf die Plätze, vor denen Messer und Gabel
       liegen – weit auseinander. Alle haben zu der ihnen vorgegeben Zeit in der
       Kantine zu erscheinen, sonst gibt es nichts mehr. Es ist dies nur ein
       kleiner Teil der Hygienevorschriften, zu deren Einhaltung sich alle Gäste
       verpflichten müssen. „Wer sich nicht daran hält, der muss abreisen“, sagt
       Nowack.
       
       Zum Hygienepaket gehört auch ein Fragebogen, in dem die Sportler über ihren
       Gesundheitszustand Auskunft geben müssen. Sollte sich daraus der Verdacht
       auf eine Infektion mit dem Coronavirus ergeben, muss getestet werden. Für
       positive Falle sind zwei abgelegene Bungalows als Quarantänestationen
       vorbereitet worden, die nicht verlassen werden dürfen.
       
       Die einfachen Hygieneregeln gelten sowieso für alle. Dazu hat Nowack
       Spender mit Desinfektionsmittel aufstellen lassen. Auch wie mit den Hanteln
       in den Kraftsporträumen umgegangen werden soll, ist klar geregelt. Wer an
       die Geräte will, muss sie desinfizieren. Schließlich könne man sich nicht
       darauf verlassen, dass der Vorturner das nach seiner Einheit gemacht hat.
       
       Die Turner übrigens feilen noch an ihrem Hygienekonzept. Die
       Trainingshalle, deren Bodenmatte dieselbe ist wie diejenige, die bei den
       Olympischen Spielen von Tokio verwendet worden wäre, sucht ihresgleichen in
       der Welt. Sie wird noch eine Weile leer stehen. „Sie können die Holme nicht
       so einfach reinigen und desinfizieren“, erklärt Nowack. Die seien über die
       Jahre bearbeitet worden mit Magnesia und Harz. „Wenn wir die einfach sauber
       machen, dann können die Turner nichts damit anfangen.“
       
       Wenn draußen am Liebenberger See die Trainerboote also längst wieder neben
       den Kajaks und Kanadiern durchs Wasser gleiten, wird in der Turnhalle
       weiter die beinahe schon gespenstische Coronastille von Kienbaum herrschen.
       
       10 May 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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