# taz.de -- Feminismus in Argentinien: Streik gegen Patriarchat und Gewalt
       
       > Die feministische Streikbewegung „Ni una menos“ vereinte Kämpfe gegen
       > machistische Gewalt und ökonomische Ausbeutung.
       
 (IMG) Bild: „Ni una Menos“-Proteste in Buenos Aires zum Frauentag 2021
       
       In diesem Oktober haben wir uns eines Meilensteins erinnert: Vor fünf
       Jahren fand der erste feministische Streik gegen die ultraneoliberale
       Regierung von Mauricio Macri in Argentinien statt. Und beim Feiern haben
       wir noch einmal gemerkt, dass wir in den letzten Jahren die dynamischste
       Bewegung auf der Straße und in den Haushalten geworden sind.
       
       Der 19. Oktober 2016 war in großer Eile organisiert worden, [1][als
       koordinierte Antwort auf die Ermordung der 16-jährigen Lucía Pérez.] In
       einer Versammlung, zu der die Kampagne „Ni Una Menos“ (dt. „keine mehr“
       oder „nicht eine weniger“) eingeladen hatte, entstand die Idee zum Streik,
       um der Wut und dem Schmerz Ausdruck zu verleihen und zu demonstrieren,
       welche Stärke die feministische Bewegung gewonnen hatte. Der Vorschlag
       machte schnell in anderen Städten und sogar Ländern die Runde.
       
       Der feministische Streik nutzte erstmals ein Instrument des Arbeitskampfes
       [2][zum Protest gegen machistische Gewalt]. Damit machte er auch die
       systemische Verbindung deutlich zwischen wirtschaftlicher, kolonialer und
       geschlechtsbezogener Gewalt. Der Streik zeigte, warum es möglich ist,
       gleichzeitig gegen Femizide und die Ausplünderungen von Ländereien
       vorzugehen, gegen die Vormacht des Patriarchats und prekäre
       Beschäftigungsverhältnisse. Die Resonanz war gewaltig: Gründe gab es
       überall und es entstanden transnationale Verbindungen, die bis heute
       wachsen.
       
       Der von Frauen, Lesben, Trans- und nonbinären Personen begonnene Streik
       stellte darüber hinaus die Frage der Arbeit in den Mittelpunkt. Damit wurde
       die Definition dessen, was als Arbeit zählt, in Frage gestellt. Der Streik
       machte jene sichtbar, die es nicht waren: Hausangestellte, prekär
       Arbeitende, Migrantinnen, Arbeitslose, Rentnerinnen, Landarbeiterinnen
       Gewerkschafterinnen, Studentinnen, Sexarbeiterinnen.
       
       Und das brachte eine praktische Frage mit sich: Was zählt als Arbeit? Wer
       bewertet das? Warum wird manches gar nicht oder unglaublich schlecht
       bezahlt? Welche Bezeichnungen müssen erfunden werden für die unsichtbare
       Arbeit, die das Leben in den Nachbarschaften, Haushalten, Gemeinden
       aufrechterhält?
       
       Zudem wurde die Streikpraxis komplizierter. Was heißt Streik, wenn ich gar
       keinen Arbeitgeber habe? Wenn ich freelance oder zeitweise arbeitslos bin?
       Wie kann ich streiken, wenn ich es mir nicht leisten kann, auf einen
       Tagesverdienst zu verzichten? Was sind die Konsequenzen eines Streiks, wenn
       ich andere pflege? Die Definition von „Arbeitsplatz“ ist sehr viel größer
       geworden. Jetzt gehören auch die Straße, die Nachbarschaft und die Wohnung
       dazu, und wir haben einen neuen Blick darauf, was wir als „Arbeit“
       begreifen.
       
       Die während der Pandemie entstandene Debatte über „systemrelevante Arbeit“
       hat die Tätigkeiten von Frauen in den Mittelpunkt gestellt, die durch den
       Streik sichtbar geworden waren und Wertschätzung erfahren haben. Das von
       Silvia Federici übernommene Motto „Es ist nicht Liebe, es ist unbezahlte
       Arbeit“ ist mit einer Wucht verständlich geworden, wie es noch vor ein paar
       Jahren undenkbar gewesen wäre. Das wiederum zog Forderungen zu den Themen
       Wohnen, Homeoffice und Renten nach sich.
       
       Die beharrlichen Streiks können Schlüsselforderungen der bezahlten oder
       unbezahlten Arbeiter*innen inmitten des ökologischen Kollapses
       zusammenbringen. Das feministisch erweiterte Feld des Streiks hat einen
       gesellschaftlichen Prozess in Gang gesetzt und erneut den Wunsch nach
       umfassender Veränderung auf die Tagesordnung gesetzt. Diesen politischen
       Prozess müssen wir weiter voranbringen.
       
       Aus dem Spanischen [3][Bernd Pickert]
       
       6 Nov 2021
       
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