# taz.de -- Folgen der Finanzkrise in Griechenland: Steuern, mehr Steuern, Sondersteuern
       
       > Nach acht grausamen Krisenjahren soll Griechenland bald aus dem
       > Rettungsprogramm entlassen werden. Nicht nur Experten sind skeptisch.
       
 (IMG) Bild: Demonstration am Tag des Generalstreiks gegen das „ungerechte Steuersystem“, Mai 2017
       
       ATHEN taz | Eigentlich läuft das Geschäft nicht schlecht, jedenfalls besser
       als vor drei Jahren, auf dem Höhepunkt der Krise“, sagt Weinhändler
       Dimitris Stamatopoulos. Seit den frühen Siebzigern betreibt seine Familie
       einen Weinladen im Athener Stadtteil Psychikon, in der Nachbarschaft kennt
       ihn jeder. Ob am Montagvormittag oder Samstagabend um elf Uhr, Dimitris
       Stamatopoulos ist immer zur Stelle, wenn jemand einen guten Tropfen, einen
       preiswerten Wein oder ein Partygeschenk braucht.
       
       Auch sein Vater hilft an der Kasse oder füllt Regale auf, obwohl er das
       Rentenalter längst erreicht hat und gesundheitlich angeschlagen ist. Noch
       im Sommer 2015, als in Griechenland Kapitalkontrollen eingeführt wurden und
       zudem neue Sparrunden bevorstanden, musste Dimitris Stamatopoulos um seine
       berufliche und finanzielle Existenz kämpfen. Denn er war – und ist immer
       noch – verpflichtet, seine Steuern und Sozialabgaben im Voraus zu
       entrichten, obwohl viele Kunden ihre Rechnungen bei ihm erst verspätet
       zahlen. „Aber jetzt ist wieder etwas mehr Geld im Umlauf, das merkt man
       doch, die Leute gönnen sich mal wieder eine Flasche Wein“, sagt der
       40-Jährige.
       
       Nach der großen Krise normalisiert sich die Lage in Griechenland langsam.
       Das hochverschuldete Land wird ein letztes Hilfspaket von EU-Institutionen
       bekommen. Ab dem 21. August soll es dann finanziell wieder eigenständig
       sein und selbst ermächtigt, Geld über die Kapitalmärkte zu besorgen. Das
       haben die EU-Finanzminister in der Nacht zum Freitag beschlossen.
       
       ## Eine letzte Hilfstranche
       
       Nach zähen Verhandlungen haben sie sich darauf verständigt, dem
       hochverschuldeten Land um zehn Jahre verlängerte Laufzeiten für die
       Kreditrückzahlungen zu gewähren. Außerdem bekommt das Land eine letzte
       Hilfstranche von 15 Milliarden Euro. „Ich denke, das ist das Ende der
       griechischen Krise“, [1][sagte der griechische Finanzminister Euklid
       Tsakalotos]. Er sieht in der Einigung über das Auslaufen des Hilfsprogramms
       einen „historischen Moment“.
       
       Hinter Griechenland liegen dramatische Jahre. In den acht Jahren seit
       Beginn der Rettungsaktionen sei das Land zweimal gefährlich nahe an einem
       Ausschluss aus der Eurogruppe gewesen, resümierte EU-Finanzkommissar Pierre
       Moscovici. Für die Kredite in Milliardenhöhe mussten die Griechinnen und
       Griechen ein striktes Sparprogramm über sich ergehen lassen. Auch wurden
       immer wieder die Steuern erhöht. Über 50 Prozent seines Bruttoeinkommens
       muss Weinhändler Stamatopoulos an Steuern und Sozialbeiträgen abführen,
       dazu kommt die hohe Mehrwertsteuer von 24 Prozent. Seit 2016 wird Wein in
       Hellas auch noch mit einer zusätzlichen Sondersteuer belastet, als wäre er
       ein Luxusgut.
       
       Allzu oft hat die linksgeführte Regierung von Alexis Tsipras versprochen,
       diese Steuer abzuschaffen, und hält trotzdem an ihr fest, wenn der nächste
       Haushaltsentwurf ansteht und neue Einnahmen dringend nötig sind. Nach
       Angaben von Oppositionspolitikern hat die Überbesteuerung der Branche zur
       Folge, dass der illegale Weinverkauf um bis zu 70 Prozent zugenommen hat.
       Allerdings können oder wollen Weinhändler nicht auf die Straße gehen, um
       gegen Spardiktate zu demonstrieren.
       
       Bei Staatsdienern ist das anders: Immer wieder bringen sie ihren Unmut
       lautstark zum Ausdruck – zuletzt am 30. Mai, als die mächtige
       Beamtengewerkschaft Adedy zum Generalstreik gegen das „ungerechte
       Steuersystem“ und abermalige Einsparungen im öffentlichen Sektor aufrief
       und das öffentliche Leben in Athen durch ihre Protestaktionen lahmlegte.
       Dazu kam die straff geführte Pame, die Gewerkschaft der orthodoxen
       kommunistischen Partei, die immer noch an vorderster Front gegen „das
       Kapital“ kämpft. Mit ihren weiß-blauen-roten Flaggen zeigen Pame-Leute
       Präsenz bei allen Demos gegen die Sparpolitik, bestehen aber auch darauf,
       dass sie an Streiktagen ihre eigenen Protestaktionen direkt vor dem
       Parlament organisieren. Anderen Gewerkschaften werfen sie nämlich vor, mit
       „dem Kapital“ unter einer Decke zu stecken.
       
       ## Sparzwänge durchsetzen
       
       „Wir müssen die Arbeiterbewegung wieder stärken, während Tsipras und die
       Konservativen immer näher kommen“, forderte Kommunistenchef Dimitris
       Koutsoumbas bei der letzten Pame-Demo am 30. Mai. Immerhin sind die
       orthodoxen Kommunisten fünfstärkste politische Kraft in Griechenland. Trotz
       Gegenwind will Regierungschef Tsipras die Sparzwänge, einschließlich
       neuer Rentenkürzungen, weiterhin durchsetzen.
       
       Dadurch, so lautet sein Kalkül, würden die Geldgeber und vor allem die
       Finanzmärkte endgültig überzeugt, dass Griechenland seine
       Haushaltssanierung ernsthaft voranbringt. Dann winken weitere
       Schuldenerleichterungen – auch wenn ein klassischer Schuldenschnitt, wie
       ihn Tsipras in früheren Wahlkämpfen versprochen hat, nicht mehr infrage
       kommt.
       
       Der Linkspremier will den Abschluss des EU-Hilfsprogramms nun aber als das
       „Ende der Spardiktate“ verkaufen und damit spätestens 2019 Wahlkampf
       machen. Die Zahlen sprechen durchaus dafür: Nach acht scheinbar unendlichen
       Krisenjahren erwartet die EU-Kommission in Griechenland ein Wachstum von
       1,9 Prozent. Der sogenannte Primärüberschuss im Haushalt, also ohne
       Berücksichtigung der Kosten für den Schuldendienst, beträgt über 7
       Milliarden Euro. Das bedeutet, dass der Fiskus mittlerweile deutlich mehr
       einnimmt als ausgibt.
       
       In ihrer mittelfristigen Finanzplanung für den Zeitraum 2019 bis 2022, die
       Mitte Juni im Parlament verabschiedet wurde, verpflichtet sich die
       Regierung Tsipras, auch in den nächsten Jahren hohe Überschüsse zu
       erwirtschaften. „Ein hoher Überschuss ist immerhin ein sicheres Zeichen
       dafür, dass die griechische Schuldenlast tragbar wird“, lobt Panagiotis
       Petrakis, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Athen.
       Doch die hohe Schuldenquote mache der Wirtschaft immer noch zu schaffen.
       Höhere Wachstumsraten und neuer Reichtum müssten her, damit Griechenland
       den Teufelskreis der Schulden durchbricht, sagt der Ökonom.
       
       Weinhändler Stamatopoulos sieht vor allem im Tourismus noch großes
       Wachstumspotenzial für Griechenland. Allerdings: „Selbst
       Hotelübernachtungen und Tavernen werden hierzulande mit Sondersteuern
       belegt. So etwas machen Konkurrenten wie Bulgarien oder die Türkei nicht“,
       sagt er.
       
       Große Chancen biete auch das Exportgeschäft. Die Qualität griechischer
       Topweine, um nur ein Beispiel zu nennen, sei hervorragend, attestiert der
       Fachmann. „Aber wir müssen einfach mehr aus unseren Möglichkeiten machen
       und – soweit möglich – auch Kosten drücken und bessere Preise bieten“, fügt
       er hinzu.
       
       ## Bedingungen verbessern
       
       Wichtig ist nun auch, dass die Regierung die Investitionsbedingungen in
       Griechenland verbessert. Beispiel Steuerpolitik: 2016 wurde das letzte
       umfassende Steuergesetz verabschiedet und seitdem zwanzigmal geändert. Das
       erschwert eine vernünftige Planung, mahnen Experten.
       
       Auch Weinhändler Dimitris Stamatopoulos glaubt, es sei ganz wichtig, dass
       die griechische Regierung Investitionsanreize bietet – und vor allem die
       Steuern senkt. Ansonsten gälte: „Im August ist das griechische
       Rettungsprogramm zwar zu Ende, aber es wird sich nicht viel ändern,
       jedenfalls nicht sofort. In Griechenland braucht man eben den Mut zum
       langen Atem.“
       
       22 Jun 2018
       
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