# taz.de -- Innerjüdische Debatte in Hamburg: Liberale fordern mehr Respekt
       
       > Ist das Liberale Judentum in Gefahr – da wo es entstand? Israelitischer
       > Tempelverein Hamburg fordert erneut mehr Anerkennung und bessere
       > Behandlung.
       
 (IMG) Bild: Bekenntnisse zum lebendigen Judentum gab es seit 2019 einige in Hamburg. Was genau folgt daraus?
       
       HAMBURG taz | Im Streit zwischen den beiden Strömungen des Judentums in
       Hamburg hat sich jetzt das [1][liberale Judentum zu Wort gemeldet, das im
       Israelitischen Tempelverband (ITV) organisiert ist]. Dessen Vorstand
       forderte auf einer Pressekonferenz am Freitag die Gleichbehandlung mit der
       etwas orthodoxer orientierten Jüdischen Gemeinde Hamburg durch die Stadt.
       
       Nicht um Konkurrenz gehe es, nicht um eine „Neiddebatte“ – sondern um
       Lösungen, versicherte am Freitag Eike Steinig, der Zweite Vorsitzende des
       ITV in Hamburg. Die konstruktive Klarstellung vor der Presse war
       bemerkenswert, denn in der Einladung hatte [2][der Tempelverband] das
       Liberale Judentum als „in Gefahr!“ bezeichnet, so richtig mit
       Ausrufezeichen. Schuld daran ist demnach Hamburgs „einseitige Förderung der
       Jüdischen Gemeinde“.
       
       Das spielt darauf an, dass die größere Jüdische (Einheits-)Gemeinde von der
       Stadt – aber auch dem Bund – [3][unterstützt wird] beim Wiederaufbau ihrer
       1939 abgerissenen Synagoge. Der deutlich kleinere ITV hat wiederholt
       beklagt, dass jenes breite Bekenntnis zu einem lebendigen, sichtbaren
       Judentum, das in dem Wiederaufbau zum Ausdruck kommt, ihn und seine derzeit
       340 Mitglieder ausblende. Seit die Hamburger Synagogen-Idee [4][im Herbst
       2019] aufkam, sind die Liberalen Jüdinnen und Juden außen vor geblieben.
       
       Dass aber auch sie eine dauerhafte Heimat bräuchten, diese Forderung
       wiederholten Steinig und die Erste Vorsitzende Galina Jarkova nun. Im
       [5][“Jüdischen Kulturhaus“], wo der Pressetermin stattfand, sei man nur
       einer von mehreren Nutzern; ironischerweise teilt man dieses Schicksal mit
       der „Reformsynagoge“ der ganz überwiegend – und lange ausschließlich – als
       orthodox sich verstehenden Jüdischen Gemeinde.
       
       ## Zwei Vorschläge zur Güte
       
       Die beiden ITV-Vorsitzenden machten auch gleich zwei zumindest historisch
       plausible Vorschläge: So hatte die die Stadt Hamburg Ende 2020 [6][das
       Grundstück gekauft], auf dem ab 1844 der zweite Tempel des Liberalen
       Judentums stand, um die unter Denkmalschutz stehenden Reste [7][baulich zu
       erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich] zu machen; unklar ist, wie viel
       Raum der ebenfalls vorgesehene Wohnungsbau dafür lassen wird.
       
       Jarkova verwies zudem auf [8][das „Rolf-Liebermann-Studio“ des NDR] im
       Stadtteil Harvestehude: Das schmucke, Bauhaus-inspirierte Gebäude war von
       1931 bis 1938 der dritte Tempel des einstigen „Neuen Israelitischen
       Tempel-Vereins“, in dessen Nachfolge sich der ITV sieht.
       
       Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunksender die 1953 von der Jewish Trust
       Corporation erworbene Immobilie einfach so heraus gibt, ist, gelinde
       gesagt, unwahrscheinlich. Vielleicht ließe sich aber aus dem
       vorangegangenen zwangsweisen Verkauf an die Stadt im Jahr 1941 doch ein
       moralisches Argument ableiten.
       
       Ungleichbehandlung beklagt der ITV auch über konkrete Raumfragen hinaus:
       Mit Jarkova und Steinig traten die Historikerin Ursula Büttner und die
       Berliner Rechtsanwältin Constanze Krüger vor die Presse. Krüger berichtete
       knapp vom juristischen Weg, auf dem die Liberale Jüdische Gemeinde, derzeit
       ein eingetragener und gemeinnütziger Verein, zur Körperschaft öffentlichen
       Rechts werden möchte. Das wäre eine Erleichterung und Besserstellung.
       
       ## Staatsvertrag nicht für jeden
       
       Die größere Jüdische Gemeinde erlangte den Status im Jahr 2007: Da schloss
       der Hamburger Senat einen Staatsvertrag mit ihr – nicht aber mit dem drei
       Jahre zuvor gegründeten ITV.
       
       Es geht also um eine grundsätzlichere Anerkennung, eine Gleichbehandlung
       liberaler und anderer Jüdinnen und Juden. „Das liberale Judentum geht von
       Hamburg aus“, das betonten die Redner*innen nun mehrfach, und wie
       Hamburg damit umgehe, das werde gerade in der englischsprachigen Welt zur
       Kenntnis genommen.
       
       Denn Spuren des Hamburger Tempelvereins von 1817 und seiner damaligen
       Neuerungen – unter anderem Orgelmusik im Gottesdienst und die
       Gleichberechtigung für Frauen – finden sich heute [9][insbesondere in
       Nordamerika]. Hierin könnte das vielleicht beste Argument des ITV bestehen:
       Wenn eines zieht in der Handels- und Tourismusstadt an der Elbe, dann ist
       es ja ihr Renommee in der großen weiten Welt.
       
       23 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] /Synagogen-Neubau-in-Hamburg/!5876474
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 (DIR) [5] http://www.knaack-prell.com/projekte/juedisches-kulturhaus/
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 (DIR) [8] https://www.ndrticketshop.de/pages/6-rolf-liebermann-studio-des-ndr
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