# taz.de -- Iranisches Kino: Ab in den Folterkeller
       
       > "Chaos" ist ein klassisches Filmmelodram. Zwar macht es der Zensur
       > zuliebe ein paar Kompromisse, doch vor allem geht es das Regime im Iran
       > hart an.
       
 (IMG) Bild: Tumult vor der Polizeiwache, in der der Oberschurke herrscht.
       
       Kairo heute. Ein Stimmungsbild. Polizisten knüppeln Bürger nieder, die
       nichts weiter tun, als sozial abzusteigen. Ein Obstkarren nach dem anderen
       wird umgekippt. Ein Demonstrant nach dem anderen in die Wanne geworfen. Und
       ab in den Folterkeller. Das Regiepaar Youssef Chahine (gerade über 80) und
       Khaled Youssef (halb so alt) schafft es, den Zuschauer innerhalb der ersten
       fünf Minuten mit Hass abzufüllen. Die Eingangssequenz ist der dichteste
       Teil dieses ausgesprochen regimekritischen Films. Die folgenden 117 Minuten
       sind klassisches Melodram, das aber nebenbei und konkret die Strukturen der
       staatlichen Gewalt bloßlegt.
       
       Im Vordergrund stehen zwei Gute - sie werden ein Liebespaar. Und zwei Böse.
       Die eine ist ein Vamp, das sich den Guten krallt. Der andere ist der
       dutzendhaft codierte Oberböse: Glatzkopf, korrupt, verfressen, Voyeur,
       pervers, Fetischist, Bilderschlitzer, Stalker, abergläubig, Sadist,
       Vergewaltiger. Ich halte hier nur die Reihenfolge ein, habe aber noch nicht
       gesagt, dass er alleinherrschender Bulle ist, dem Machtrausch erlegen.
       Damit der Repräsentant der Kairoer Herrschaft nicht ganz so schlimm
       dasteht, bereut er zum guten Ende seine Taten, bittet alle um Verzeihung
       und gibt sich die Kugel. Auch verweist er noch im letzten Moment auf seine
       schwere Kindheit.
       
       Das versöhnliche Ende des Films dürfte nach dem ersten Hassschock das
       Mindeste sein, der staatlichen Zensur entgegenzukommen. Es ist
       bemerkenswert, dass dieser Film nicht verboten wurde. Regisseur Chahine,
       ägyptische Legende (1954 entdeckte er Omar Sharif) hatte gegen die
       Zensurversuche erfolgreich prozessiert.
       
       Versöhnlich aber dürfte vor allem gestimmt haben, dass der gute
       Gegenspieler systemimmanent ist. Der Unterdrückungsapparat selbst ist es,
       der für böse Auswüchse Abhilfe schafft, und zwar in Gestalt des DA, wie die
       Untertitel sagen. Ich hab im "Oxford Dictionary" nachgekuckt und weiß
       jetzt, dass es sich um den örtlich zuständigen Staatsanwalt handelt, den
       district attorney. Er bringt persönlich den Folterknecht und
       Jungfrauenschänder zur Strecke. Auch entsagt er dem Vamp (Minirock,
       tätowiert, Discogirl, Haschraucherin, Abtreiberin). Er: "Ich mach Schluss,
       weil du das Kind gemordet hast." Das dürfte behördlicherseits nicht nur in
       Kairo gefallen.
       
       Dank dieser diversen Kompromisse ist "Chaos" ins Kino gelangt. Ich vermute
       mal, dass der Film in den betroffenen Staaten gegen den melodramatischen
       Strich gesehen wird, kompromissfrei. Dies ist anzunehmen, weil die
       aggressive Haltung gegen die staatliche Repression so stark ist, dass sie
       auch dann, wenn sie im Lauf des Films weniger explizit wird, den Zuschauer
       ergreift - über das Filmende hinaus. "Chaos" war im letzten Jahr in Venedig
       im Wettbewerb.
       
       Im Rahmen des funktionierenden Melodrams mit dem eigenen Staat und dessen
       korrupten Beamten abzurechnen - das ist eine Meisterleistung, unterstützt
       von der Europäischen Union (Euromed Audiovision). Eine politische Kröte für
       Ägyptens Staatszensur. Sie hat sie geschluckt.
       
       19 Mar 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietrich Kuhlbrodt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Spielfilm
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Thriller „Die Kairo-Verschwörung“ im Kino: Campus der Intrigen
       
       Ein Student gerät zwischen Muslimbrüder und Geheimdienst: Der Film „Die
       Kairo-Verschwörung“ führt in das Innere einer islamischen Universität.