# taz.de -- Kardinal Woelki lehnt Rücktritt ab: Im kölschen Nebelland
       
       > Die Verantwortung für den Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln ist
       > unstrittig. Kardinal Woelki will „rigoros handeln“, aber nicht gehen.
       
 (IMG) Bild: Ein Rücktritt? „Das wäre nur ein Symbol“, sagt Rainer Maria Woelki am Dienstag und bleibt im Amt
       
       KÖLN taz | Kardinal Rainer Maria Woelki kommt als Büßer. Mit anfangs
       leicht krächzender Stimme referiert er am Dienstag, fünf Tage nach
       Veröffentlichung des Gutachtens über den Umgang seines Erzbistums Köln mit
       sexualisierter Gewalt, über Konsequenzen. Einmal führt Woelki seine
       gespreizte rechte Hand recht lange zur Herzgegend.
       
       Ja, es sei so viel falsch gelaufen: „Der Ruf der Kirche wurde höher
       bewertet als das Leid der Betroffenen. Generell fehlte es an Mitgefühl.“
       Ja, es habe ein „System aus Schweigen, Geheimhaltung und mangelnder
       Kontrolle“ gegeben, kurz: „Chaos in der Verwaltung“ – das aber werde sich
       ändern, verspricht Woelki, zukünftig dürfe „keine Akte mehr hinter den
       Schrank fallen“. Und ja, „die moralische Verantwortung liegt auch bei mir.
       Die Kirche ist immer eine Kirche der Sünder. Ich habe Fehler gemacht. Und
       ja, ich werde wieder Fehler machen.“
       
       Aber Rücktritt? Nein. „Das wäre nur ein Symbol.“ Er will selbst
       wiedergutmachen und bietet jedem Betroffenen ein persönliches Gespräch an.
       
       ## Freispruch mangels Beweisen
       
       Die letzten Tage von Köln haben einiges an Dynamik an den Tag gelegt: Am
       Donnerstag letzter Woche hat der Kölner Strafrechtler Björn Gercke sein
       Gutachten über schwere Versäumnisse im Bistum vorgestellt. Für den Kardinal
       selbst mit einem schönen Ergebnis: „Hinsichtlich Erzbischof Dr. Woelki
       konnten wir keine Pflichtverletzung erkennen.“ Weltlich heißt das:
       Freispruch mangels Beweisen.
       
       Gercke hat aus den Akten seit 1975 „202 Beschuldigte und (mindestens) 314
       individualisierbare Betroffene“ identifiziert, meist Kinder, davon
       mehrheitlich Jungen unter 14, Tatorte auffallend oft priesterliche
       Privatgemächer, Dunkelziffer hoch. Ein Kompendium des Ekels. In mindestens
       75 Fällen schreibt Gercke acht hochrangigen Bistumsmitarbeiten üble
       Pflichtverletzung zu: nicht weiter nachgefragt, Anzeigen unterlassen, Opfer
       ignoriert und allein gelassen, Akte zu.
       
       Heißt das: systematisch vertuscht? Nein, sagte der Gutachter, sondern:
       „systembedingte Vertuschung“, eine Formulierung, die Woelki eins zu eins
       übernimmt. Das heißt: Vertuschung quasi von selbst, durch Ignoranz,
       Fahrlässigkeit, Gottvertrauen aufs Durchwurschteln.
       
       Das Gutachten basiert auf Akten, die das Bistum herausgerückt hat. Diese
       könnten weitgehend vollständig sein. Aber selbst wenn: Die erzbischöfliche
       Buchhaltung muss man sich über Jahrzehnte hinweg wie das unaufgeräumte
       Spielzimmer eines 13-Jährigen vorstellen: Zettelwirtschaft, Tohuwabohu,
       unleserliche Handschriften, Unauffindbares überall. Björn Gercke sagte
       dazu: „Keine Kontrolle, kein Austausch mit Dritten, ausgeprägte
       Rechtsunkenntnis, fehlendes Bewusstsein für Gesetze, ein System der
       Unzuständigkeit.“
       
       Noch am Donnerstag hatte Woelki seine Untergebenen, Weihbischof Dominicus
       Schwaderlapp und den Domkapitular Günter Assenmacher, freigestellt. Er
       wählte dabei nicht die sanfte Variante, sondern inszenierte sich als
       knallharter Durchgreifer – auch wenn er, wie er Dienstag sagte, natürlich
       mit beiden vorher Gespräche geführt hatte.
       
       Der ebenfalls schwer belastete Hamburger Erzbischof Heße, jahrelang ein
       Spezi Woelkis in Köln, hat dem Papst seine Bitte um Rücktritt gekabelt, ein
       Novum in Deutschland. Freitag bat der Kölner Weihbischof Ansgar Puff um
       Abgangserlaubnis, obwohl er in dem Gutachten gar nicht genannt wird.
       
       ## Meisners Giftschrank
       
       Identifiziert wurde laut Gutachter ein privater Giftschrank im Nachlass des
       langjährigen, bekannt erzreaktionären Kölner Kardinals Joachim Meisner,
       darin der Ordner „Brüder im Nebel“. Bei Meisner, nun posthum als
       vorsätzlicher Lügner entlarvt, fanden die Gutachter gleich 24
       Pflichtverletzungen, ein Rekordwert. Pflichten umfassen: melden, aufklären,
       sanktionieren, Hilfe für Opfer. Das alles wurde unterlassen. Die schöne
       Frage, ob er, Woelki, als Weihbischof dabei „der Lotse im Nebel“ gewesen
       sei, ließ dieser unbeantwortet.
       
       Bei dem Vortrag des Gutachters hatte Woelki ganz vorn gesessen. Ein
       einziges Mal, ganz am Ende, schaute ihn Gutachter Gercke direkt an. Das
       geschah bei dem Stichwort „Opferfürsorge“. Die müsse endlich strukturiert
       angepackt werden, hieß es. Eine Bemerkung, die nicht im Redemanuskript
       stand. Es war eine Art moralisches Urteil. Eine Sekunde Schweigen. Ob
       Woelki pflichtschuldig den Blick senkte, war nicht zu erkennen.
       
       Man konnte das interpretieren wie: Leve Jung, du hast uns zwar gut bezahlt,
       wir haben dir mit über 900 Seiten einen Freispruch zweiter Klasse
       geliefert, doch wir wissen doch alle, was jenseits formaler Fehler alles
       fehlläuft in deinem Bistum, wie die vielen Opfer unter dem Joch deiner
       Priester unerträglich zu leiden hatten, oder? Später sagte Gercke noch, es
       brauche „ein totales Umdenken“. Aber ejal: Et hätt ja für Woelki persönlich
       noch mal jot jejange. Auffällig allerdings, dass sich Woelki eine Kölner
       Kanzlei zur Reinwaschung ausgesucht hat, die dazu mit einem externen Anwalt
       zusammenarbeitete, der mehrfach als Verteidiger von kirchlichen
       Missbrauchstätern wirkte.
       
       Woelki wirkt mit seinen 64 Jahren nicht alt, sondern durch seine fusseligen
       Haare, die über den Hemdkragen ragen, und die wechselnden runden
       Designerbrillen fast jungenhaft. Sie lassen den Kardinal wie ein Gegenbild
       zum biederen, verstaubten Bischofsklischee erscheinen. Der Kardinal könnte
       auch ein empathischer Oberstufengeschichtslehrer an einer Gesamtschule
       sein, ganz in Existenzialistenschwarz gewandet.
       
       Woelki, geboren in Köln, ist seit 1990 im dortigen Erzbistum tätig, erst
       Meisners Geheimsekretär (ja, so heißt das), später Bischofsvikar, dann
       Weihbischof. Im Jahr 2014 wurde er Meisners Nachfolger. Der
       Missbrauchsskandal mit mutmaßlich Tausenden Opfern allein im Bistum Köln
       war damals längst auf dem Tisch. Woelki wirkte wie frischer Wind. Und
       selbst die satirische Stunksitzung, die Meisner mehrfach erfolgreich
       beleidigt hatte („Sakralstalinist“, „Hassprediger“), fiel auf den Neuen
       rein. „Über den Woelki“, donnerte eine Parodie von Reinhard Mays „Über den
       Wolken“ in der Session 2015 durch das Kölner E-Werk, „kann man bis heute
       nichts Schlechtes erzähln …“
       
       Tja, damals, sagt Stunker Winni Rau heute, das war wohl eine üble
       Fehleinschätzung. „Der wirkte halt nicht so offensichtlich verknöchert und
       autoritär.“ In diesem Jahr, erzählt Rau, war ein neuer Text längst fertig,
       sinngemäß: „… was will er vertuschen – mit all den Kirchenluschen …“ Corona
       stoppte alle Aufführungen.
       
       Bigottes Vertuschen – der große Vorwurf. Unter den Teppich kehren.
       Verantwortliche schonen. Für viele ist das das längst gefasste Urteil,
       Gutachten hin oder her. Sie wollen Schluss mit dem Interngemauschel machen
       und fragen: Wo bleibt die Staatsanwaltschaft, die im Nebel der geistlichen
       Brüder aufräumt? Tja, juristisch ist fast alles verjährt.
       
       Ein erstes Gutachten anderer Anwälte von 2020 blieb bis heute unter
       Verschluss. Woelki gab im Herbst rechtliche Gründe an, genauer:
       „äußerungsrechtliche Mängel“. Was er genau damit meint, auch das bleibt im
       Nebel. Wollte er wen schützen, sich? Namen machten die Runde. Am Donnerstag
       soll dieses erste Gutachten in Köln ausgelegt werden, für handverlesenes
       Publikum, mit Termin; Fotografieren und Zitieren verboten.
       Augenscheintransparenz auf Zeit. Ein schlechter Witz. Gutachter Gercke
       sagte derweil: „Uns ist aufgefallen, dass sich kein Priester das Kind des
       örtlichen Anwalts oder des örtlichen Bürgermeisters oder des Dorfarztes
       ausgesucht hat, sondern es waren meistens Kinder aus schwierigeren, ärmeren
       Verhältnissen.“
       
       ## Ist Köln im Jahr 2042 katholikenfrei?
       
       Die gläubigen Kölner reagieren. Sie treten scharenweise aus der
       römisch-katholischen Kirche aus. Sogar der ehemalige Missbrauchsbeauftragte
       des Erzbistums, Oliver Vogt, ist dabei.
       
       Termine zum Austritt beim Amtsgericht Köln sind bis Ende Mai ausgebucht. Am
       1. April morgens wird der Juni freigeschaltet. Zuletzt, am 1. März, waren
       in Köln mittags alle Termine für den Mai belegt. Zwischendurch kollabierte
       der Justizserver, als 5.000 Menschen gleichzeitig Zugriff begehrten.
       
       Am Reichenspergerplatz kommen die Menschen im Dreiminutentakt dran. Das
       Personal bei Gericht wurde für die Fließbandarbeit aufgestockt, mit
       derzeitigem Tempo schafft man etwa 15.000 Austritte im Jahr. Es ist dies
       „der größte Exodus von Katholiken aller Zeiten“, sagt Kirchenrechtler
       Thomas Schüller von der Universität Münster. Rechnerisch wäre die Stadt
       Köln (328.000 KatholikInnen) etwa im Jahr 2042 katholikenfrei. Vielleicht
       ist Woelki dann immer noch Erzbischof. Allerdings nur von sich selbst.
       
       Bis dahin kündigt er am Dienstag per sofort an: „Keine Akte darf mehr
       vernichtet werden. Damit breche ich geltendes Kirchenrecht.“ Gemeint sind
       Verjährungsvorschriften. Alles werde jetzt „umfassend aufgearbeitet“. Sein
       Verwaltungschef, Generalvikar Monsignore Markus Hofmann, erklärt stolz,
       schon jetzt hätten „87 Prozent der Pfarreien in den letzten Jahren
       Schutzkonzepte aufgebaut“. Heißt: In jeder achten Pfarre gibt es nichts
       davon. Schüller meint: „Woelki stilisiert sich zur Lichtgestalt der
       Aufklärung“, es sei schlicht unglaubwürdig, dass er selbst so wenig
       mitbekommen haben will.
       
       Ansonsten hat Stunk-Mitgründer Jürgen Becker längst eine Lösung für die
       Zeit nach Woelki parat. „Der nächste Kölner Erzbischof darf auf keinen Fall
       katholisch sein.“ Weihrauchnebel alaaf!
       
       23 Mar 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Müllender
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kardinal Woelki
 (DIR) Kindesmissbrauch
 (DIR) Köln
 (DIR) GNS
 (DIR) Katholische Kirche
 (DIR) Kardinal Woelki
 (DIR) Katholische Kirche
 (DIR) Katholische Kirche
 (DIR) Sexualisierte Gewalt
 (DIR) sexueller Missbrauch
 (DIR) Theologie
 (DIR) Katholische Kirche
 (DIR) Kardinal Woelki
 (DIR) sexueller Missbrauch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Umstrittener Kölner Erzbischof: Woelki bietet Papst Rücktritt an
       
       Rainer Maria Woelki hat dem Papst angeboten, auf sein Amt als Bischof zu
       verzichten. Woelki steht wegen seines Umgangs mit Fällen sexualisierter
       Gewalt in der Kritik.
       
 (DIR) Visitation von Kardinal Woelki: Eine verdiente Demütigung
       
       Der Papst schickt Prüfer ins Erzbistum Köln, um den Umgang mit
       sexualisierter Gewalt zu untersuchen. Ein beispielloses Misstrauensvotum –
       zu Recht.
       
 (DIR) Firmung durch Kardinal Woelki: Kein Vertrauen mehr
       
       Mitglieder einer katholischen Gemeinde in Düsseldorf wollen sich nicht von
       Rainer Woelki firmen lassen. Dieser sei für sie nicht mehr glaubwürdig.
       
 (DIR) Maria 2.0 zu Kirche und Machtstrukturen: „Es wäre eine freundliche Kirche“
       
       Lisa Kötter von Maria 2.0 wünscht sich ein Ende des Machtmißbrauchs in der
       Katholischen Kirche. Ein Gespräch über Kardinal Woelki und das System Rom.
       
 (DIR) Sexualisierte Gewalt in der Kirche: Auszeit für Erzbischof Heße
       
       Nach dem Gutachten über sexualisierte Gewalt in der Kirche gewährt
       Franziskus dem Hamburger Erzbischof eine Auszeit. Was das genau bedeutet,
       ist unklar.
       
 (DIR) Umgang der Kirche mit Missbrauch: Transparenz? Von wegen
       
       Der Kölner Kardinal Woelki glaubt, mit zwei Gutachten für Transparenz
       gesorgt zu haben. Vielmehr zeigt sich: Die Allmacht der Männer in der
       Kirche beginnt zu bröckeln.
       
 (DIR) Uta Ranke-Heinemann ist tot: Die kämpferische Christin
       
       Uta Ranke-Heinemann stritt gegen eine Kirche der Dogmen. Nun ist die erste
       katholische Theologieprofessorin Deutschlands mit 93 Jahren verstorben.
       
 (DIR) Kölner Missbrauchsgutachten: Weiterer Bischof beurlaubt
       
       Nach dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße und dem Kölner Weihbischof
       Dominikus Schwaderlapp zog nun ein dritter Bischof Konsequenzen.
       
 (DIR) Gutachten zu Missbrauchsfällen in Köln: Persilschein für Kardinal Woelki
       
       Das Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche entlastet
       den Kölner. Belastet wird sein Hamburger Kollege Stefan Heße.
       
 (DIR) Gutachten zu Missbrauch in Bistum Köln: Woelki entlastet, Heße belastet
       
       Kardinal Reiner Maria Woelki kommt im neuen Gutachten zu Missbrauchsfällen
       in Köln gut weg. Schwere Vorwürfe werden gegen andere Bischöfe erhoben.