# taz.de -- Katholische „Mother and Baby Homes“: Irlands Schande
       
       > Bis 1998 wurden etwa 56.000 unverheiratete schwangere Irinnen in
       > katholische Heime eingewiesen. 9.000 Kinder starben dort laut einer
       > Untersuchung.
       
 (IMG) Bild: Trauerzug in Dublin zum Gedenken an die toten Kinder des Tuam Mother and Baby Home im Oktober 2018
       
       DUBLIN taz | Neuntausend tote Kleinkinder und Babys: Das ist die Bilanz von
       18 katholischen Heimen, in die rund 56.000 ledige schwangere Irinnen
       zwischen 1922 und 1998 eingewiesen worden waren, weil sie nicht den
       gängigen Moralvorstellungen entsprachen. Das hat eine
       Untersuchungskommission unter Leitung der früheren Amtsrichterin Yvonne
       Murphy festgestellt.
       
       Die Kommission hat in den vergangenen fünf Jahren die Daten aus „Mother and
       Baby Homes“, wie sie offiziell hießen, gesammelt und mit 500 Männern und
       Frauen, die in einem solchen Heim geboren wurden, gesprochen. Insgesamt
       kamen in den 76 Jahren, in denen solche Heime existierten, dort 57.000
       Kinder auf die Welt.
       
       In dem mehr als 3.000 Seiten umfassenden Abschlussbericht, der am Dienstag
       vorgelegt wurde, heißt es, dass die Kindersterblichkeit in den Heimen bei
       15 Prozent lag – doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. In Bessborough
       in der Grafschaft Cork im Süden des Landes lag sie 1944 sogar bei 82
       Prozent. Die Leichen von 950 Kindern, die in Dubliner Heimen gestorben
       waren, wurden zwischen 1922 und 1977 Universitäten für anatomische Studien
       zur Verfügung gestellt. Die meisten sind an Vernachlässigung gestorben oder
       verhungert. Überlebende aus den Heimen haben berichtet, dass sie ständig im
       Müll nach Essbarem gesucht haben.
       
       In mehr als 6.000 Fällen zwischen 1950 und 1973 wurden die Babys den
       Müttern weggenommen und an kinderlose Paare in den USA, Großbritannien und
       Deutschland verkauft. Viele Babys wurden als Versuchskaninchen missbraucht.
       Der Pharmakonzern Burroughs Wellcome zum Beispiel probierte einen neuen
       Impfstoff an ihnen aus.
       
       Ausgelöst wurde die Untersuchung durch die Historikerin Catherine Corless,
       die 2015 herausgefunden hatte, dass in einem Heim der Bon Secours Sisters
       im westirischen Tuam 796 Babys und Kinder gestorben waren, für die es keine
       Bestattungsnachweise gab. Später fand man die Überreste in 20 Kammern, die
       zum stillgelegten Abwassersystem des Heims gehörten. Sie stammten von Föten
       ab der 35. Schwangerschaftswoche bis hin zu Kleinkindern im Alter von zwei
       bis drei Jahren. [1][Die Nonnen hielten die Kinder für „Ausgeburten des
       Satans“, sagte eine ehemalige Heiminsassin].
       
       Premierminister Micheál Martin wird sich am Mittwoch im Namen der Regierung
       bei den Überlebenden dieser Heime entschuldigen. Ob sich die katholische
       Kirche, deren verschiedene Orden die Heime leiteten, ebenfalls
       entschuldigen wird, ist nicht klar. Immerhin haben 15 Heime kooperiert und
       insgesamt 60.000 Akten zur Verfügung gestellt. Die restlichen drei Heime
       erklärten, es gebe keine Unterlagen mehr.
       
       Es ist bereits der sechste Untersuchungsbericht, der sich mit dem
       Missbrauch und der Misshandlung in katholischen Institutionen beschäftigt.
       In drei dieser Berichte ging es um den sexuellen Kindesmissbrauch durch
       Geistliche, einer handelte von den Quälereien, denen Kinder in
       Besserungsanstalten und Waisenhäusern ausgesetzt waren, und ein Bericht
       beschrieb die Verbrechen an jungen Frauen, die unverheiratet schwanger
       geworden oder dem Klerus zu selbstständig waren. Sie wurden in Klöstern
       weggesperrt und mussten für die Nonnen arbeiten.
       
       Wie auch bei den Mütter-und-Baby-Heimen spielten die Eltern oftmals mit
       oder wagten es nicht, sich dem lokalen Pfarrer zu widersetzen. Die
       katholische Kirche hatte die irische Gesellschaft nach der
       Teilunabhängigkeit 1922 Stück für Stück in den Würgegriff genommen und ihre
       Moralvorstellungen 1937 in die Verfassung schreiben lassen. Aus Angst vor
       sozialer Ächtung haben 30 Frauen in den vergangenen 50 Jahren [2][ihre
       toten Babys auf Feldern, an Stränden oder am Straßenrand abgelegt] – das
       bisher letzte erst 2016, als die Kirche längst ihre Vormachtstellung
       eingebüßt hatte.
       
       Teile des Berichts über die Mother and Baby Homes waren bereits am Sonntag
       durchgesickert, sehr zum Ärger des Ministers für Kinder, Roderic O’Gorman
       von der Grünen Partei. Er entschuldigte sich bei den Opfern dafür, dass sie
       die Einzelheiten aus der Presse erfahren mussten. Sie erhalten Einsicht in
       den Bericht, die Öffentlichkeit jedoch nicht, weil sowohl den Betroffenen
       als auch den katholischen Orden Anonymität zugesichert wurde. Andernfalls
       hätte kaum jemand mit der Kommission kooperiert.
       
       12 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Hunderte-Kinderskelette-in-Irland/!5040461
 (DIR) [2] https://www.irishtimes.com/life-and-style/health-family/ireland-s-abandoned-babies-stories-of-unimaginable-fear-1.4134033
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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