# taz.de -- Kino-Drama "Men on the Bridge": Eine Brücke nach nirgendwo
       
       > Drei Männer suchen ihr Auskommen auf der Istanbuler Bosporusbrücke.
       > Unaufgeregt und geduldig begleitete sie Regisseur Asli Özges für "Men on
       > the Bridge".
       
 (IMG) Bild: Rosenverkäufer Fikret auf der Bosporusbrücke.
       
       Ein Ort, drei Männer, drei Geschichten. Fikret (Fikret Portakal) ist erst
       siebzehn, hat aber schon keine Zukunft mehr. Er ist Rosenverkäufer. Seine
       Kundschaft sucht er im endlosen, träge dahin fließenden Strom von Autos,
       Bussen, Taxis und Lieferwagen, die Tag und Nacht die Bosporusbrücke
       überqueren. Erwischt ihn die Polizei, wird er verscheucht. Sein Geschäft
       halte den Verkehr auf, heißt es - als würde das irgendetwas an dem
       Dauerstau auf der berühmtesten Verbindung zwischen dem europäischen und dem
       asiatischen Kontinent ändern. Eine Ausbildung hat Fikret nie gehabt, Lesen
       und Schreiben hat er sich auf der Pferderennbahn im Eigenstudium
       beigebracht. Man muss wissen, wie das Pferd heißt, auf das man setzen will,
       sagt er, aber gesetzt und gewonnen hat er nie. Er hat kein Geld, das er
       verwetten könnte.
       
       Dann ist da Umut (Umut Ilker). Mehrmals täglich überquert er den Bosporus
       mit seinem Sammeltaxi. Obwohl er rund um die Uhr am Steuer sitzt, reicht
       das Geld kaum für die Miete und schon gar nicht für eine Wohnung, die den
       Wünschen seiner Frau (Cemile Ilker) entspricht. Sein Vorgesetzter wirft ihm
       vor, nicht hart genug zu arbeiten und seine Frau nicht unter Kontrolle zu
       kriegen, sprich: Sie nicht zu schlagen. Seit langem schon hat sich das Paar
       nur noch wenig zu sagen. Sie hängt weiter dem Traum von einem eigenen Haus
       nach, er versucht, seinen Job als Taxifahrer nicht zu verlieren. Wenn er
       sagt: Ich bin zufrieden mit dem, was ich bin und wie wir leben, kommen ihr
       die Tränen.
       
       Murat (Murat Tokgöz) schließlich ist Verkehrspolizist. Die Brücke ist ein
       unspektakulärer Einsatzort, er winkt Autofahrer zur Seite, die am Steuer
       telefonieren. Seine Uniform muss er selber bügeln. Er ist neu in Istanbul
       und hat Sehnsucht nach seinem Dorf. Nach der Arbeit chattet er im Internet
       mit Frauen und verabredet sich für Dates, aber die Frauen aus Istanbul
       haben wenig übrig für einen, der nächstes Jahr schon wieder in die Provinz
       versetzt werden soll.
       
       Dass "Men on the Bridge" ursprünglich ein Dokumentarfilm über diese drei
       Figuren werden sollte, merkt man dem Film in jeder Einstellung an.
       Regisseurin Asli Özge hat die Geschichten, Dialoge und Konflikte des Films
       gemeinsam mit ihren Protagonisten entwickelt, die nun ihr eigenes Leben auf
       die Leinwand bringen (bis auf Murat - die türkischen Behörden haben der
       Produktion untersagt, echte Polizisten zu zeigen, also hat sich Özge für
       den Bruder des Polizisten entschieden). Der Film erzählt unaufgeregt vom
       alltäglichen Drama, er kommt seinen Figuren ganz nahe und nimmt sich Zeit,
       in den belebten Straßen der Millionenstadt geduldig ihren Wegen zu folgen.
       
       Jeder lebt mitten in der Stadt und doch auf einer Grenze. Das Bild der
       Brücke, die doch eine Verbindung schlagen soll, täuscht: Von dort aus, wo
       die Protagonisten stehen, geht es nicht mehr weiter. Jeder steckt in seinem
       Leben fest. Der große Knall bleibt ebenso aus wie die Wende zum Besseren.
       Umut wird in der Wohnung bleiben, seine Frau wird ihn nicht verlassen.
       Fikret, der lange einen Job sucht, aber immer wieder abgelehnt wird, bleibt
       am Ende ein Rosenverkäufer, da das alles ist, was er kennt und was er kann.
       Auf die Frage eines Freundes, ob er als alter Mann immer noch auf der
       Brücke stehen will, antwortet er mit Schweigen.
       
       "Men on the Bridge" ist weder bitter noch anklagend, aber es ist ein
       zutiefst melancholischer Film: Ob es an den Figuren oder an den Umständen
       liegt, dass hier niemand mit sich im Reinen lebt, bleibt offen. Der Staat
       tritt hier nur in Gestalt eines militärischen Patriotismus in Erscheinung.
       Wenn am Nationalfeiertag Panzer die Straße entlangrollen, schwenken
       Tausende rot-weiße Fahnen, auch diejenigen, die von diesem Staat wenig zu
       erwarten haben. Als Kampfjets über die Köpfe der Zuschauer hinwegdonnern,
       sind Fikret und seine Freunde, die allesamt in schlecht zusammengezimmerten
       illegalen Hütten am Rande der Stadt leben, hellauf begeistert. Einer sagt:
       Ich wünschte, es wäre Krieg. Abends gibt es ein Feuerwerk. Umuts Frau
       fragt, wie teuer solch ein Spektakel wohl sein kann. Umut antwortet, das
       mache die Türkei, bis sie pleite sei.
       
       Einmal geht Cemile zur Berufsberatung. Sie möchte in einem Büro Arbeit
       finden, am besten irgendwas mit Buchhaltung. Leider hat sie noch nie in
       ihrem Leben einen Computer eingeschaltet. Die braungebrannte Beraterin
       rattert im Maschinengewehrtempo die Jobchancen herunter, die eine teure
       Ausbildung ihr verschaffen könnte, während Cemile zusehends stummer wird.
       In diesem Augenblick wird ihr klar, dass die Kluft zwischen denen, die
       dazugehören dürfen, und denen, die draußen bleiben, in dieser Stadt durch
       keine Brücke überspannt werden kann.
       
       "Men on the Bridge". Regie: Asli Özge. Mit Fikret Portakal, Cemile Ilker u.
       a. Deutschland, Türkei, Niederlande 2009, 87 Min.
       
       22 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dietmar Kammerer
       
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