# taz.de -- Kommentar zur CDU nach Merkel: Der röhrende Hirsch
       
       > Die gesellschaftliche Linke jubelt über das baldige Ende der Ära Merkel.
       > Dabei müsste sie die Aussicht auf die möglichen Folgen aufrütteln.
       
 (IMG) Bild: Einatmen, ausatmen
       
       Angela Merkel ist weg. Das heißt, noch nicht so ganz, aber das Ende ihrer
       Kanzlerschaft ist in Sicht. Und die gesellschaftliche Linke jubelt. Weil
       Merkels Popularität Ausdruck einer müden Konsensgesellschaft gewesen sei,
       die die unteren 30 Prozent des Landes abgeschrieben habe. Und weil mit
       ihrem Abgang nun endlich all die gesellschaftlichen Konflikte diskutiert
       werden könnten, die unter der Großen Gesellschaftlichen Koalition unter den
       Tisch gekehrt wurden, [1][wie es kürzlich in der taz hieß].
       
       Andere loben ihren potenziellen Nachfolger [2][Friedrich Merz gar zum
       Traumboy der Linken] hoch, weil der die CDU nach rechts rücken werde und
       dann für Rot-Rot-Grün so viel Platz bleibe, dass Robert Habeck bald Kanzler
       sei.
       
       Geht’s noch?
       
       Nichts gegen gute Laune und schöne Träume. Aber wer solche Szenarios für
       wirklichkeitsnah hält, der kann auch mit [3][Andrea Nahles „Ich mach mir
       die Welt, widewidewie sie mir gefällt“] trällern. Wer in die Zukunft
       blicken will, muss erst einmal die Gegenwart wahrnehmen. Und die ist so
       brutal, dass für alles Mögliche Anlass besteht, nur leider nicht für ein
       linksgrünes Utopia.
       
       ## Kanzlerin der CDU
       
       Ja, Angela Merkel steht nun wirklich nicht für sozialen Ausgleich. Aber den
       hat sie auch nie versprochen. Denn sie ist, auch wenn viele das gern
       weggefühlt hatten, nicht Kanzlerin der SPD, sondern immer noch in der CDU.
       Dass Gerechtigkeit in den letzten Jahren kaum auf der politischen Agenda
       stand, liegt weniger an der Konsenskanzlerin, sondern an der eklatanten
       Schwäche der gesellschaftlichen Linken.
       
       An einer SPD, die seit ihrer Selbstamputation durch Hartz IV nur noch vor
       sich hin humpelt. An den Grünen, die aus Angst vor ihren WählerInnen die
       Courage verloren haben. Und an einer Linkspartei, die zwar beharrlich für
       die Schwachen eintritt, aber auch kaum gewählt wird.
       
       Denn – und das ist das Schlimmste – in der bundesrepublikanischen
       Gesellschaft gibt es offenbar keine Nachfrage nach Umverteilung. Nach
       Merkels Abgang kann also genauso gut über gesellschaftliche Konflikte
       diskutiert werden wie bisher. Es wird genauso wenig jucken wie zuvor.
       
       Von einer strukturellen linken Mehrheit sind wir weiter entfernt denn je.
       Zwar gibt es den neuen Popstar Habeck. Aber solange er mit seinen Grünen
       vor allem von der Blutarmut der SPD profitiert, nutzt das gar nichts.
       
       ## Abziehbild der Kohl-Ära
       
       Einziger Hoffnungsschimmer für eine progressivere Regierungskonstellation
       nach der Groko bliebe somit Schwarz-Grün, wahrscheinlich mit einer FDP an
       Bord. Ein Projekt, das aus guten Gründen schon vor einem Jahr mit Pauken
       und Trompeten gescheitert ist. Wie soll das erst funktionieren, wenn nicht
       nur die Liberalen weiter nach rechts gerückt sind, sondern auch die Union?
       
       Das wird sie zweifelsohne. Wenn die CDU die Chance zur Grunderneuerung nach
       Merkel nutzt, dann wird sie fast zwangsläufig den ebenso erzkonservativen
       wie marktradikalen Friedrich Merz an die Spitze wählen. Obwohl er wie Kai
       aus der Kiste zurück ins Rampenlicht sprang – immerhin ist er anders als
       seine KonkurrentInnen frei vom Mehltau der Groko.
       
       Obwohl ihm der Makel schmieriger Spekulantenfonds anhaftet – genau das wird
       schon jetzt erfolgreich zu Wirtschaftskompetenz verdreht. Und nicht obwohl,
       sondern genau weil er ein billiges Abziehbild der Kohl-Ära ist.
       
       Seine wichtigste Aufgabe ist eben nicht mehr der Konsensquark in der Mitte,
       sondern das Streicheln der gebeutelten Konservativen in der Union – um sie
       vor der Verlockung der AfD zu retten.
       
       ## Koalition mit der AfD
       
       Er wird das sicher nicht mit dem wurzelzwergigen Wahn eines Horst Seehofer
       angehen. Aber inhaltlich wird er dessen rechtspopulistische Positionen zur
       Leitkultur der Gesamt-Union erheben. Die möglichen Konsequenzen liegen auf
       der Hand: eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit den Grünen würde
       ein selbstzerfleischendes Stillstandsprojekt werden, das die real
       existierende Groko noch locker in den Schatten stellen wird. Oder Merz
       koaliert gleich mit der AfD.
       
       Bitte was?
       
       Ja, genau. Das ist die weitreichendste Folge des angekündigten Abgangs von
       Angela Merkel. Sie war ein Garant dafür, dass es keine Kooperation mit der
       neuen Heimstatt für Rechtsextremismus gibt. Ohne Merkel ist dieser Stöpsel
       aus der Wanne.
       
       Wohin das führt, kann man in Österreich sehen. Und in Italien. Was eine
       schwarz-blaubraune Kooperation für Deutschland und darüber hinaus für
       Europa bedeutet, lässt sich an fünf Fingern abzählen.
       
       Und diese Aussicht soll nicht reichen, die Linke aufzurütteln? Es ist zu
       befürchten. Denn ebendiese Aussicht reichte bekanntlich nicht einmal in den
       USA oder in Brasilien, wo mit Donald Trump und Jair Bolsonaro noch viel
       ärgerere Feindbilder der Linken antraten – und gewannen.
       
       Nein, Friedrich Merz ist nicht der Posterboy der Linken. Er ist der
       röhrende Hirsch über dem Sofa in der miefigen deutschen Stube.
       
       Dieser Text ist eine Antwort auf die Kommentare [4][“Die Kanzlerin, die
       nichts wollte“] von Jörg Wimalasena und „[5][Der linke Traumkandidat“ von
       Ulrich Schulte].
       
       1 Nov 2018
       
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