# taz.de -- Konfirmation in Berlin: Gott ist zurück
       
       > Ganz Berlin ist eine säkularisierte Stadt. Ganz Berlin? Nein: Gerade in
       > Bezirken wie Prenzlauer Berg steigt die Zahl der Konfirmanden.
       
 (IMG) Bild: Worauf wollen die Konfirmanden in der Fastenzeit verzichten? Jobst auf Fertigpizza, Janos auf seinen iPod
       
       Ein Mann, mit grauen Haaren und Reißverschlusspulli, geht in bedächtigen
       Schritten die Stühle ab, die entlang der Wände aufgestellt sind. Auf jedem
       davon legt er einen Liederzettel ab; dann greift er in die Blechbüchse in
       seiner Hand, fischt immer drei Euro heraus und stapelt die Münzen behutsam
       neben das Papier.
       
       „Das ist für unser Thema heute“, sagt er. „Du sollst nicht stehlen.“ Paul
       Beutel ist Jugendvikar in der [1][Gethsemanegemeinde in Berlin-Prenzlauer
       Berg]. Bis der Konfirmandenunterricht beginnt, bleibt noch etwas Zeit. Er
       hält kurz inne und atmet tief durch, den Rücken zum Fenster. Hinter seiner
       kompakten Gestalt zeichnet sich ein Ausschnitt des Helmholtzkiezes ab,
       gleich gegenüber die Gethsemanekirche, ein dunkelroter Klinkerbau mit
       spitzem Turm, ringsum beige- farben getünchte Altbauten mit Stuckborten an
       den Fassaden.
       
       Beutel lässt sich an dem Tisch in der Mitte des Raums im Gemeindezentrum
       nieder, neben die Praktikantin, die schweigend ihre Unterlagen durchsieht.
       „Wir brauchen hier keine Werbung zu machen“, sagt er, „die Jugendlichen
       kommen von alleine.“ Mehr noch: Die Zahl der Konfirmanden steigt. Anfang
       der Neunziger gab es pro Jahr gerade noch 15 Konfirmationen in der
       Gethsemanekirche. Jetzt sind es 60 bis 65. „Wir sind in einer
       Ausnahmesituation“, sagt Beutel.
       
       Eine quicklebendige Kirchengemeinde inmitten einer weitgehend säkularen
       Stadt. Eine Insel. Sonst spielt der Glauben im Alltag der Großstadt längst
       keine große Rolle mehr: Von zehn Berlinern sind sechs ohne Konfession und
       nur zwei evangelisch.
       
       ## Keine Jugendweihe
       
       Der Anteil der Konfirmanden pro Jahrgang liegt mit etwas Auf und Ab seit
       zehn Jahren bei 12 Prozent. Doch ein Blick auf die Statistiken zeigt, dass
       das Schlagwort von der „gottlosen Stadt“ zu kurz greift. In Marzahn und
       Hellersdorf, ärmeren Bezirken im Osten, lassen sich nur 3 Prozent der
       14-Jährigen konfirmieren. In bürgerlichen Vierteln im Westen wie
       Wilmersdorf und Zehlendorf aber ist der Anteil zum Teil fast zehnmal so
       hoch.
       
       „Kirche ist ein Mittelschicht-Ding“, sagt Paul Beutel, „leider manchmal.“
       Es gibt keinen Konfirmanden in seiner Gemeinde, der nicht aufs Gymnasium
       geht. Zwar sind fünf, sechs darunter, deren Eltern Hartz IV beziehen. Doch
       auch die sind Akademiker.
       
       Beutel lehnt sich zurück. Hinter ihm am Flipchart, klemmt ein Papier, auf
       das mit buntem Filzstift geschrieben ist, worauf die Konfirmanden in der
       Fastenzeit verzichten wollen. Jobst – keine Fertigpizza. Janos – kein iPod.
       Beutel arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Gemeinde. Er erinnert sich
       noch, wie es zu DDR-Zeiten war. Dem Staat lag daran, die Jugendweihe
       durchzusetzen. Damit war eine Konfirmation praktisch ein Gradmesser für
       oppositionelles Denken. Im Herbst 1989 entwickelte sich die
       Gethsemanekirche zu einem Zentrum des friedlichen Widerstandes.
       
       Das ist lange her. Nach dem Fall der Mauer brach die Zahl der Konfirmanden
       zunächst ein. Dann begann der Bezirk sich zu verändern. Vier von fünf Men-
       schen, die vor der Wende hier lebten, sind weggezogen; andere sind dafür
       gekommen, Kreativdienstleister, junge Familien.
       
       ## „Initiationsritus“
       
       Doch wie genau lässt sich der Zuwachs an Konfirmationen erklären? „Die
       Familien wünschen sich einen Initiationsritus“, meint Paul Beutel. „Mit 14
       braucht man etwas, um zu zeigen, dass man erwachsen wird.“ Vor allem aber
       sei der Zustrom eine Folge davon, dass sich so viele Menschen aus dem
       Westen hier niedergelassen haben. Doch das kann nicht der einzige Grund
       sein. Die Zahl der Konfirmationen ist nur ein Teil einer allgemeinen
       Rückkehr zum Gemeindeleben in diesem Bezirk. Nicht nur, dass die
       Gethsemanekirche jeden Sonntag gut gefüllt ist. Die Zugezogenen nehmen
       sogar Angebote an, die im Westen gar nicht üblich sind: Christenlehre etwa,
       ein Religionsunterricht für Kinder, den die Kirchen in der DDR entwickelt
       hatten, weil es das Fach in der Schule nicht gab.
       
       Elisabeth Engelhardt, die Praktikantin, hat sich bewusst hier beworben.
       „Ich hatte gehört, dass es hier so große Jugendgruppen gibt“, sagt sie. Die
       Studentin hat erlebt, wie es anderswo zugeht. Ihr erstes Praktikum hat sie
       im Wedding gemacht, einem der ärmsten Stadtviertel. Dort gab es nicht
       einmal mehr eine Konfirmandengruppe.
       
       Es ist kurz vor sechs; die Konfirmanden treffen ein, erst vereinzelt, dann
       stoßweise. Als das Abendläuten herüberschallt, sind alle Stühle besetzt.
       Stim- men schwirren durcheinander; ein Mädchen lacht hell auf. „So, dann
       fangen wir mal an, ja?“, ruft Beutel in die lärmige Unruhe und greift seine
       Gitarre. Die Kin- der singen. „Es sind ja Gott sehr leichte Sachen / Und
       ist dem Höchsten alles gleich, / Den Reichen klein und arm zu machen, / den
       Armen aber groß und reich.“
       
       ## „Dann geh ich auch“
       
       Manche der Kinder kommen aus Familien, die ohnehin in der Gemeinde aktiv
       sind. Andere haben Eltern, die sich selbst nicht zu einem Glauben bekannt
       ha- ben. So wie Leo, ein schmaler Junge, zwölf Jahre. „Mein Freund Heiner
       hat mir erzählt, dass er hingeht“, sagt er. „Da hab ich gesagt: Dann geh
       ich auch.“
       
       Elena, 13, blond, Brille, hat lange mit ihren Eltern diskutiert: „Meine
       Mutter schlug die Jugendweihe vor, aber das fand mein Vater doof.“ Sie
       einigten sich auf Konfirmation. „Es macht Spaß, hierzusein“, sagt sie, „man
       muss aber nicht dran glauben.“ Elfi ist zwölf und eine Handbreit größer als
       die anderen. Ihre Mutter Protestantin aus Australien, ihr Vater
       süddeutscher Katholik, beide gläubig. Häufig betet die Familie vor dem
       Essen. „Wenn ich richtig Angst habe, bete ich auch“, sagt sie, „zum
       Beispiel als mein Kater in einer lebensgefährlichen Situation war.“
       
       Ein sonniger Samstagmorgen, wenige Tage zuvor. Über dem Kirchturm breitet
       sich ein hellblauer Himmel aus. Ein stetiger Strom festlich gekleideter
       Menschen fließt über die Bordsteige auf den Eingang an der Stargarder
       Straße zu. Gleich ein Dutzend Konfirmanden sollen an diesem Tag zu Christen
       werden. Denn die Taufe im Babyalter ist längst nicht mehr
       selbstverständlich.
       
       Gewöhnlich sprechen Menschen nicht gern über ihren Glauben; das Thema gilt
       oft als zu intim. Einige würden eher ihr Einkommen preisgeben als ihre
       religiösen Überzeugungen. Auch hier ist es nicht ganz leicht, Auskunft zu
       erhalten; manche lehnen Fragen höflich ab. Allerdings gibt es auch viele,
       die offen und ohne Zögern Stellung beziehen.
       
       ## „Bewahre uns Gott“
       
       Vor der Kirche steht eine schlanke Frau mit kurzen Haaren. Susanne Friede,
       Ingenieurin von Beruf, begleitet ihren Sohn Gustav zur Taufe. „Das war
       seine Entscheidung“, sagt sie, „es kam aber auch durch unsere Anregung.“
       Der Junge besucht eine Schule in Pankow, einem Bezirk, der noch stark
       ostdeutsch geprägt ist. Die meisten in seiner Klasse gehen zur Jugendweihe.
       Friede ist selbst im Osten aufgewachsen, ohne Konfession. Dennoch ist es
       ihr lieber, dass ihr Sohn konfirmiert wird. „Die Jugendweihe erschien uns
       zu substanzlos“, sagt sie, „hier werden die Kinder gut vorbereitet.“
       
       Hinter dem Portal führt der Weg über eine blaue Plane. Ein Mann deutet
       darauf und sagt: „Wer Lust hat, kann über das Wasser gehen.“ In den bunten
       Fenstern fängt sich das Licht. Kerzen brennen. Ein Baby schreit. Die
       Täuflinge treten in Vierergruppen vor, jeder zündet eine der Kerzen an, die
       auf dem Altar bereit ste- hen. Der Pfarrer lässt ihnen etwas Wasser über
       die Stirn laufen. „Bewahre uns Gott, behüte uns Gott“,singt die Gemeinde.
       
       Danach stehen einige Familien draußen noch eine Weile beisammen. Warum sie
       hier sind? Harald Siebler, ein Filmregisseur mit wirrem grauem Haar,
       sammelt kurz seine Gedanken. „Ich glaube, es sind Zeiten, wo es um Moral
       und Ethik geht“, sagt er, „es fehlt etwas, und das wird den Kindern in der
       Schule nicht bei- gebracht.“ Der Ethikunterricht könne die Lücke nicht
       füllen. Daher steht er hinter der Konfirmation seiner Tochter, auch wenn er
       die Kirche kritisch sieht. „Wichtig ist die Auseinandersetzung mit den
       Werten“, sagt er,„dass sie vermittelt werden.“
       
       Die Sonne senkt sich über den Häusern; warmes, mildes Abendlicht fällt in
       das Gemeindezentrum. Elisabeth Engelhardt hält einen Stapel bunter Zettel
       in der Hand. Die Kinder haben aufgeschrieben, was sie schon einmal
       gestohlen haben.
       
       Die Praktikantin liest vor: „Den Schokohasen meiner Schwester.
       Vanillekuchen. Ein paar Euro. „Boah, die sind alle voll kriminell“, ruft
       ein Junge. Über solche Kleinigkeiten will Paul Beutel aber gar nicht reden.
       „Es gibt auch Stehlen im großen Maßstab“, sagt er, „das nennt man
       Finanzsystem.“ Es geht um soziale Ungleichheit, um Zinsen und Schulden, um
       Griechenland. „Ihr seid die Generation, die es einmal besser machen muss.“
       
       Mit den drei Euro, die er verteilt hat, sollen sie üben. Ihre Aufgabe ist,
       etwas Sinnvolles damit zu tun. Die Gruppe zerstreut sich in den Straßen.
       Junge Leute flanieren vor den Boutiquen; der Spielplatz an der Ecke ist
       bunt vor lauter Kindern. Lauwarme Abendluft streicht heran. Die Tür der
       Kirche steht noch weit offen.
       
       Gabriela Keller, 37, taz-Reporterin, machte als Jugendliche in
       Werl/Ostwestfalen Exerzitien.
       
       30 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.ekpn.de/kirchen/gethsemanekirche/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela Keller
       
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