# taz.de -- Krieg in Äthiopien: Sieg für die Tigray-Guerilla
       
       > Äthiopiens Armee zieht sich geschlagen aus Tigrays Hauptstadt zurück.
       > Dort feiern die Menschen – in Äthiopiens Hauptstadt sind sie fassungslos.
       
 (IMG) Bild: Ende einer Dienstfahrt: zerstörter Panzer an einer Straße in Tigray
       
       ADDIS ABEBA taz | Es wurde sehr still in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba
       am Montagabend. Während in Mekelle, Hauptstadt der umkämpften Region Tigray
       500 Kilometer nördlich, die Menschen auf der Straße über den Rückzug der
       äthiopischen Truppen und den Einzug der Tigray-Guerilla jubelten, wurden in
       Addis Abeba Bemerkungen darüber, was sich in Tigray abspielt, mit einem
       höflichen Lächeln schweigend quittiert. Im Restaurant flüstert die
       Kellnerin, die den Macchiato serviert: „Wir wollen Frieden, das ist alles.“
       Dann läuft sie weg.
       
       Alles deutet auf eine schwere Niederlage für Äthiopiens föderale Armee und
       für Eritrea, das über ein halbes Jahr lang in Tigray an der Seite von
       Äthiopien gekämpft hat, um dort die Kontrolle der äthiopischen Zentralmacht
       herzustellen. Anfang November 2020 hatte Äthiopiens Ministerpräsident Abiy
       Ahmed die Regionalregierung der TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) in
       Tigray abgesetzt und die föderale Armee losgeschickt, um die Region zu
       erobern. Jetzt hat die TPLF in Mekelle wieder ihren Sitz eingenommen und
       ihre Truppen sind zurück in der Stadt. Äthiopiens Regierung hat nun den
       Kampf eingestellt und eine einseitige Waffenruhe verkündet.
       
       Schon vergangene Woche drangen immer mehr Berichte über heftige Kämpfe auf
       dem Land rund um Mekelle nach draußen. Es hatte offenbar eine
       TPLF-Offensive gegeben, auf die Äthiopien mit Luftangriffen antwortete.
       Aber erst am Montag wurde klar, was sich abgespielt hat, als die von der
       Zentralmacht eingesetzte Regionalverwaltung aus Mekelle samt den Soldaten
       abgezogen wurde.
       
       Das UN-Kinderhilfswerk Unicef meldete, dass Soldaten kurz vor dem Abzug
       noch ihre Satellitenanlage unbrauchbar machten. Es gibt Berichte, das aus
       allen Banken das Bargeld geholt und mit einem Militärflugzeug
       wegtransportiert wurde. Unbestätigte Berichte melden, dass die äthiopischen
       Militärs aus Mekelle abzogen, nachdem die Eritreer sich schon auf ihre
       Seite der Grenze zurückgezogen hatten.
       
       ## „Die Moral der Armee ist im Eimer“
       
       Seit Dienstagmorgen ist kein telefonischer Kontakt mehr möglich mit Tigray.
       Aber am Tag zuvor äußerten sich Einwohner von Mekelle im Gespräch stolz
       über den Sieg der relativ kleinen tigreischen Guerilla. „Wir wurden
       unterschätzt. Aber je mehr Grausamkeiten die Äthiopier und Eritreer
       begingen, umso mehr haben die Tigrayer sich zusammengeschlossen, um zu
       kämpfen“, sagte am Montagabend Senait Tewolde über eine knarrende
       Telefonverbindung aus Mekelle. Die Soldaten aus Äthiopien und Eritrea sind
       in den letzten Monaten international beschuldigt worden, in Tigray Mord,
       Kriegsverbrechen, Plünderungen und Vergewaltigungen begangen zu haben.
       
       Anonym äußern sich Einwohner von Addis Abeba jetzt fassungslos über den
       plötzlichen und schnellen Rückzug ihrer Armee aus Mekelle. „Die Moral der
       Armee ist im Eimer“, reagiert ein junger Mann, der auf der Straße
       gebrauchte Handys verkauft. Er schüttelt den Kopf, während er ein Video auf
       den sozialen Medien schaut, worauf angeblich hunderte gefangene äthiopische
       Soldaten auf einer Wiese sitzen, bewacht von jungen Männern in Jeans und
       T-Shirts. „Ich fürchte jetzt die Unsicherheit hier. Was werden die
       Politiker tun, was werden die Armeekommandanten tun, und Abiy?“
       
       Einwohner von Addis Abeba, die ursprünglich aus Tigray stammen, sind
       besonders zögerlich. Sie fürchten, verhaftet zu werden „Bitte haben Sie
       Verständnis, dass ich Angst habe, mich auszudrücken“, sagt ein älterer
       Tigrayer entschuldigend. Seit Beginn des Krieges im November wurden
       tausende Tigrayer in Addis Abeba und anderen Orten festgenommen. Einige von
       ihnen wurden nach einiger Zeit ohne Gerichtsverfahren freigelassen, andere
       befinden sich noch immer in Untersuchungshaft. Tigrayern wird misstraut,
       weil sie sich mit dem „Feind“ verschwören könnten.
       
       Die Abneigung gegen die TPLF ist groß unter den mehr als 80 anderen
       ethnischen Gruppen des Landes mit 110 Millionen Einwohnern, von denen
       Tigray nur 6 Millionen zählt. Schließlich dominierte die Partei bis 2018
       eine äthiopische Regierung, die fast 30 Jahre lang systematisch politische
       Gegner unterdrückte, die Meinungsfreiheit einschränkte und Folter
       einsetzte. Erst 2018 nach langen Protesten endete die Hegemonie der TPLF
       mit der Ernennung von Premierminister Abiy Ahmed, Sohn eines Oromo-Vaters
       und einer Amhara-Mutter, der beiden größten ethnischen Gruppen des Landes.
       
       Was die Niederlage für Abiy Ahmed bedeutet, bleibt abzuwarten. „Insgesamt
       könnten sich die Machtverhältnisse innerhalb der Regierungspartei in Addis
       Abeba ändern und sich bessere Dialogchancen ergeben“, meint Adem Abebe vom
       Internationalen Institut für Demokratie und Wahlhilfe (IDEA). „Abiy wird
       eine Ablenkung brauchen, und ich hoffe, dass dies der Fall sein wird, indem
       er nach Dialog greift.“ Aber er warnt: „Auf allen Seiten ist es ein Krieg
       mit Verlust. Selbst für die zurückgekehrte TPLF-Regierung von Tigray, die
       durch sieben Monate Krieg nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.“
       
       Ein wichtiger Faktor: die Haltung der Regionaltruppen aus der Nachbarregion
       Amhara, die zusammen mit Äthiopiens Armee in Tigray einrückten, westliche
       Teile der Region besetzt halten und für sich beanspruchen. Die Amhara sind
       Äthiopiens zweitgrößte ethnische Gruppe und haben großen Einfluss in Abiys
       Regierung. „Innerhalb der föderalen Regierungspartei wird jetzt
       entscheidend sein, wie der Zweig von Amhara reagieren wird, insbesondere
       wenn Abiy sie bei der Entscheidung für einen Rückzug der Armee nicht
       konsultiert hat“, sagt Adem. „Wenn sie nicht Teil des
       Entscheidungsprozesses waren, könnte dies äußerst destabilisierend sein.“
       
       Erst einmal stellt sich die Frage, wie es in Tigray selbst weitergeht. Die
       einseitige Feuerpause soll nach Angaben der Regierung bis September dauern.
       Sie soll aus humanitären Gründen gelten, um Bauern die Chance zur Aussaat
       in der aktuellen Regenzeit zu geben. Die Ernährungslage in Tigray ist sehr
       schlecht, die Mehrheit der Bevölkerung braucht Nahrungshilfe. Aber die TPLF
       denkt nicht an eine Feuerpause. Sie erklärte am Dienstag: „Die Regierung
       von Tigray ruft unser Volk und unsere Armee von Tigray auf, ihren Kampf zu
       intensivieren, bis unsere Feinde Tigray vollständig verlassen.“
       
       29 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilona Eveleens
       
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