# taz.de -- Kung-Fu-Darsteller Tony Leung: „Bruce-Lee-Fan seit der Kindheit“
       
       > In „Grandmaster“ spielt Tony Leung Bruce Lees Meister. Er erzählt, warum
       > man früher dachte, dass nur Polizisten und Gangster Kung-Fu lernen – und
       > wie das heute ist.
       
 (IMG) Bild: Filmplakat mit böse blickendem Tony Leung (2.v.r.).
       
       taz: Herr Leung, was bedeutet Ihnen persönlich Yip Man, der „Großmeister“
       des Kung-Fu, den Sie in Wong Kar-Wais „The Grandmaster“ spielen? 
       
       Tony Leung: Seit meiner Kindheit bin ich ein großer Fan von Bruce Lee, der
       mein absoluter Actionheld ist. Als ich mit sieben, acht Jahren die ersten
       Filme mit ihm sah, wusste ich nicht viel von Kung-Fu. Yip Man war Bruce
       Lees Meister, er brachte ihm Wing Chun bei, das Kung-Fu, das im Süden
       gelehrt wird. Lange Zeit hielt ich Kung-Fu nur für eine Kampftechnik.
       
       Erst als Kar-Wai mit seinem Filmprojekt ankam, erkannte ich plötzlich den
       größeren Zusammenhang. Mit ihm zu arbeiten ist ganz anders als mit anderen
       Regisseuren, das geht jetzt schon seit zwanzig Jahren so und ist schwer zu
       erklären. Unsere Beziehung beruht auf Chemie, wir reden kaum am Set.
       Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Ich stelle keine Fragen, ich
       mache nur, was er von mir verlangt.
       
       Wie kam er darauf, wieder zu Martial Arts zurückzukehren nach den großen
       Schwierigkeiten, die es rund um „Ashes of Time“ (1994) gab? 
       
       Als wir in Buenos Aires „Happy Together“ (1997) drehten, sahen wir Bruce
       Lee auf einem Magazin-Cover. Und da fragten wir uns natürlich: Wie kann das
       sein, dass er immer noch so berühmt ist? Das brachte ihn dazu, einen Film
       über Bruce Lee machen zu wollen, und das entwickelte sich weiter zu dem
       Porträt eines Martial-Arts-Zirkels in der Zeit vor der japanischen
       Invasion. Grundlage für den Film wurde ein Roman von Xu Haofeng, der genau
       das zum Ausdruck brachte, was ihn und mich interessierte – ich bin übrigens
       ein großer Fan dieser martial arts novels. 
       
       Für ein Publikum im Westen hat „The Grandmaster“ beinahe die Anmutung eines
       Lexikons: Kung-Fu mit zahlreichen Unterkapiteln. 
       
       Selbst für mich ist das so. Für den Film habe ich viel gelesen, es gibt
       eine reiche Theorie zu Kung-Fu, erst jetzt verstehe ich das alles besser.
       Meine Eltern waren noch der Meinung, dass nur zwei Sorten Leute Kung-Fu
       lernen: Polizisten und Gangster. Sie sahen das nur als ein Kampfmittel. Die
       viertausendjährige Tradition des Trainings des Geistes war ihnen so gut wie
       unbekannt.
       
       Können Sie versuchen zu erklären, was das Besondere an den „64 Händen“ ist,
       die besondere Bewegung, die in „The Grandmaster“ nur Gong Er (Zhang Ziyi)
       wirklich beherrscht? 
       
       Leider nicht, denn das gehört nicht zu meinem System. Ich habe ja das
       nördliche System nicht gelernt.
       
       Bezieht sich das Thema von Norden und Süden nur auf Kung-Fu, oder steckt da
       auch ein Gedanke über das geeinte Großchina dahinter? 
       
       Ich glaube, wir haben keine Absicht, etwas über das Land zu implizieren.
       Aber Kung-Fu ist wirklich grundsätzlich in eine nördliche und eine südliche
       Variante unterschieden, mit ganz spezifischen Übungen. Nur Jet Li hat mit
       seiner Filmreihe über den Wuxia-Heroen Wong Fei Hung eine Schule
       thematisiert, in der alle Stile zusammengeführt werden sollten.
       
       Wie realistisch sind die Szenen in den Bordellen, in denen eine
       geschlossene Gesellschaft sich auf sehr stilisierte Weise mit Kung-Fu
       beschäftigt? 
       
       Wir müssen uns das ein wenig vorstellen wie einen Gentlemen’s Club, einen
       sozialen Ort, an dem man sich mit diesen Dingen beschäftigen konnte.
       
       Kung-Fu wird in „The Grandmaster“ als eine Essenz chinesischer Tradition
       gezeigt, als ein Moment bedrohter Identität in der Zeit der japanischen
       Invasion und der Kollaboration. 
       
       Wir begreifen gerade wieder neu, dass Kung-Fu immer zum chinesischen Leben
       gehört hat – als Element der Lebensführung. Man kann Kung-Fu rein
       körperlich betreiben, dann ist es gut für die Gesundheit. Es ist aber auch
       eine Philosophie, die lehrt, wie man das Leben zu führen hat. Bruce Lee
       etwa hat chinesische Philosophie studiert und dabei gelernt, Kung-Fu in
       einer taoistischen Weise zu erklären.
       
       Gibt es da nicht ein Moment der Verklärung? Vor dem Hintergrund der rapiden
       Modernisierung Chinas wird Kung-Fu so etwas wie die lateinische Liturgie
       für manche Katholiken? 
       
       Glauben Sie mir, viele müssen erst begreifen, dass Kung-Fu nichts für den
       schnellen Konsum ist. Viele Leute zahlen 1.000 Dollar und wollen in einer
       Woche mit zehn Leuten kämpfen. Sie sehen das wie ein Pauschalarrangement.
       Dabei geht es um geduldige Selbstkultivierung. Wenn man Bilder von Yip Man
       betrachtet, dann sieht er nicht aus wie ein Kämpfer, sondern mehr wie ein
       Gelehrter, ein bescheidener, eleganter Mann.
       
       Im Westen verbanden wir Kung-Fu, nicht zuletzt wegen Bruce Lee, lange Zeit
       mit Hongkong und dem Kantonesischen. Nun wurde in den letzten Jahren das
       gesamte Genre in gewisser Weise „mandarinisiert“ und mit Prestige, nicht
       zuletzt mit nationalem, festlandchinesischem Prestige aufgeladen. Ist das
       nicht auch ein Verlust? 
       
       Das Hongkong-Kino, mit dem ich aufwuchs, existiert nicht mehr. Die
       Vergangenheit ist vergangen. Manchmal vermisse ich das, dann lege ich eine
       DVD ein. Aber die Welt geht weiter, und wir müssen auch weitergehen. Die
       Filmindustrie in Hongkong muss sich umstellen, denn wir haben lange Zeit
       die asiatischen Länder mit Unterhaltung versorgt. Jetzt schrumpfen die
       Märkte, der Wettbewerb wird härter. Zum Glück hat China sich geöffnet, es
       gibt nun viele Koproduktionen mit China, hauptsächlich im
       Unterhaltungsbereich. Viele übersiedeln sogar nach China: Tsui Hark Peter
       oder Jackie Chan etwa, eine gute Sache, von der beide Seiten profitieren.
       
       Haben Sie auch schon einen Wohnsitz in Peking? 
       
       Ich? Nein. Ich gehöre nach Hongkong, ich könnte mir nicht vorstellen, von
       da wegzugehen.
       
       Glauben Sie, dass China irgendwann eine freie Gesellschaft haben wird? 
       
       Das braucht Zeit. Ich empfinde es jetzt schon als viel offener.
       
       14 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Rebhandl
       
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