# taz.de -- Lage in der Ukraine: Unter russischer Besatzung
       
       > In den von Russland kontrollierten Gebieten der Ukraine werden
       > Bürgermeister und Aktivisten entführt. Präsident Selenski sieht das als
       > Terror.
       
 (IMG) Bild: Melitopol am 12. März: Menschen protestieren gegen die Entführung ihres Bürgermeisters
       
       „Gebt uns unseren Bürgermeister zurück. Skadowsk ist ukrainisch“, hörte man
       hunderte von Menschen rufen, die sich am Mittwochnachmittag vor der
       Stadtverwaltung der südukrainischen Hafenstadt Skadowsk versammelten. Nach
       ungefähr einer halben Stunde fielen Schüsse. Sie kamen von den russischen
       Besatzern, die sich in der Stadtverwaltung verschanzt hatten.
       
       Mit Tränengasgranaten trieben sie die Demonstrierenden auseinander. Kurz
       zuvor war bekannt geworden, dass die russischen Besatzungstruppen den
       Bürgermeister der Stadt, Olexander Jakowlew, festgenommen haben. Skadowsk
       liegt hundert Kilometer südlich von Cherson, in der Nähe der Krim.
       
       Jakowlew ist der jüngste Fall der Verhaftung eines gewählten Bürgermeisters
       in den von Russland seit dem 24. Februar besetzten Gebieten. Dort herrschen
       die Militärs mit Angst und Schrecken. Russische Nationalgarde und der
       Geheimdienst FSB suchen gezielt nach Bewohnern, die Proteste gegen die
       Besatzung organisieren. 400 Menschen seien, so der ukrainische Generalstab
       und die Menschenrechtsbeauftragte Liudmilla Denissowa, inzwischen
       festgenommen worden. Laut dem ukrainische Radiosender Hromadske sind die
       Zahlen möglicherweise zu hoch angesetzt.
       
       Dennoch ist klar, dass die russischen Besatzer im großen Stil Jagd auf
       proukrainische Aktivisten machen. In einem Aufruf an die UNO und die
       internationale Gemeinschaft schlagen über [1][70 ukrainische
       Menschenrechtsorganisationen], darunter die Helsinki Gruppe, die
       Menschenrechtsgruppe Charkiw und das Roma-Radio Chiriklo, angesichts
       zahlreicher Verhaftungen, Entführungen und Morde von Politikern,
       Aktivistinnen, MenschenrechtlerInnen, Bürgermeistern, JournalistInnen durch
       die russischen Besatzungstruppen Alarm.
       
       Tschetschenische Militärs treiben ihr Unwesen 
       
       Am 7. März wurde bekannt, dass das russische Militär den Bürgermeister von
       Gostomel, einem Vorort von Kiew, Jurij Prilipko, und zwei Freiwillige,
       Ruslan Karpenko und Iwan Sarja, erschoss, als sie Lebensmittel und
       Medikamente an die Bewohner der Siedlung Pokrowski verteilten. Gostomel ist
       in russischer Hand, dort treiben [2][tschetschenische Militärs] ihr
       Unwesen. Mehrere Dutzend Bewohner der Ortschaft, die noch rechtzeitig
       hatten fliehen können, wurden von diesen Militärs als Geiseln festgehalten,
       berichtet eine Bewohnerin von Gostomel der taz. Zudem seien Frauen
       vergewaltigt worden.
       
       Das Portal sledstvie.info zitiert die Tochter des Bürgermeisters,
       Nadeschda: „Mein Vater und vier weitere Personen waren mit dem Auto auf der
       Hauptstraße von Gostomel unterwegs, als ihnen eine russische Kolonne
       entgegenkam. Aus der Kolonne fielen Schüsse in Richtung des Autos. Zwar
       hatten sie zunächst das Auto wenden und in eine andere Richtung fahren
       können, doch dann kamen sie in einer Straße, die mit einem Traktor
       verbarrikadiert war, nicht mehr weiter und mussten zu Fuß fliehen. Und
       dabei wurden sie und zwei weitere Männer erschossen.“
       
       In Melitopol in der südukrainischen Region Saporischschja sind mindestens
       sechs Personen entführt worden. Dazu zählt der Bürgermeister Iwan Fedorow,
       die Aktivistin Olga Gaisumowa und der Vorsitzende des Bezirksrats Sergej
       Primu. Der Bürgermeister war am 11. März am helllichten Tag entführt
       worden. Man kann davon ausgehen, dass seine Weigerung, mit den Besatzern
       zusammenzuarbeiten, der Grund war. Einschüchtern ließ sich die Bevölkerung
       von Cherson durch diese Entführung nicht. Am Tag nach der Geiselnahme waren
       Tausende auf die Straße gegangen und forderten die Freilassung von ihrem
       Bürgermeister.
       
       Präsident Selenski sieht in den Entführungen eine neue Stufe von Terror. Er
       erklärte gegenüber ukrainischen Medien, Fedorow sei gefoltert worden, die
       Besatzer hatten ihn zwingen wollen, in einem Video für sie Position zu
       beziehen. Seit dem 12. März sind der Aktivist Serhiy Tsygipa aus Novaya
       Kachovka im Gebiet Cherson und der Journalist Oleg Baturin aus dem
       benachbarten Kachovka spurlos verschwunden. Einen Tag später wurde auch der
       Bürgermeister von der südukrainischen Kleinstadt Dniprorudne, Jewhen
       Matwejew, entführt.
       
       In Skadowsk zeigten die Proteste dagegen Wirkung: Der Bürgermeister wurde
       wieder freigelassen. Ungekämmt und schwer atmend wandte sich Jakowlew per
       Video an seine Mitbürger. Man habe ihn nach dem „Gespräch“ freigelassen, es
       sei alles in Ordnung.
       
       16 Mar 2022
       
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