# taz.de -- Landtagswahl in Niedersachsen: Kein Job für Feiglinge
       
       > In der Schulpolitik in Niedersachsen ist die Zeit der Grundsatzdebatten
       > vorbei. Der Lehrermangel überschattet alles andere.
       
 (IMG) Bild: Bemüht: Bildungsminister Grant-Hendrik Tonne (SPD) liest aus einem zweisprachigen Kinderbuch vor
       
       „Schule ist das Letzte. Wenn sie ausfällt“, plakatiert die CDU in
       Niedersachsen. Das ist auch schon der originellste Spruch. Ansonsten steht
       irgendwas mit guter Bildung und Digitalem auf den Plakaten, das so
       austauschbar ist, dass man es sich weder merken noch zuordnen kann.
       
       Bemerkenswert, wie klein dieses Thema geworden ist. Die FDP hatte
       kurzzeitig den Versuch unternommen, den [1][Erhalt der Förderschule Lernen
       zum Wahlkampfthema zu machen] – mit einem Volksbegehren. Doch die
       Unterschriftensammlung dümpelt vor sich hin, das Thema ist kaum noch
       präsent.
       
       Mit dem „Elektriker, der mit den Schüler:innen Experimente macht“,
       lieferte die Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg kurz eine
       Steilvorlage. Die stammte aus einem Interview, das die Grüne dem NDR
       gegeben hat. Darin sagte sie, man solle den Schulen doch das Geld zur
       Verfügung stellen, wenn Lehrerstellen nicht besetzt würden. Dann könnten
       die selbst entscheiden, welche Entlastungskräfte sie gerade am dringendsten
       brauchen könnten.
       
       Unter den Beispielen, die sie nannte, war auch der Elektriker. Und
       natürlich schaffte es am Ende nur der in die Schlagzeilen. „Grüne will
       Elektriker unterrichten lassen“. Mit den absehbaren Folgen: In den sozialen
       Medien wurde höhnisch gefragt, ob sie eigentlich nicht wisse, dass
       Handwerker Mangelware sind. In Lehrerforen echauffierte man sich darüber,
       ob denn eigentlich demnächst auch jeder Stromkabel verlegen dürfe, wenn
       doch auch jeder Kinder unterrichten könne.
       
       In Wirklichkeit gehört [2][der Lehrermangel nicht nur in Niedersachsen zu
       den dringendsten Problemen] – für den niemand so wirklich eine Lösung hat.
       
       ## 7.000 Lehrer fehlen sagt die GEW
       
       Vorbei sind die Zeiten der großen Grundsatzdebatten über das ein-, zwei-,
       dreigliedrige Schulsystem, über Gesamtschulen gegen Gymnasien und
       Oberschulen – auch wenn die alten Fronten noch in den Wahlprogrammen
       stehen. Grüne und SPD werben unverdrossen weiter fürs längere gemeinsame
       Lernen, CDU und FDP fürs frühzeitige Aussortieren – alles wie gehabt.
       
       Im wirklichen Leben geht es vor allem darum, dass Unterricht überhaupt noch
       stattfindet. 7.000 Lehrer fehlen eigentlich, hat die Gewerkschaft GEW erst
       zum Schuljahresbeginn wieder ausgerechnet – aber natürlich hat das Land nur
       einen Bruchteil dieser Stellen ausgeschrieben. Und selbst von denen konnten
       nur 80 Prozent besetzt werden.
       
       Kein Wunder, wie die GEW genüsslich vorrechnet: 2.300 Stellen waren
       ausgeschrieben, aber nur 1.470 angehende Lehrkräfte haben zu diesem
       Schuljahr ihr Referendariat abgeschlossen. Das Land bildet unter Bedarf aus
       und oft auch in den falschen Fächern und für die falschen Schulformen – an
       Deutsch- und Englischlehrern fürs Gymnasium gibt es keinen Mangel, an den
       Haupt- und Realschulen, wo viele Lehrer auch noch an Grundschulen
       abgeordnet wurden, nehmen die Unterrichtsausfälle dramatische Züge an.
       
       Plötzlich kommt an den Schulen alles zusammen: Ein endloser Sanierungsstau,
       der auch den angestrebten Ganztagsausbau blockiert, die gestiegenen
       Geburtenzahlen der letzten Jahre, die zusätzlichen Schüler aus der Ukraine,
       die große Pensionierungswelle der Babyboomer. Und natürlich ist angesichts
       der Ausbildungsdauer da nicht so schnell für Abhilfe zu sorgen.
       
       Möglicherweise wäre es also tatsächlich hilfreich, zunächst einmal dafür zu
       sorgen, dass die vorhandenen Lehrer sich tatsächlich aufs Unterrichten
       konzentrieren statt auf alle möglichen Verwaltungs- und
       Koordinierungsaufgaben (darunter auch die Verwaltung der digitalen Geräte
       und Netze).
       
       Das haben auch alle Parteien in unterschiedlichen Formen in ihren
       Programmen stehen. Genauso wie eine stufenweise Angleichung der Bezahlung
       auf Besoldungsgruppe A13 für alle, multiprofessionelle Teams, mehr
       Sonderpädagogen, mehr Sozialarbeiter und Schulpsychologen,
       Verwaltungshilfekräfte, IT-Administratoren – man unterscheidet sich
       allenfalls in Nuancen.
       
       ## Weder SPD noch CDU haben sich mit Ruhm bekleckert
       
       Doch den betroffenen Eltern fehlt der Glaube: 75 Prozent sind mit der
       Schulpolitik unzufrieden, hat eine Forsa-Umfrage der niedersächsischen
       Zeitungsverlage ergeben, besonders verheerend sind die Werte bei Frauen und
       jungen Menschen.
       
       Das betrifft vor allem die beiden Großparteien: Die SPD, die nun schon seit
       zehn Jahren dieses Ressort verantwortet, aber auch die CDU, deren
       Finanzminister eine deutlichere Ausweitung des Etats blockiert hat.
       Ausgaben und Neueinstellungen sind zwar deutlich gestiegen – aber eben
       nicht weit genug.
       
       Ein kurz vor der Wahl [3][noch rasch aufgelegter Lehrkräftegewinnungspakt
       von Kultusminister Grant Hendrik Tonne] (SPD) – mit Prämien für die wenig
       begehrten Stellen und weiteren Erleichterungen für Quereinsteiger – hilft
       auch kaum. Zumal Lehrerausbilder kritisierten, Tonne mache, hübsch verbrämt
       als „früherer Praxisbezug“, Abstriche bei der Qualität der Ausbildung und
       ziele vor allem darauf, noch mehr Leute noch schneller ins kalte Wasser zu
       werfen.
       
       Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann (CDU), früher selbst
       Kultusminister, muss sich zudem vorwerfen lassen, als Wirtschaftsminister
       zumindest zum Teil für die vermurkste Digitalisierung mitverantwortlich zu
       sein. Gerade erst [4][hat der Landesrechnungshof moniert, dass in vielen
       Schulen nicht einmal die Netzanbindung gut genug ist] – die zuständigen
       Kommunen bräuchten außerdem mehr Geld, um auch nur den mickrigen Status quo
       langfristig aufrecht erhalten zu können.
       
       Da mag Kultusminister Tonne sich noch so viel Mühe geben: In der Pandemie
       schrieb er zeitweise wöchentlich Rundbriefe an Schüler, Eltern und Lehrer,
       jetzt tourt er freundlich lächelnd durch die Lande und überreicht überall
       Bewilligungsbescheide, Plaketten und Auszeichnungen. Doch die Erschöpfung
       und der Frust sitzen tief bei Lehrern, Schülern und Eltern.
       
       23 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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