# taz.de -- Militärexperte über Terror in Nahost: „Hamas ist eine Ideologie“
       
       > Israel will die Hamas zerstören, doch das sei schwierig, sagt der
       > Militär- und Hamas-Experte Assaf Moghadam. Denn sie ist mehr als nur eine
       > Organisation.
       
 (IMG) Bild: Ein Foto der israelischen Streitkräfte zeigt israelische Militärfahrzeuge an der Grenze zu Gaza
       
       taz: Herr Moghadam, Israel spricht davon, die Hamas auszulöschen. Was
       bedeutet das konkret? 
       
       Assaf Moghadam: Einen Angriff wie den am 7. Oktober hat Israel seit 50
       Jahren nicht gesehen. Und er begann fast am gleichen Tag wie 1973 der
       [1][Jom-Kippur-Krieg]. Israel ist im Schockzustand, die Selbstzuschreibung
       als sicherer Hafen für Juden hat einen Riss. Für viele Israelis ist daher
       klar, dass die Hamas ausgelöscht werden muss. Die Hamas ist aber mehr als
       eine Organisation, sie ist eine Ideologie. Man kann ihre Infrastruktur
       zerstören, ihre Kämpfer töten, aber wie zerstört man eine Idee?
       
       Was macht es noch schwierig, die Hamas zu bekämpfen? 
       
       Israel kämpft nicht gegen einen anderen Staat, sondern gegen eine
       aufständische militante Organisation. Die Kämpfer tragen keine Uniformen.
       Sie sind kaum von Zivilisten zu unterscheiden, die sie bewusst als
       menschliche Schutzschilde verwenden. Sie hindern die Menschen daran, in den
       sicheren Süden Gazas zu fliehen und verminen Wohnungen. Jede
       Militäroperation in Gaza wird unweigerlich zu zivilen Opfern führen.
       Für die Hamas ist jeder tote Palästinenser gute Publicity gegen Israel.
       
       Welche weiteren Schwierigkeiten gibt es? 
       
       Das [2][Tunnelnetzwerk der Hamas]. Es sind Hunderte Kilometer. Eine der
       freigelassenen Geiseln hat berichtet, wie sie stundenlang durch ein Netz
       von Tunneln laufen musste. Diese werden nicht nur für Attacken auf
       israelischem Boden genutzt, sondern auch als Bunker. Man kann dort Wochen,
       vielleicht sogar Monate überdauern. Dort werden auch [3][die Geiseln
       gehalten]. Das letzte Mal, als Israel versucht hatte, die Tunnel zu
       zerstören, kamen etwa 70 israelische Soldaten ums Leben.
       
       Welche anderen Taktiken will Israel nutzen? 
       
       Israel hat die Samthandschuhe ausgezogen. Durch die Blockaden Israels wird
       in Gaza das Benzin knapper, gleichzeitig hat die Hamas offenbar Benzin von
       Zivilisten gestohlen. Die Hamas führt auch einen psychologischen Krieg, sie
       nutzt die Macht der Bilder. Israel will in dem Bereich nun auch aktiver
       werden, deswegen wurden beispielsweise Journalisten eingeladen, sich
       Hamas-Videos mit deren Gräueltaten anzusehen. Aber das Problem ist: Die
       Unterstützung für die Palästinenser ist weltweit überwältigend. Ich bin mir
       unsicher, wie gut wir dagegen ankommen können.
       
       Viele Menschen in Gaza unterstützen die Hamas. Wo zieht Israel die Grenze
       zwischen Militanten und Zivilisten? 
       
       Für Israel sind jetzt alle ein legitimes Ziel, die Teil der Organisation
       Hamas sind, militärisch oder politisch. Israel wird nicht die
       Hamas-Politführung in Katar oder der Türkei ausschalten können. Aber die,
       die sich in Gaza aufhalten, sind Freiwild. Die Angriffe auf Israel gehen
       seit der Attacke übrigens immer weiter.
       
       Weltweit waren viele überrascht ob der Brutalität der Hamas. 
       
       Israel hat 2005 alle Siedlungen in Gaza geschlossen und den Landstreifen
       verlassen. [4][2007 hat die Hamas Gaza auf brutale Weise] von der
       Palästinensischen Autonomiebehörde übernommen. Sie hat damals viele
       Angehörige der Fatah getötet. Wer die Gruppe schon länger beobachtet hat,
       wusste, wozu sie fähig ist.
       
       Gibt es neue Erkenntnisse, wie die Hamas es geschafft hat, die Attacken vom
       7. Oktober zu planen? 
       
       Die Hamas war selbst überrascht vom Erfolg ihrer Operation. Sie hatte
       Karten der Umgebung und der Kibbuzim, die sie angegriffen hat. Sie kannte
       sogar die Namen der Bewohner, wusste, in welchen Räumen Waffen lagerten und
       wo die Sicherheitskräfte sitzen. In manchen Kibbuzim wollten sich die
       Bewohner verteidigen, liefen zu den Waffendepots – nur dass dort schon
       Hamas-Mitglieder auf sie warteten. Die offene Frage ist: Woher hatten sie
       diese Informationen? Gab es Verräter innerhalb Israels? Ich glaube ja.
       
       Einige zeigen nun auf die etwa 1,2 Millionen Palästinenser mit israelischem
       Pass, die im Land leben. 
       
       Misstrauen gegen die arabisch-israelische Community gab es immer. Aber
       Proteste aus der Community gab es selten, und es gibt absolut keine Belege,
       dass sie in die Attacken der Hamas involviert wäre. Aber wie reagiert die
       Community, wenn die Zahl der Opfer in Israels Kampagne gegen Gaza weiter
       ansteigt? Wenn Israel den Gazastreifen besetzt? Die Spannungen werden
       zunehmen. Wie sehr, hängt davon ab, wie viele zivile Opfer es in Gaza gibt
       und wie lange der Konflikt anhält. Wichtig ist: Die arabischen Israelis
       sind ein Teil des Staats, sie sind genauso schockiert über die Taten der
       Hamas. Palästinenser oder auch arabische Israelis sind nicht mit der Hamas
       gleichzusetzen.
       
       Welche Fehler – außer dem Versagen der Geheimdienste – hat Israel begangen,
       die die Attacke der Hamas ermöglichten? 
       
       Erstens: Wir haben uns zu sehr auf die Überwachungstechnik an der Grenze zu
       Gaza verlassen. Zweitens: Etwa die Hälfte der Bataillone der israelischen
       Armee war im Westjordanland stationiert, um dort die verschiedenen
       Siedlungen zu schützen. An der Grenze zu Gaza war einfach zu wenig Militär
       stationiert. In Israel gab es die Überzeugung, dass die Hamas gerade kein
       Interesse an einer Eskalation habe – das war falsch. Ich gehe davon aus,
       dass bald einige Posten geräumt werden müssen, in der Politik und beim
       Militär.
       
       Wäre sogar eine Wende in der Siedlungspolitik möglich? Einfach, weil die
       derzeitige Situation sicherheitstechnisch nicht haltbar ist? 
       
       Das bleibt eine politische Frage. Benjamin Netanjahu und seine Regierung –
       vor allem die extreme Rechte setzt sich für den Siedlungsbau ein – sind so
       unbeliebt wie nie. Aus dieser Krise werden die zentristischen Parteien als
       Gewinner hervorgehen.
       
       Noch immer sind viele Soldaten im Westjordanland, auch an der Nordgrenze
       wird hochgerüstet. Wie beeinflusst das die geplante Bodenoffensive? 
       
       Es wird massiv mobilisiert. Allein an meiner Universität wurde etwa die
       Hälfte der Studenten eingezogen. Israel hat kein Interesse an einem
       Zweifrontenkrieg. Nun kommt es darauf an, ob [5][die Hisbollah vom Libanon]
       aus – die mit der Hamas in der „Achse des Widerstandes“ verbunden ist –
       einen Krieg anfängt, wenn sich abzeichnet, dass die Hamas wirklich droht,
       ausgelöscht zu werden. Einige israelische Stimmen fordern sogar, zuerst
       anzugreifen, um ihnen die Möglichkeit einer Überraschungsattacke zu nehmen.
       Die Hisbollah ist sehr viel besser bewaffnet als die Hamas, sie verfügt
       über 150.000 Raketen mit schweren Sprengladungen. Wenn die Hamas über 1.400
       Menschen töten und mehr als 220 Israelis entführen konnte – wozu ist dann
       die Hisbollah fähig?
       
       [6][Für die gesamte „Achse des Widerstands“ entscheidet Iran.] Ich glaube
       nicht, dass der die Hisbollah als sein erfolgreichstes Projekt jetzt
       verschwenden will. Er wartet auf den richtigen Moment.
       
       Also hängt der weitere Verlauf des Kriegs auch an Iran? 
       
       Das Regime dort weiß, dass ihm Legitimität fehlt. Eine Regierung, die nicht
       in ihre eigene Bevölkerung investiert, dafür Millionen Dollar pro Jahr in
       die Finanzierung militanter Organisationen weltweit, ist keine beliebte
       Regierung. Iran braucht Israel als Feindbild – wenn es das Land nicht gäbe,
       müssten sie es erfinden.
       
       27 Oct 2023
       
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