# taz.de -- Nestflucht auf Helgoland: Im Lummenland
       
       > Eine der Attraktionen Helgolands ist der Sprung der Lummen - der findet
       > allerdings nur in der Dämmerung statt und ist deshalb schwer zu sehen.
       
 (IMG) Bild: Wenn sie springen, springen sie hier: In den Felsen der Langen Anna warten die Junglummen auf den richtigen Moment.
       
       Wir stehen oben an der Langen Anna und sehen die Lummen. Aber sie springen
       nicht. Sie sitzen nur so in der Sonne und lassen sich vom Wind die Federn
       aufplustern. Lummen haben schwarze Köpfe und einen weißen Bauch. Sie sehen
       aus wie kleine Pinguine.
       
       Am Felsrand stehen Touristen in roten Windjacken und Hobby-Ornithologen mit
       Feldstechern und wollen springende Lummen sehen. Denn der Sprung der Lummen
       ist eine der Attraktionen der Insel Helgoland. Die Insel macht Werbung mit
       dem Sprung der Lummen, die seit dem 19. Jahrhundert hier brüten, doch die
       Lummen sind nicht berechenbar, halten sich nicht an Ladenöffnungszeiten und
       fühlen sich nicht dazu verpflichtet, den Touristen einen Gefallen zu tun.
       
       Immerhin flattern ein paar Lummen mit hektischem Flügelschlag um die Lange
       Anna, das aus rotem Buntsandstein bestehende Wahrzeichen Helgolands, aber
       noch immer springt keine. Die Lumme - Uria aalge, wie der Ornithologe sagt
       -, die eigentlich Trottellumme heißt, ist so um die 40 Zentimeter groß,
       wiegt ein Kilogramm und ist ein Alk. Also ein Vogel. In den Monaten Mai und
       Juni verlassen die gerade geschlüpften, noch stummelflügeligen Jungvögel,
       das Nest.
       
       "Verlassen" stimmt vielleicht nicht ganz. Vater oder Mutter locken den
       Jungvogel, der eigentlich keine Lust hat, es zu verlassen, aus dem Nest.
       Wenn das nicht hilft, werden die Jungen ziemlich unbarmherzig aus der
       warmen Wohnung geschubst. Die Junglumme plumpst dann Richtung Wasser,
       knallt nach 40 Metern auf die Nordsee, überlebt den Aufprall dank des
       angefressenen Fettes, das wie ein Airbag wirkt und schwimmt anschließend
       Richtung Nordwesten ins bis zu 1.000 Kilometer weit entfernte
       Winterquartier. Der Vater geht mit den Küken auf die lange Reise, die
       Mutter fliegt später hinterher.
       
       Das Fliegen ist nicht der Lumme Ding. Sie ist ein Vogel der besser schwimmt
       und taucht als er fliegt, Lummen können bis zu 180 Meter tief tauchen. Die
       Trottellummen schwimmen nach Nordwesten, weil sie ihren Lieblingsfischen
       folgen: Sandaalen, Sprotten und Heringen. Geht es diesen Kleinfischen gut,
       wird die Lumme satt und vermehrt sich.
       
       Den Großteil ihres Lebens verbringen die Lummen auf dem Wasser. Nur zum
       Brüten kehren die mit fünf Jahren geschlechtsreifen Tiere aufs Land zurück.
       Die Lumme kommt viel rum: Außerhalb der Brutzeit wurden Helgoländer
       Trottellummen an den Küsten der Nordsee, Ostsee, der norwegischen
       Atlantikküste bis hinauf zum Polarkreis entdeckt.
       
       Leider sind die Vögel heute ausgesprochen faul. Sitzen im Nest, dann und
       wann fliegt eine Lumme ein paar Meter. Immer noch kein einziger Sprung. Die
       Touristen ziehen enttäuscht weiter und die Hobby-Ornithologen packen ihre
       Ferngläser ein.
       
       Vor hundert Jahren guckten Lummen-Interessenten nicht durch Feldstecher
       sondern Zielfernrohre auf die Lummen. Die Lummen wurden von den Touristen
       aus den Felswänden geknallt.
       
       Es gibt Menschen wie die Biologin Folke Mehrtens, die zehn Jahre auf
       Helgoland gelebt hat, von Berufs wegen mit Vögeln zu tun hatte, und "nie
       eine springende Lumme gesehen" hat. Obwohl sie sich "wirklich angestrengt"
       hat. Die Lumme springt in der Dämmerung. Weil dann die Chancen der Silber-
       und Dreizehenmöwen, eine Junglumme im Flug oder auf dem Wasser sitzend zu
       schnappen und zu fressen, schlecht sind. In der Dämmerung sehen die Möwen
       die Lummen nicht, und wir, die wir geduldig am Felsrand stehen, sehen sie
       auch nicht.
       
       Neben den Möwen sind auch die Mitarbeiter der Vogelwarte Helgoland und des
       Vereins Jordsand scharf auf die Lummen. Sie vermessen und beringen die
       Jungtiere, die ins Wasser gesprungen sind und tragen die Lummen, die
       innerhalb der Schutzmauern der Insel gelandet sind, aufs Wasser hinaus.
       Mitarbeiter der Vogelwarte sitzen außerdem Nacht für Nacht am Fuß der
       Langen Anna, dort, wo die abgebrochenen Felsstücke liegen, und zählen alle
       gesprungenen Lummen. "Gestern waren es nur zwei", sagt Folke Mehrtens.
       
       In den Felswänden hinter der Langen Anna sitzt eine Lumme neben der
       anderen. Es riecht streng. Guano, das ist Vogeldung. Oben am Felsen, fast
       zum Greifen nah, brüten Basstölpel. Die gibt es seit etwa 1980 auf
       Helgoland. Sie haben gelbe Köpfe und graue Schnäbel und sind von März bis
       September auf der Insel und ziehen in dieser Zeit ein Junges groß.
       Basstölpel bringen ihre Jungen zum Verlassen des Nestes, indem sie das
       Füttern einstellen. Irgendwann haben die Jungtiere einen solchen Hunger,
       dass sie das Nest verlassen.
       
       In den Nestern leuchtet es rot und blau. Das liegt daran, dass die schlauen
       Basstölpel Teile unverrottbarer Fischernetze für den Bau ihrer Nester
       verwenden. Genau in diesen Netzen sterben Jahr für Jahr allein in der
       Ostsee 1.500 Lummen. Es gibt immer wieder Lummen, die, in Netze verheddert,
       kläglich schreiend im Felsen verhungern. Weltweit gibt es neun Millionen
       Trottellummen, auf Helgoland, dem einzigen deutschen Brutplatz, leben etwa
       2.500 Paare.
       
       Lummen sind laut. Ihr Ruf klingt erkältet, es gibt aber auch eine Variante,
       die an Kinderschreien erinnert. Lummen können bis zu 30 Jahre alt werden,
       ihren Sprung behalten sie am liebsten für sich.
       
       25 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Roger Repplinger
       
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