# taz.de -- Neues Album der Sleaford Mods: Prügel von den Alten
       
       > Die Sleaford Mods waren schon immer gut darin, den Status quo Englands zu
       > sezieren und zu filetieren. Auf dem Album „UK Grim“ gelingt das einmal
       > mehr.
       
 (IMG) Bild: Still angry after all these years: Andrew Fearn, Jason Williamson
       
       „Es ist ja so: Wenn du nicht drüber lachst, weinst du dir die Augen aus“,
       hat Jason Williamson, vorderster Rüpel des britischen Schepperpunk-Duos
       Sleaford Mods, kürzlich zum Guardian über den Zustand seines Heimatlandes
       gesagt.
       
       Wer wollte ihm in Zeiten der fröhlichen
       Premierminister-wechsel-dich-Spielchen, eines [1][darbenden öffentlichen
       Gesundheitssystems] und eines immer [2][nur noch schärferen Asylkurses]
       widersprechen? Großbritannien in Post-Brexit-Zeiten, das ist ein großes
       Trauerspiel – oder eben Highspeed-Comedy, die versucht, Schritt zu halten
       mit den Politskandalen und dem alltäglichen Chaos.
       
       Die Sleaford Mods sind die vielleicht wütendste Band der Insel, und sie
       waren schon immer sehr gut darin, den Status quo Englands zu filetieren.
       Auf „UK Grim“, ihrem neuen, inzwischen zwölften Studioalbum, gelingt ihnen
       das einmal mehr on point. In den Songtexten verhandeln sie etwa den
       grassierenden Populismus („Right Wing Beast“), den latent gewalttätigen,
       spätweimarischen Zustand der Gesellschaft („Smash Each Other Up“) sowie
       wiederholt die grenzenlose Arroganz der Elite („Tory Kong“).
       
       Während der Albumtitel „UK Grim“ eine treffende Epochenbeschreibung für
       zukünftige Historiker werden könnte, ist der von Cold War Steve produzierte
       Videoclip zum Titeltrack große Comedy und erinnert darin an Monty Python.
       
       ## Michael Gove kotzt
       
       In einer Mischung aus Bruegel’schem Wimmelbild und Dada-Collage entwerfen
       die beiden Musiker ein Sittengemälde des Post-Brexit-UK: Nigel Farage
       trommelt auf der Bratpfanne, Sting meditiert mit Laute, Liz Truss findet in
       Margaret Thatcher ihr Ebenbild, Boris Johnson gibt den nackten
       Königskutscher und Michael Gove reihert auf den Boden.
       
       Sich auskotzen ist überhaupt ein Grundmotiv der Mods, Williamson singt und
       shoutet wütende Verse wie: „[…] in England no one can hear you scream your
       just fucked lads“ oder den Refrain: „This is U.K. grim / Keep that desk
       area tidy“. Das ist das trostlose Großbritannien, halt deinen Schreibtisch
       sauber.
       
       Am Erstaunlichsten an den Sleaford Mods ist, dass sie mit simplen Mitteln
       musikalisch relevant bleiben [3][und zugleich eine wichtige Stimme des
       Prekariats]. Gegründet 2007 in Nottingham, haben sich Jason Williamson und
       Andrew Fearn, der für Synthesizer und Programmierung zuständige zweite Mod,
       einen Namen gemacht mit einem unnachahmlichen Mix aus elektronischem Punk
       und Sprechgesang.
       
       Fearn liefert stumpfe Beats und garniert sie mit minimalistischen Samples,
       Williamson rattert dazu seine atemlosen Rants: Ein tiefes Motzen gegen die
       soziale Schieflage. Auf Alben wie „Key Markets“ (2015), „English Tapas“
       (2017) und „Eton Alive“ (2019) kommentierte das Duo trefflich und gewitzt
       das Zeitgeschehen. In ihrem unversöhnlichem Brodeln ähneln die Mods von
       Ferne den Goldenen Zitronen in Deutschland: Man muss nur ein Album dieser
       Bands hören und bekommt einen guten Eindruck davon, was faul ist im Staate.
       
       ## Guns of Navarone
       
       Musikalisch bedienen sich Sleaford-Stücke meist bei den einfachst
       programmierten Wave-Beats und Bassläufen jener Ära, aber gerade auf „UK
       Grim“ wird deutlich, wie das Duo sich um Varianz bemüht.
       
       In „Force 10 from Navarone“ singt Florence Shaw von der aufstrebenden
       Postpunkband Dry Cleaning. „Smash Each Other Up“ geht fast als
       melancholische elektronische Ballade durch, in „Tory King“ setzt das Duo
       wiederum polyrhythmische Trommeln und repetitive Synthesizer ein, und so
       dringen weniger naheliegende musikalische Einflüsse durch. Im Finale
       „Rhythms of Class“ singt Williamson dann fast harmonisch, es ertönen funky
       Gitarren-Licks, der Song hat Soul.
       
       In den Texten verarbeitet Williamson aber nicht nur die britische Misere,
       sondern auch die Malaise mondiale. Gleich in der ersten Strophe des
       Titeltracks lässt er Wladimir Putin austicken und schimpft über den
       permanenten Krisenstatus und dass ihm deshalb die Krisenscheiße über den
       Rücken spritzt („I got crisis stamina, full marathon, 4 poo breaks, I can
       feel the shit from your crisis rays spray up my back“).
       
       Währenddessen lässt sich die breite Masse von rechten Rattenfängern
       verarschen („But what’s gone on what can I see / Y’ all getting mugged by
       the right wing beast“). In „Force 10 from Navarone“, eine Anspielung auf
       den gleichnamigen britischen Kriegsfilm von 1978, der ja auch in einem oft
       von Punkbands gecoverten Songklassiker der jamaikanischen Skatalites
       zitiert wird, setzt sich Williams dagegen mit seinen eigenen Dämonen
       auseinander und welche Berechtigung sie haben („Jason, why does the
       darkness elope?“).
       
       ## Felsen im Kot
       
       Sleaford Mods bleiben so eine verlässliche Quelle, will man den Wahnsinn
       der Welt im Allgemeinen und Großbritanniens im Besonderen verstehen.
       
       Eine andere große britische Künstlerin, die schottische Schriftstellerin A.
       L. Kennedy, hat vergangenes Jahr geschrieben, das allmähliche Scheitern des
       Vereinigten Königreichs als Staat komme ihr vor wie „eine sportliche
       Großveranstaltung“ – wohl, weil jeder sich in dieser Disziplin mit seiner
       Unfähigkeit hervortun will.
       
       Auch Kennedy findet im grotesken Humor Trost, ihr Heimatland
       charakterisierte sie als „blöden Felsen, der im Strudel der eigenen Scheiße
       treibt und sich nur noch im Menschenhandel, in performativer Grausamkeit
       und Geldwäscherei für die übelsten Menschen der Welt hervortut“. Auf „UK
       Grim“ lässt sich hören, wie dieser Felsen tiefer im Kot versinkt.
       
       17 Mar 2023
       
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