# taz.de -- Oliver Stone über Kennedy-Doku: „Ein Film ist kein Fast Food“
       
       > Regisseur Oliver Stone geht in seiner Doku „JFK Revisited“ erneut dem
       > Mord an John F. Kennedy nach. Ein Gespräch über Verschwörungserzählungen
       > und Joe Biden.
       
 (IMG) Bild: Präsident John F. Kennedy und First Lady Jacqueline Kennedy in Dallas am 22. November 1963
       
       Als Gewinner von drei Oscars und fünf Golden Globes gehört Oliver Stone zu
       den berühmtesten Persönlichkeiten der Filmbranche: ein erfolgreicher
       Regisseur, der aber häufig für seine Filme kritisiert wird. In seiner
       Jugend verließ er die renommierte Yale University und zog freiwillig in den
       Vietnamkrieg, wo er glaubte, „amerikanische Ideale“ zu verteidigen. Zurück
       kehrte er mit einer entschlossenen Antikriegshaltung. 
       
       Er wurde Regisseur, um ein breites Publikum zu erreichen. Wegen seiner
       radikalen Ansichten wird Stone oft den Verschwörungstheoretikern
       zugeordnet. Er selbst glaubt, dass dieser Begriff von der CIA geprägt
       wurde, um das Vertrauen in Kritiker zu erschüttern. Er ist überzeugt, dass
       Verschwörungen zur Geschichte gehören und einige – etwa die Ermordung
       Kennedys und die Vertuschung der Tathintergründe – um jeden Preis
       aufgeklärt werden müssen. Dazu drehte den Dokumentarfilm „JFK Revisited“. 
       
       taz: Herr Stone, warum glauben Sie, dass es immer noch wichtig ist, zu der
       Ermordung von Präsident John F. Kennedy zu ermitteln? 
       
       Oliver Stone: Kennedy war der letzte amerikanische Präsident, der die
       Geheimdienste stoppen und Veränderungen im Verteidigungssektor vornehmen
       wollte. In diese beiden Sektoren fließen immer noch 50 Prozent des
       US-Staatshaushalts, und das Geld wird hauptsächlich mit Kriegen verdient.
       Ob Russland, China oder Iran, es werden immer neue „Feinde“ erfunden, um
       Aufträge für die Militärindustrie zu sichern. Kennedy hatte andere Ideen:
       Er wollte das Embargo gegen Kuba beenden.
       
       Gemeinsam mit Vertretern der Sowjetunion arbeitete er an einem Abkommen,
       das ein Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter
       Wasser vorsah. Seine Politik war viel zu gefährlich für einige Leute, die
       nicht aufhören konnten, sich die Taschen vollzustopfen. Nach dem Attentat
       übernahmen Geheimdienste und das Militär die Führung der US-Regierung in
       allen wichtigen Bereichen, seien es die Finanzen oder die nationale
       Sicherheit.
       
       Nehmen wir an, Kennedy wäre am Leben geblieben. Was wäre geschehen, wenn er
       nichts hätte verändern können? Es gab auch andere Meinungen über seine
       Präsidentschaft, zum Beispiel, dass er nicht entschlossen genug handelte. 
       
       Im Gegensatz zu anderen amerikanischen Präsidenten nahm Kennedy als Soldat
       am Zweiten Weltkrieg teil. Er hatte deshalb einen anderen Blick auf die
       Dinge. Er war ein Gegner des Kolonialsystems, aber konnte die Truppen nicht
       so schnell abziehen, weil er unter enormem Druck stand. Er wollte die
       Wahlen im November 1964 abwarten, und bis dahin konnte er solche Fragen
       nicht in der Regierung zur Abstimmung bringen.
       
       Was hat sich seit Ihrem Spielfilm „JFK – Tatort Dallas“ (1991) zum selben
       Thema verändert? 
       
       Damals war ich viel jünger und naiver. Ich war schockiert über die
       Reaktionen und darüber, dass viele die Kennedy-Affäre so schnell wie
       möglich vergessen wollten. Mir war nicht bewusst, dass meine Aussagen den
       Nerv einiger Regierungsstellen treffen würden und meiner Karriere in
       gewissem Maße geschadet haben. Ich wurde vor den Kongress geladen. Wegen
       des Aufsehens, das mein Film damals auslöste, wurde ein neues Gesetz
       verabschiedet.
       
       [1][Das Material über die Ermordung Kennedys, das ursprünglich bis 2029
       unter Verschluss bleiben musste, wurde freigegeben], die Archive zugänglich
       gemacht und eine vierjährige Untersuchung lieferte viele neue
       Informationen. Doch die amerikanischen Medien haben darüber nicht
       berichtet, und alle Dokumente wurden wieder vergessen. Selbst zum [2][50.
       Jahrestag der Ermordung Kennedys im Jahr 2013] erwähnte keiner der
       amerikanischen Sender neue Fakten und alternative Versionen. Meine
       Interviews mit ihnen wurden gekürzt und stattdessen auf den Bericht der
       Warren-Kommission verwiesen, als hätte es seitdem keine anderen offiziellen
       Ermittlungen zu dem Mord gegeben.
       
       Es ärgert mich, dass die Leute immer noch an diese Cinderella-Geschichte
       glauben, die von der Warren-Kommission erzählt wird. Heute, da jeder im
       Besitz eines Smartphones ist, könnte so etwas nicht passieren, die
       Öffentlichkeit hätte sofort Zugang zu Informationen. Aber damals waren wir
       naiv, und die Medien haben uns mit falschen Berichten gefüttert, weil sie
       ja auch darauf programmiert waren. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass die
       Warren-Kommission zugleich mit ihrem 800-seitigen Bericht verabschiedet
       wurde. Diese Version wurde einfach akzeptiert, ohne dass jemand überhaupt
       den Bericht gelesen hatte.
       
       Wer liest heute diese Berichte, und wie sind Sie an diese Informationen
       gekommen? 
       
       Es gibt eine Gruppe von Forschern, die seit drei Generationen daran
       arbeiten. Sie begannen mit eigenen Ermittlungen am Tag nach dem Attentat,
       weil sie der Regierung misstrauten. Damit verdienten sie kein Geld, es ging
       ihnen einzig um die Wahrheit. Über Jahre hinweg teilten sie ihre neuen
       Entdeckungen. Ich blieb mit vielen in Kontakt, beispielsweise mit Robert
       Groden, der als erster unabhängiger Fotoforscher Zugang zum berühmten
       Zapruder-Film bekam [die privaten Aufnahmen von Abraham Zapruder, der am
       Tag des Attentats in Dallas gefilmt hat; d. R.].
       
       Ein halbes Jahrhundert lang hat Groden behauptet, dass Kennedy von mehr als
       nur einem Schützen ermordet worden sein muss. Ein anderes Mitglied dieser
       Gruppe ist der Militärhistoriker und pensionierte Armeegeheimdienstmann
       John Newman, der mehrere Bestseller über JKF und den Vietnamkrieg, Harvey
       Lee Oswald und die CIA schrieb. Der Gerichtsmediziner Dr. Cyril Wecht
       arbeitete an vielen hochkarätigen Fällen wie den Ermordungen von John F.
       und Robert F. Kennedy sowie Martin Luther King. Als er im Kennedy-Fall den
       Zugang zu den Asservaten bekam, stellte er fest, dass einige wichtige
       Gegenstände verschwunden waren.
       
       Der Schriftsteller Jimmy DiEugenio hat Tausende von Akten über Kennedys
       Ermordung gelesen und sprach über seine Entdeckungen, als ich und Rob [der
       Produzent Rob Wilson, d. R.] zu Dr. Wechts Forschungskonferenz gingen. Er
       hat das Buch „The JFK Assassination: The Evidence Today“ herausgebracht,
       und wir begannen, die neuen Erkenntnisse zu diskutieren. Jimmy schrieb auch
       das Drehbuch zum Film, und Rob pushte mich, weil er glaubte, dass die Leute
       die Wahrheit erfahren sollten.
       
       Sie sagen, die Medien waren damals sehr regierungsfreundlich und leicht zu
       manipulieren. Wie viel Freiheit haben wir heute? Technisch gesehen gibt es
       heute viel mehr Sender und auch Sendungen sowie einen leichteren Zugang zu
       Informationen. 
       
       Aus freigegebenen Dokumenten haben wir erfahren, dass viele Medien wie CBS
       oder NBC und auch die New York Times die Warren-Kommission unterstützt
       haben. Die Tochter von John J. McCloy, einem Mitglied der
       Warren-Kommission, arbeitete mit CBS zusammen. Es war ein riesiges
       Machtnetz, und jeder darin war geschützt. Das Vorhandensein von mehr Medien
       bedeutet nicht unbedingt mehr Freiheit. Heute gehen viele Menschen auf
       Youtube oder sprechen über ihre Überzeugungen in den sozialen Medien, was
       für noch mehr Verwirrung sorgt und den Regierungen zugutekommt. Denn wenn
       die Leute verwirrt sind, ist es einfacher, ihre Agenda durchzusetzen.
       
       Warum drehen Sie jetzt öfter Dokumentarfilme? Haben Sie das Gefühl, im
       wirklichen Leben gibt es heute mehr Drama? 
       
       [3][Mein letzter Spielfilm war „Snowden“], und ich hatte große
       Schwierigkeiten, ihn zu drehen. Der Film wurde nicht von meinem Land
       finanziert, sondern von Frankreich und Deutschland. Auch „JFK Revisited“
       bekam kein Geld von den USA, sondern wurde von Europäern gefördert. Ich bin
       kein Teil Hollywoods mehr, es sei denn, ich werde einen anderen Spielfilm
       machen. Die Vertriebsmethoden haben sich stark verändert. Plattformen wie
       Netflix verwenden alle KI und Algorithmen, um dem Massengeschmack zu
       entsprechen. Sie folgen blind dem, was ihnen erzählt wird, zum Beispiel,
       dass dieses oder jenes Thema keine Rolle mehr spielt. Das sollte man
       niemals tun − man sollte den Film sein Publikum finden lassen. Ein Film ist
       kein Fast Food.
       
       Ich würde den Entstehungsprozess eher mit der Zubereitung einer Suppe
       vergleichen, bei der man die Zutaten langsam ins Wasser gibt und sie kochen
       lässt. Wenn es allein nach Erfolgs-Algorithmen ginge, hätte ich „Platoon“
       nie drehen können, weil es ein deprimierendes Thema war, mit viel Gewalt
       und nur für bestimmte Zielgruppen geeignet. Am Ende war der Film ein
       Riesenerfolg. Ich habe nie Filme wegen des Geldes gemacht, sondern nur,
       weil ich sie drehen wollte. In diesem Sinne hatte ich großes Glück, mehr
       Glück als diejenigen, die ihre Lebenszeit und Werte verkaufen, um zu
       überleben.
       
       Was halten Sie von Joe Biden und seiner Regierung? 
       
       Ein Vorteil von Biden ist, dass wir Trump losgeworden sind. Der jetzige
       Präsident ist ruhig und bedacht, Gott segne ihn! Die Amerikaner haben den
       Trump-Lärm satt und vor allem seine angeberische, aber dennoch
       desinteressierte Art, über Atomwaffen und Bombenabwürfe zu sprechen. Ich
       habe Trump nicht gewählt, aber ich konnte mich aus ähnlichen Gründen auch
       nicht für Hillary Clinton entscheiden. Sie war auch sehr radikal, meiner
       Ansicht nach zu sehr Kriegstreiberin. Ich finde es jedoch falsch zu sagen,
       dass Trump der schlechteste US-Präsident war. Bush war der schlimmste in
       Bezug auf den Schaden, den er der Welt zugefügt hat, daran besteht kein
       Zweifel. Trump konnte einfach in den vier Jahren seiner Präsidentschaft
       nichts lösen, er hat alles nur noch mehr durcheinandergebracht.
       
       18 Nov 2021
       
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