# taz.de -- Parlamentswahl in Russland: Tausende Verstöße aufgezeichnet
       
       > Auch am letzten Tag der Dumawahl melden Beobachter*innen
       > Manipulationen. Der Kremlpartei ist jedes Mittel recht und verschenkt
       > sogar Pässe.
       
 (IMG) Bild: Stimmenabgabe in Grosny, Tschetschenien: Angeblich liegt die Wahlbeteiligung bei 70 Prozent
       
       MOSKAU taz | Matwejew Kurgan ist ein Dorf wie so viele andere in Russland.
       Es gibt unasphaltierte Straßen, eine weiße Lenin-Statue im Zentrum, ein
       Heimatkundemuseum. Vor den Wahllokalen wehen am Sonntag ein paar bunte
       Luftballons, sowjetische Schlager erklingen. Knapp 1.200 Kilometer sind es
       von hier, an der russisch-ukrainischen Grenze im Gebiet Rostow, bis nach
       Moskau; 120 nach Donezk, 140 nach Luhansk, in die international nicht
       anerkannten Separatistengebiete.
       
       Viele Menschen in diesen Republiken genannten Gebieten wünschen sich
       russische Pässe. Sie bekommen sie in diesen Tagen zuhauf – [1][denn in
       Russland wird gewählt]. Die Regierungspartei Einiges Russland, Machtbasis
       des Präsidenten Wladimir Putin, will ihre absolute Mehrheit im Parlament
       verteidigen. Dafür ist ihr jedes Mittel lieb – auch in Matwejew Kurgan.
       
       Der Internetsender Doschd (Regen), kurz vor der Wahl vom Justizministerium
       zum „ausländischen Agenten“ erklärt, zeigt gleich mehrere Busse, die über
       die Grenze kommen. Dutzende Menschen mit russischen Fähnchen in der Hand
       steigen aus und laufen in ein Wahllokal. Offenbar haben sie in der
       örtlichen Migrationsbehörde kurz zuvor ihren russischen Pass bekommen,
       danach geht es gleich zum Wählen. Mehrere Menschen berichten freudig davon.
       Es zwingt sie niemand, doch wissen sie, wem sie den erhofften Pass zu
       verdanken haben: Einiges Russland. Erste Hochrechnungen sehen die Partei
       bei 47 Prozent, offizielle Zahlen soll es erst in der Nacht auf Montag nach
       Redaktionsschluss geben.
       
       Das Team um den inhaftierten Oppositionspolitiker Alexei Nawalny will die
       Feier der Machtelite dennoch stören. Mit seiner Methode des „klugen
       Wählens“ sollen aussichtsreiche Kandidat*innen anderer Parteien
       Einiges Russland schwächen. Dabei zählen nicht die Inhalte dieser
       Kandidat*innen, hier heiligt der Zweck die Mittel. Das Regime tut an den
       Wahltagen allerdings einiges, [2][um die Nawalny-Listen aus dem Netz zu
       nehmen]. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt: Löschen Google, Apple, Youtube
       und auch Telegram auf Druck der Behörden die Empfehlungen Nawalnys, so
       finden sich die Listen bei Twitter. Ist ein Google-Dokument verschwunden,
       entsteht schnell ein neues.
       
       ## Tausende Manipulationen im ganzen Land
       
       Bei der Mobilisierung der Menschen geht es dem Staat nicht um die
       individuelle Wahl, sondern um eine kollektive Entscheidung, die in den
       Augen der regierenden Elite nur eines bedeuten darf: Loyalität zu Putin.
       Diese gilt es mit aller Macht sicherzustellen, etwa mit Stapeln bereits
       ausgefüllter Stimmzettel, die manche Schuldirektorin in die Wahlurne
       stopft, von den Videokameras an der Decke offenbar unbeeindruckt. Andere
       Methoden umfassen längst Verstorbene auf den Wahllisten, [3][leicht
       manipulierbare Online-Abstimmungen] und die auf drei Tage gestreckte
       Abstimmung. In den Nächten sind keine Beobachter*innen zugegen.
       
       Die unabhängige russische Organisation Golos (Stimme), ebenfalls als
       „ausländischer Agent“ gebrandmarkt, listet Tausende Manipulationen im
       ganzen Land auf. Die OSZE hat dieses Mal keine Beobachtermission geschickt.
       Moskau hatte lediglich 60 Beobachter*innen für das ganze Land
       zugelassen und die niedrige Zahl mit der Pandemie erklärt.
       
       Der Staat erkauft sich die Stimmen mit Verlosungen, als Quasiersatzhandlung
       für all die verschleppten Reformen. Es gibt Wohnungen und Autos zu gewinnen
       sowie zahlreiche Gutscheine. Selbst Putin-Sprecher Dmitri Peskow bekommt
       nach seiner Online-Abstimmung solch einen Gutschein. Andere, wie in
       Matwejew Kurgan, erhalten ihre Pässe. Für manche ist das ein Hauptgewinn
       dieser Wahl.
       
       19 Sep 2021
       
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