# taz.de -- Pressefonds gegen Klage von Rechts: Ausholen zum Gegenschlag
       
       > Einschüchterungsklagen rechtsextremer Akteure gegen Journalist*innen
       > nehmen stark zu. Ein neuer Fonds hilft Betroffenen.
       
 (IMG) Bild: Journalist:innen bekommen immer mehr SLAPPs, „Strategic lawsuits against public participation“
       
       BERLIN taz | „Ich habe den Tweet direkt nach der Abmahnung gelöscht, damit
       er nicht weiter viral geht.“ Sahak Ibrahimkhil hatte im Januar ein Foto des
       ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen
       gepostet, das diesen in einer Gruppe zeigt, zu der unter anderem der
       rechtspopulistische Publizist Roland Tichy gehört und ein Mann, der einen
       Kapuzenpullover mit der Aufschrift „German Bad Boy“ trägt. Dazu
       kommentierte er: „Maassen am Chillen mit (…) Figuren aus der braunen
       Szene“. Es dauerte nicht lang, da hatte er gleich zwei Anwaltsschreiben in
       seinem Briefkasten – von den Anwälten Maaßens und Tichys.
       
       Es war das erste Mal, dass [1][Ibrahimkhil, ein Flüchtlingsaktivist] und
       [2][Mitglied der Partei Volt], abgemahnt wurde. Und es war seine erste
       Begegnung mit SLAPP.
       
       SLAPP ist die Abkürzung für „Strategic lawsuits against public
       participation“, also strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung.
       Unternehmen, Lobbyverbände, Reiche, aber auch staatliche Akteure nutzen
       solche Klagen, um Kritiker*innen aus der Öffentlichkeit fernzuhalten.
       Auch rechtsextreme Akteure setzen SLAPPs seit 2015 verstärkt ein, wie nun
       [3][eine neue Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft
       (IDZ) Jena] festgestellt hat. Ihr Ziel ist es, unliebsame Inhalte aus dem
       Diskurs zu drängen, indem sie versuchen, politische Gegner oder
       Journalist*innen einzuschüchtern und deren Ressourcen zu binden. Oft
       gehen sie gegen Menschen vor, die keine oder wenig juristische Erfahrung
       haben – wie auch Ibrahimkhil – und kein Geld, um sich einem Rechtsstreit zu
       stellen.
       
       ## Dass „slap“ Ohrfeige heißt, ist kein Zufall
       
       „Als ich den Absender des Briefs gesehen habe, wurde mir schon schlecht“,
       sagt Ibrahimkhil der taz am Telefon. Das Anwaltsschreiben kam von der
       Kanzlei Höcker, die bereits bekannte AfD-Politiker*innen vertreten hat. Am
       Anfang sei er wie gelähmt gewesen, erzählt Ibrahimkhil. „Das war eine
       horrende Summe, die sie von mir haben wollten.“ Zusammen knapp 4.000 Euro
       an Anwaltskosten sollte Ibrahimkhil Tichy und Maaßen erstatten. Er löschte
       den Tweet, schrieb aber einen neuen. Darin bat er um juristische Hilfe.
       
       Und die kam. „Ich habe ja schon viele Jurist*innen als Follower, aber
       überrascht war ich trotzdem“, sagt er heute. Unterstützung sei zudem aus
       dem gesamten demokratischen politischen Spektrum gekommen, von CDU über SPD
       bis zu den Grünen. Und schließlich meldete sich auch eine Mitarbeiterin von
       FragDenStaat. Sie erzählte, dass die NGO gerade dabei sei, einen Hilfsfonds
       genau für Fälle wie seinen aufzulegen: den [4][Gegenrechtsschutz].
       
       „Ohne FragDenStaat und ohne meinen Anwalt hätte ich mich nie wieder
       getraut, etwas in der Richtung zu posten. Dabei muss das sein“, sagt
       Ibrahimkhil. Die Gespräche hätten ihn wieder aufgebaut und ihm „mehr Power
       gegeben als vorher“. Der Fonds übernahm seine Kosten der
       Rechtsverteidigung. Die 4.000 Euro Anwaltskosten der Gegenseite wehrte sein
       Anwalt ab.
       
       Finanziert wird der Fonds über Spenden, erzählt
       FragDenStaat-Geschäftsführer Arne Semsrott der taz. Bis jetzt seien zwar
       erst 5.000 Euro eingegangen. Aber: „Wir werden grundsätzlich alle wichtigen
       Verfahren fördern, notfalls mit Geld aus dem allgemeinen Spendentopf.“ Er
       sei zuversichtlich, dass sich der Fonds schon bald über Spenden trage.
       Laufen soll das Projekt zunächst über drei Jahre. „Unser Ziel ist es, eine
       dauerhafte Infrastruktur aufzubauen.“
       
       Einen Durchschnittswert, was ein Rechtsstreit in der Regel koste, gebe es
       nicht. „Im besten Fall bleibt es kostenlos, im schlechtesten kann es sich
       auch um eine fünfstellige Summe handeln.“ Üblich seien 1.000 bis 2.000
       Euro, wenn man nach einer Abmahnung eine Unterlassungserklärung
       unterschreibe.
       
       ## Ein Einschüchterungsversuch
       
       In Deutschland werden SLAPPs auch Einschüchterungsklagen genannt, weil ihr
       Ziel nicht immer eine erfolgreiche Klage ist. Vielmehr sollten sich
       insgesamt weniger Menschen kritisch über die jeweiligen Akteure äußern –
       indem man sie eben einschüchtere. Oft richteten sich die Klagen gezielt
       gegen „vermeintlich vulnerable Personen“, von denen sich die Akteure
       besonders wenig Widerstand erwarteten, heißt es in der Studie des IDZ.
       
       Tatsächlich löschten viele Betroffene nach einer Abmahnung ihre Tweets,
       schrieben ihre Artikel um und überdächten von da an stärker, was sie
       öffentlich sagten oder schrieben – und ob sie sich überhaupt noch zur
       extremen Rechten äußern wollten. Doch es gebe auch positive Effekte,
       schreiben die Autor*innen: Oft führten Einschüchterungsklagen auch zu einer
       „Politisierung und Solidarisierung des Umfelds“ der Betroffenen.
       
       Problematisch sind SLAPPs vor allem für Einzelpersonen, die nicht an
       Institutionen angebunden sind, [5][darunter auch freie
       Journalist*innen.] Die Journalist*innengewerkschaften, der
       Deutsche Presserat und Verlage arbeiten daher gemeinsam mit Stiftungen an
       einem Pressefreiheitsfonds. Damit sollen Musterklagen geführt werden, die
       zu Grundsatzentscheidungen auf dem Gebiet führen sollen. „Der
       Pressefreiheitsfonds erübrigt sich durch den Gegenrechtsschutz also nicht,
       beide ergänzen einander. Je mehr Unterstützung es gegen
       Einschüchterungsklagen oder SLAPPS gibt, umso besser“, sagt Matthias von
       Fintel aus dem Verdi-Bundesvorstand der taz. Angesichts der dokumentierten
       Zunahme von Abmahnungen von rechts in den letzten Jahren sei der
       Gegenrechtsschutz ein wichtiges Signal.
       
       „Wir haben auf so einen Fonds gewartet“, sagt Chan-jo Jun der taz. Der
       Anwalt vertritt zahlreiche Mandant*innen in Hatespeech-Verfahren. Häufig
       habe er Menschen, die sich an ihn wandten, allerdings sagen müssen, dass er
       sie zwar gerne vertreten würde, sie die Kosten aber selbst tragen müssten.
       Viele habe das abgeschreckt. Da Einschüchterungsklagen meist von
       finanzstarken Akteuren kämen oder solchen mit einer großen Rechtsabteilung,
       könne ein Fonds wie der von FragDenStaat das finanzielle Ungleichgewicht
       ausgleichen.
       
       ## Nur die Politik kann das Problem lösen
       
       Chan-jo Jun sieht aber auch Politik und Gerichte in der Verantwortung.
       Aufgabe von Richter*innen müsse es sein, jeweils zu prüfen, ob ein
       Kläger eine Abmahnung missbräuchlich verwende, und die Klage dann abweisen.
       Darüber hinaus mache das Persönlichkeitsrecht es einfach,
       Einschüchterungsklagen einzureichen. „Die Kosten, die jemand hat, weil er
       sich gegen eine unberechtigte Abmahnung wehrt, sind zwar beispielsweise im
       Urheberrecht erstattungsfähig, nicht aber im Persönlichkeitsrecht. Das ist
       ein Konstruktionsfehler, den man bei nächster Gelegenheit reparieren
       sollte.“
       
       So habe jemand, der eine unberechtigte Abmahnung einreicht, keine Kosten,
       der Beklagte habe aber alle Kosten zu tragen. „Aus Angst vor einem teuren
       Verfahren entscheiden sich deshalb viele Menschen schon vorher, kein
       Verfahren einzugehen“, sagt er. „Wir müssen die Meinungsfreiheit
       wenigstens so weit schützen wie Musiktitel oder Filme.“
       
       In den USA, wo das Phänomen der SLAPPs in den 80er Jahren erstmals
       beschrieben wurde, gibt es dafür mittlerweile gesetzliche Regelungen –
       zumindest in einigen Bundesstaaten. Sogenannte Anti-SLAPP- oder
       SLAPP-back-Gesetze sollen dafür sorgen, dass Klagen zügig abgewiesen und
       entstandene Kosten zurückbezahlt werden. Den Nachkommen von [6][Daphne
       Caruana Galizia] ist es zu verdanken, dass eine Anti-SLAPP-Gesetzgebung
       endlich auch in der EU auf den Weg gebracht wurde. Bis zu ihrer Ermordung
       2017 hatte es gegen die maltesische Investigativjournalistin 47
       Verleumdungsklagen gegeben.
       
       Nach ihrem Tod gründeten ihr Ehemann und ihre Söhne die
       Daphne-Caruana-Galizia-Stiftung und bildeten gemeinsam mit anderen
       Nichtregierungsorganisationen die Coalition Against SLAPPs in Europe
       (CASE), die für ein Gesetz zum Schutz gegen missbräuchliche
       Verleumdungsklagen auf EU-Ebene lobbyiert. Im April 2022 [7][wurde der
       Entwurf einer EU-Richtlinie vorgestellt]. Manche sprechen von „Daphnes
       Gesetz“. Doch was nach Einwänden der Mitgliedstaaten ein Jahr später noch
       von der Richtlinie übrig ist, „würde Daphne vor keinem der
       Gerichtsverfahren schützen, denen sie ausgesetzt war“, meint CASE.
       
       Im März wurde die Richtlinie erstmals im Europäischen Parlament
       vorgestellt, am 10. Juli ist eine parlamentarische Debatte angesetzt.
       
       Infos zum „Gegenrechtsschutz“ und eine Möglichkeit zum Spenden finden sich
       [8][hier].
       
       26 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/s_ibrahimkhil?lang=de
 (DIR) [2] /Volt-Kandidat-ueber-Zukunftspolitik/!5804883
 (DIR) [3] https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Dunkelfeldstudie_GegenRechtsSchutz..pdf
 (DIR) [4] https://fragdenstaat.de/aktionen/gegenrechtsschutz/
 (DIR) [5] /Junge-Journalistinnen-wuenschen-Veraenderung/!5878279
 (DIR) [6] /Morde-an-Journalistinnen/!5809563
 (DIR) [7] /SlappKlagen-in-der-EU/!5781252
 (DIR) [8] https://fragdenstaat.de/aktionen/gegenrechtsschutz/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johanna Treblin
 (DIR) Ann-Kathrin Leclere
       
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